Mittwoch, 29. Juli 2009

Ausdrucksformen von Spiritualität im 1. Johannesbrief

Sichtbare Ausdrucksformen der Spiritualität (praxis pietatis)

1. Dass Gott in mir bleibt und ich in Gott, diese ganz persönliche Liebeserfahrung mit Gott muss in der Geschwisterliebe sichtbar werden. „Geliebte, lasst uns einander lieb haben, denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht, denn Gott ist die Liebe“ (4,7-8) An ihr ist zu erkennen, dass tatsächlich eine Erfahrung mit der Agape-Liebe Gottes gemacht wird. Wie zeigt sich die Geschwisterliebe? „Wer sagt, dass er in ihm bleibt, muss auch leben, wie er gelebt hat.“ (2,6) Wie hat er gelebt? In welcher Weise ist er Vorbild? „Daran haben wir die Liebe erkannt, dass er sein Leben für uns hingegeben hat. Wir sollen auch das Leben für die Brüder lassen. Wenn jemand Vermögen hat und sieht die Notlage des Bruders und verschließt dann sein Herz vor ihm, wie kann die Liebe Gottes in ihm bleiben? Kinder, lasst uns nicht mit dem Wort und mit der Zunge lieben, sondern mit der Tat und mit der Wahrheit (nicht wortreich, sondern tatenreich).“ (3,16-18) Die Wertschätzung der Geschwister, die Wahrnehmung ihres unendlichen Wertes, beweist sich in der praktischen (auch finanziellen) Tat. Allein hier wird sie sichtbar, so sehr natürlich auch tröstende, ermutigende, aufbauende Worte in einem Gespräch ganz praktisch sein können. Sichtbar wird die Erfahrung der Liebe Gottes weiterhin in der „Gemeinschaft untereinander“ (1,7). Sie zeigt sich auch in Höflichkeit und liebevoller Anrede: „Meine Kinder“ (3,7), „Geliebte“ (2,7; 4,1).

2. Sichtbar sind Freude (1,4) und Zuversicht (2,28; 3,21; 4,17; 5,14) in den Gesichtern der Geliebten, so jedenfalls wünscht es sich der Briefautor. Aufgrund der Geschwisterliebe sind gesellschaftliche Statusunterschiede in der Gemeinde unbedeutend, die intensive Erfahrung der Liebe Gottes löscht sie aus.

3. Zur Erfahrung der Liebe Gottes in Christus gehört das Sündenbekenntnis: „Wenn wir aber unsere Sünden bekennen, ist er treu und gerecht, dass er uns die Sünden vergibt und und von aller Ungerechtigkeit reinigt.“ Das Sündenbekenntnis ist ein Mittel, geistliche Arroganz in der Gemeinde zu unterbinden. Es schafft eine Egalität, in der die Geschwisterliebe besser gedeiht.

4. Die Erfahrung, in der Liebe Gottes zu leben, führt zur Zuversicht: „Wenn wir etwas erbitten, was seinem Willen entspricht, so hört er uns.“ Johannes ermutigt zum Bittgebet.

5. Ein sittlicher Lebensstil ist ebenfalls die sichtbare Ausdrucksform der erlebten Liebe Gottes: seine Gebote halten, (3,24), sich reinigen (3,3), Distanz zur „Begierde des Fleisches, zur Begierde der Augen und zur Prahlsucht“ (2,16): im Mittelalter wurde für die Mönche daraus eine Distanz zu Wolllust, Habsucht und Hoffartvoluptas, avaritia, superbia – an deren Stelle traten die Gelübde bezüglich Keuschheit, Armut und Demut/Gehorsam).

6. Ganz wesentlich ist auch eine hörbare Verkündigung, die - wie der Brief selbst - Hörer und Leserinnen immer wieder in die Liebe Gottes hineinnimmt, sie real werden lässt: „Dies schreiben wir uns (und euch), dass unsere (und eure) Freude groß wird.“ (1,4) „Was ihr von Anfang an gehört habt, das bleibe in euch. Wenn das, was ihr von Anfang an gehört habt, in euch bleibt, so werdet ihr auch im Vater und im Sohn bleiben.“

7. Hörbar sind auch Worte von Propheten, die vom Geist Gottes inspiriert sind. Diese Worte sind zu prüfen: „Ein jeder Geist, der bekennt, dass Jesus Christus in das Fleisch gekommen ist, der ist von Gott“ (4,2). Johannes scheint davon auszugehen, dass jeder in der Gemeinde eine besondere Geisterfahrung gemacht hat: „Die Salbung, die ihr von ihm empfangen habt, bleibt in euch, und ihr braucht euch von niemandem belehren zu lassen. Alles, was seine Salbung euch lehrt, ist wahr und keine Lüge. Bleibt in ihm, wie es euch seine Salbung gelehrt hat.“ – „Daran erkennen wir, dass wir in ihm bleiben und er in uns, dass er uns von seinem Geist gegeben hat.“

8. Der Text des Briefes, für die Erstleser der Brief selbst, steht pars pro toto für den Apostel, der Augenzeuge ist, der das Wort Gottes selbst gesehen, gehört und betastet hat: „und wir haben gesehen und bezeugen und verkünden euch das Leben, das ewig ist, das beim Vater war und uns erschienen ist.“ (1,2)

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