Dienstag, 11. August 2009

Geistliche Übungen (5): Zuhören

Das Buch „Momo“ von Michael Ende hat nicht zuletzt darum einen so großen Erfolg gehabt und viele Menschen angerührt, weil Momo in ausgezeichneter Weise die Gabe des Zuhörens besaß. Oft hörte sie einfach nur wohltuend zu. Wer zuhört, ist beim anderen, nicht bei sich selbst. Er tritt ein in die Welt des anderen. Viele Menschen, die sich unterhalten, können oder wollen dies nicht; sie hören einander gar nicht richtig zu. Sie nehmen nur diejenigen Äußerungen des anderen auf, an denen sie eigene Gedanken anknüpfen können. Wenn beide dies gleichzeitig tun, dann hüpfen sie von einem Thema zu anderen. Sie praktizieren Small-Talk, der vielleicht ganz unterhaltsam ist, aber keine von beiden hat der anderen wirklich ihr Ohr geschenkt. Es ist eine seltene, aber dann oft umwerfende Erfahrung, wenn jemand tatsächlich ganz zuhört, sich völlig auf sein Gegenüber einstellt und echtes Interesse für dessen Welt zeigt. Es ist ein Geschenk, dies erleben zu können. Man kann es nicht erzwingen, außer man leistet sich einen Therapeuten, der darauf spezialisiert ist.
Solche Menschen können „Aktiv zuhören“, das „einfühlende Verstehen“ (Empathie) praktizieren. Wenn ich „ganz Ohr“ bin, dann vergesse ich mich in dieser Zeit selbst, schenke mich dem anderen und bereite ihm das, was so wertvoll ist: verstehende Liebe. Das zu erleben, kann eine sehr tiefe Gotteserfahrung sein. Keine Freundschaft und keine Partnerschaft, die wirklich befriedigend erlebt wird, wenn sich die Freunde oder Freundinnen, die Partner nicht gegenseitig durch Zuhören beschenken. Richtig praktiziert sieht das dann so aus, dass es nicht zum Zwiegespräch kommt, sondern einer ganz die Rolle des Hörenden einnimmt und der andere ganz in der Rolle des Sprechenden sein darf. Ein anderes Mal werden dann die Rollen getauscht.

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