Dienstag, 11. August 2009

Glauben und Wissenschaft: Das Prinzip der Komplementarität

"Gott würfelt nicht" - so hat Albert Einstein sinngemäß auf die philosophischen Konsequenzen reagiert, die Niels Bohr und Werner Heisenberg aus ihrer Darstellung der Quantenphysik zogen. (Genau: "Die Theorie liefert viel, aber dem Geheimnis des Alten bringt sie uns kaum näher. Jedenfalls bin ich überzeugt, dass der nicht würfelt" in einem Brief an Max Born vom 4.12.1926). Einstein selbst hatte in seinem "annus mirabilis" (1905 mit mehreren bahnbrechenden Veröffentlichungen u.a. der spezifischen Relativitätstheorie) nach Max Planck (1900) bestimmte Lichtphänomene mit Hilfe der Vorstellung von Lichtquanten (Photonen) erklärt und damit der Quantenphysik vorgearbeitet. In der u.a. von Niels Bohr und Werner Heisenberg maßgeblich mathematisch entwickelten Quantenphysik versucht man mit dem Problem zurechtzukommen, dass Elementarteilchen sowohl als Welle wie auch als Teilchen beobachtet werden können. Heisenberg entdeckte dabei die "Unschärferelation", d.h. es können nicht Zeit und Ort von Elementarteilchen zugleich genau bestimmt werden (ich formuliere es jetzt mal so laienhaft). Wie ist dies zu erklären? Nach der "Kopenhagener Deutung" (Niels Bohr, Werner Heisenberg, Carl Friedrich v. Weizäcker u.a.) gehört zu diesen physikalischen Phänomenen und damit zur Wirklichkeit ein Moment der "Unbestimmtheit", d.h. sie sind nicht völlig determiniert (das konnte Einstein nicht akzeptieren und darum sein Ausspruch: "Das, wobei unsere Berechnungen versagen, nennen wir Zufall."). Bis heute ist diese Deutung umstritten. Kennen wir vielleicht nur bestimmte Variablen nicht, die dann doch zu einer deterministischen Beschreibung quantenphysikalischer Phänomene führen würden? Oder müssen wir akzeptieren, dass auf dieser Ebene physikalischer Vorgänge ein Beobachter immer schon das Beobachtete in seinem Verhalten beeinflusst (eine weitere Seltsamkeit bei quantenphysikalischen Experimenten!) und wir über unsere "relativen" Beobachtungen hinaus nichts Endgültiges sagen können? Das wäre das Modell der wissenschaftlichen Selbstbeschränkung (nicht seinshafte Wirklichkeit, sondern nur beobachte Wirklichkeit wird beschrieben), dem ich zuneigen würde.
Was das Verhältnis von Glaube und Bildung, Religion und Wissenschaft betrifft, so erscheint mir das Konzept der "Komplementarität", das Niels Bohr einführte, um dem Phänomen "Licht" gerecht zu werden, immer noch besonders fruchtbar zu sein.
Was ist damit gemeint?
Es ist die Vorstellung "daß eine vollständige Beschreibung der Realität den Gebrauch mehrerer, aber einander ausschließender Perspektiven erfordert."
(Zitat nach Kirk Wegter-McNelly, Artikel Quantenphysik, im Lexikon "Religion in Geschichte und Gegenwart", 4. Auflage, Band 4, 2003, S. 1859). Licht = Welle/Teilchen.
Angewandt auf das Verhältnis von Glaube und Wissenschaft bedeutet das: Beide, das Zeugnis des Glaubens von der Wirklichkeit als bewahrte Schöpfung Gottes auf der einen Seite, und das Axiom der Selbstorganisation der Natur, das die modernen Naturwissenschaften voraussetzen, auf der anderen Seite, sind zur vollständigen Beschreibung der Realität notwendig, obwohl ihre Perspektiven einander ausschließen. D.h. weder die Glaubensperspektive noch die empirische Wissenschaftsperspektive allein reichen aus, um die Wirklichkeit vollständig zu beschreiben, zu erfassen, zu erfahren. Jede Perspektive sieht etwas, was die andere nicht sehen kann. Und jede Perspektive sieht etwas nicht, was die andere sieht. Mit diesem Prinzip ist man von dem Zwang befreit, das eine auf das andere reduzieren zu wollen. Es befreit zu einem mehrperspektivischen Wahrnehmen, wenn auch auf Kosten der Synthese, der Einheit.

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