Sonntag, 30. August 2009

Geistliche Übungen (7): Natur erleben

Wir sind sinnliche Wesen. Das bewusste Erleben unserer sinnlichen Wahrnehmungen ist wichtig und schön. Es kann zu einer spirituellen Tätigkeit werden, ganz bei den Wahrnehmungen der Sinnesorgane zu sein, besonders in der Natur, die uns über uns selbst hinaushebt. Sie kann uns die Gegenwart des Göttlichen erschließen.

Viele Menschen suchen Orte auf, die eine „heilige“ Wirkung auf sie haben. Fast niemand kann sich der Andacht eines hohen Kirchenraumes entziehen; hier kann man zur Ruhe finden und in Kontakt mit tieferen Dimensionen des Lebens kommen. Mehr noch als menschliche Bauten können Wälder, Seen, Berge und Meere ergreifen.




Inspirierend können auch Quellen sein, ein Hain, ein alter Baum, ein hoher Wald, ein Berggipfel. Das sind dann Naturorte, die uns die Transzendenz erahnen lassen. Ich vergesse mich selbst, wenn ich mich in der „Einsfühlung“ mit der Natur voll auf das Erleben großer Natur einlasse. Ich gewinne Abstand zum Alltag, Distanz zu den täglichen Aufgaben und Verpflichtungen, die einem zu nah gerückt sind.

Das Glück eines Frühsommertages in der Natur beschreibt Goethe im „Mailied“ in wunderbarer Weise: „Wie herrlich leuchtet/ Mir die Natur!/ Wie glänzt die Sonne!/ Wie lacht die Flur!/ Es dringen Blüten/ Aus jedem Zweig/ Und tausend Stimmen/ aus dem Gesträuch/ Und Freud und Wonne/ Aus jeder Brust./ O Erd’, o Sonne,/ O Glück, o Lust/ O Lieb’, o Liebe...“
Inniges Naturerleben führt zur Erfahrung, dass ich nicht allein bin, sondern etwas ganz Tiefes mich mit allem zusammenhält. Ich bin ein Teil des Ganzen. Ich bin geborgen im Universum als Schöpfung Gottes. Das Universum ist nicht Gott selbst, aber er hat die Schöpfung so überdimensional erhaben geschaffen. Aus „Sternenstaub“ bestehe ich, die Ordnung des Kosmos mit seinen subatomaren Teilchen ist auch die Grundlage meines Lebens. Ich bestehe auch aus Atomen, Elementarteilchen, die sich in einer unvorstellbar komplexen Ordnung über chemische, biologische, psychische und soziale Prozesse zu dem bilden, was ich bin.

Ich sehe mich als Bruder oder Schwester nicht nur der Menschen, sondern auch der Tiere, der Pflanzen, der Steine und der Sterne. Sternenstaub bin ich, aber dies ist dann, wenn ich mich als Geschöpf verstehe, keine Vorstellung, die mich desillusioniert zurücklässt, sondern mir ein Sinnvertrauen in die Welt gibt, zu der ich gehöre. Die Natur erschließt mir ein Bewusstsein, zu einer größeren, universellen Ordnung zu gehören.

Betrachtet man Landschaftsbilder von Caspar David Friedrich, spürt man sofort, wie die Landschaft den Betrachter in eine andächtige Stimmung versetzt. Die Natur wird zur Offenbarung dessen, was mehr ist als die Natur – Gott. Eines der Bilder Friedrichs trägt nicht zufällig den Titel "Der Mönch am Meer". Einsam, ja winzig, verglichen mit der unendlichen Weite des Himmels steht an der Spitze der Küste ein Mönch, versunken in der andächtigen Betrachtung des Alls. Ist das nicht ein Erlebnis, das wir kennen und das wir immer wieder suchen, nicht zuletzt auch auf Reisen in großartige Landschaften?

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