Dienstag, 29. September 2009

Unsicherheit aushalten

Im seinem aktuellen lesenswerten und stilsicheren Roman „Sieben Jahre“ (2009) lässt Peter Stamm die Erzählfiguren Sonja und Birgit sich über ihre frühere WG- Mitbewohnerin unterhalten: „Ein bisschen verklemmt war sie von Anfang an, sagte Birgit. Sie hat alles so wahnsinnig ernst genommen und hatte zu allem Möglichen eine Theorie und eine Meinung. Irgendwie hat sie keine Unsicherheiten ertragen. Wie alle Gläubigen, sagte ich [Alex, der Ich-Erzähler des Buches]. Sonja [seine Frau] sagte, es sei gemein, so etwas zu sagen. Es sind nicht die schlechtesten Menschen, die in Sekten landen, sagte Birgit. Es sind Suchende, denen etwas fehlt und die irgendwann nicht mehr mit diesem Mangel leben können. Und dann hängen sie ihr Herz an irgendeinen Guru oder an eine Sache, die gerade in der Luft liegt. Etwas, das ihnen Sicherheit gibt. Eine Beziehung gibt dir auch Sicherheit, sagte Sonja. Geld gibt Sicherheit, sagte Birgit. Ich [Alex] sagte, mein Ziel sei es, die Unsicherheit auszuhalten. Birgit lachte.“ (156)

Stimmt dieses Porträt „aller Gläubigen“: verklemmt, nehmen alles ernst, können keine Unsicherheiten ertragen…? Ist im Kontrast dazu der „gegenwärtige Mensch“ dadurch gekennzeichnet - im Roman durch den sich treiben lassenden Alex personifiziert - Unsicherheit auszuhalten?

Auf eine andere Spur bringt mich Werner Stegmaier, der in seinem Werk „Philosophie der Orientierung“ (Berlin 2008) Bemerkenswertes zu religiöser Orientierung festhält. Sie gibt jenseits der begrenzten Horizonte aller sonstigen Orientierungswelten (z.B. Kunst, Wissenschaft) Halt an einem überall und immer Gegenwärtigen – Gott/Transzendenz. Das bedeutet jedoch nicht, dass religiöse Orientierung direkt hilft, aus schwierigen Situationen herauszukommen.
"Sie gibt statt dessen Vertrauen, mit ihnen zurechtzukommen und nötigenfalls sich mit ihnen abzufinden…Der weite Horizont der Glaubensgewissheit erlaubt, sich auf weit mehr Lebensungewissheit einzulassen." (S. 535)

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