Samstag, 23. April 2011

Spititualität des Kirchenliedes

In der aktuellen FAZ findet sich ein schöner Artikel zur Geschichte des Kirchenlieds von Prof. Hermann Kurzker, der an der Universität Mainz das dortige Gesangbucharchiv leitet, die einzige Forschungsstelle zu diesem Gebiet weltweit. Der Artikel lohnt sich schon um der schönen Geschichte von der alten Mutter willen, die nur dann ruhig sterben kann, wenn ihr Kopf auf dem Gesangbuch gebettet ist, aus dem sie und schon ihre Mutter ihr Leben lang gesungen haben. Kurzker macht auch darauf aufmerksam,dass viele Kirchenlieder immer wieder der neuen Zeit und der aktuellen Theologie angepaßt wurden, damit sie "verträglich" wurden.

Hier als Appetizer eine Passage aus dem Artikel:

"Das mittelalterliche Adventslied „Es kommt ein Schiff, geladen“ ist eine solche Neueinspeisung. Man singt es heute in einer Fassung des 17. Jahrhunderts, die die übliche religiöse Selbstknechtung verlangt: „Und wer dies Kind mit Freuden/ umfangen, küssen will,/ muss vorher mit ihm leiden/ groß Pein und Marter viel.“
In einer spätmittelalterlichen Handschrift las man das anders, ins Neuhochdeutsche übertragen, ungefähr so: „Und wer dies Kind will küssen/ auf seinen roten Mund,/ empfanget großen Glusten (Gelüst)/ von ihm zur selben Stund.“

Sonntag, 27. Februar 2011

Karen Duve - Anständig essen


"Meat is murder" - so hieß 1985 ein Album der großartigen englischen Band "The Smiths". Ihr Sänger war und ist strenger Vegetarierer. Im Buch "Anständig essen. Ein Selbstversuch", das vor kurzem erschienen ist, erzählt Karen Duve ihre Reise in die Welt anständigen Essens, die sie im Jahr 2010 unternommen hat. Mit viel Witz, Selbstironie und gleichzeitig einem tiefen Ernst bezüglich der Frage, was da moralisch eigentlich geschieht, wenn Menschen Tiere völlig für den Verbrauch verzwecken. In den ersten zwei Monaten kauft sie ökologisch ein, dann steigt sie auf vegetarische Ernährung um. Im Sommer folgt die veganische Lebensweise, schließlich der Lebensstil eines Fruktariers. Wie sich ihre innere Einstellung zum Essen aufgrund von Wahrnehmungen und Argumenten radikal wandelt und mit der Lektüre auch die Einstellung des von der Sache gepackten Lesers, ist schon erstaunlich. Das Fazit des Selbstversuchs fällt differenziert, aber nicht radikal aus. Dem Leser ist bald klar, was machbar und eigentlich unvermeidbar ist: vegetarisch essen mit ökologisch hergestellten Produkten. Denn: "Meat ist murder."

Sonntag, 30. Januar 2011

Bonhoeffer: Das neue Leben in der Welt des Vorletzten

"Jesus Christus, der Auferstandene, das bedeutet, dass Gott aus Liebe und Allmacht dem Tod ein Ende macht und eine neue Schöpfung ins Leben ruft, neues Leben schenkt. 'Das Alte ist vergangen' (2 Kor 5,17). 'Siehe, ich mache alles neu' (Off 21,5). Auferstehung ist schon mitten in der alten Welt angebrochen als letztes Zeichen ihres Endes und ihrer Zukunft, und zugleich als lebendige Wirklichkeit. Jesus ist als Mensch auferstanden, so hat er dem Menschen die Auferstehung geschenkt. So bleibt der Mensch Mensch, obwohl er ein neuer auferstandener, dem alten in keiner Weise gleicher Mensch ist. Aber freilich bis zur Grenze seines Todes bleibt er, der mit Christus schon auferstanden ist, in der Welt des Vorletzten, in die Jesus einging und in der das Kreuz steht. So hebt auch die Auferstehung, solange die Erde steht, das Vorletzte nicht auf, aber das ewige Leben, das neue Leben bricht immer mächtiger in das irdische Leben ein und schafft sich in ihm seinen Raum."

"Christliches Leben ist Leben mit dem menschgewordenen, gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus, dessen Wort als ganzes uns in der Botschaft von der Rechtfertigung des Sünders aus Gnaden begegnet. Christliches Leben heißt Menschsein inkraft der Menschwerdung, heißt gerichtet und begnadigt sein inkraft des Kreuzes, heißt ein neues Leben leben in der Kraft der Auferstehung. Eines ist nicht ohne das andere."

Zwei Zitate aus dem Kapitel "Die letzten und die vorletzten Dinge", die sich in der Ethik Dietrich Bonhoeffers finden (Dietrich Bonhoeffers Werke Bd. 6, 3. Auflage der Taschenbuchausgabe 2010), S. 137-162.

Samstag, 29. Januar 2011

Evangelisch glauben

Evangelisch glauben ist kein Privileg von Christen, die durch Mitgliedschaft der evangelischen Kirche angehören. Evangelisch glauben heißt, in einer ganz bestimmten Weise auf das Evangelium von Christus bezogen Christ zu sein.
Luther und seine Mitstreiter in Wittenberg haben in den Jahren 1512-1519 in besonders klarer Weise diesen Glaubensstil wiederentdeckt. Er besteht in einer Verknüpfung von vier sich gegenseitig stützenden und erklärenden Bausteinen:

Allein Christus (solus Christus): Christus ist die Mitte, das Zentrum des christlichen Glaubens, und zwar Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene, als Tröster und Zuflucht in der Anfechtung und Orientierung in der Lebensführung.










Allein die Gnade (sola gratia): In Christus wendet sich Gott uns voller Erbarmen, in der Fülle seiner Gnade, zu. Er vergibt uns unsere Schuld und schenkt uns die Gewißheit, dass dies auch so ist.

Allein der Glaube (sola fide): Im Glauben gehen wir eine direkte Beziehung zu Christus ein und sind uns des Zuspruchs Gottes völlig gewiss. Der Glaube ist damit keine Autoritätshörigkeit, sondern das Erlebnis, sich ganz von Gott geliebt, angenommen und erneuert zu wissen.

Allein die Schrift (sola scriptura): Christus, Gnade und Glaube sind das, wofür die Schrift als apostolisches Zeugnis des Evangeliums die Augen öffnet. Die Schrift ersetzt die Tradition als Autorität, nicht um zu einer erneuten Gefangenschaft zu führen, sondern das Gewissen zu einer Bindung allein an Christus zu befreien.

Luther in der Leipziger Disputation 1519:
"Für einen Katholiken [= Christen, gleich welcher Konfession] ist es nicht notwendig, über die Dinge hinaus, die ihm durch die Schrift bezeugt werden, noch weitere zu glauben." (16. These)
"Die Autorität der Konzilien [der nachapostolischen Autoritäten] steht unter der Autorität der Schrift" (These 17)

Lektüretipp: Volker Leppin, Martin Luther, 2. Auflage, Wissenschaftliche Buchgesellschaft: Darmstadt 2010, 72-164.

Freitag, 7. Januar 2011

Glaubensweisheit

"Das ist doch das Vorletzte!"
so spricht die Gelassenheit des Glaubens

Dienstag, 4. Januar 2011

Presence of God

Seit einigen Wochen lese ich intensiver Texte von Ingolf Dalferth, der immer wieder danach fragt, in welcher Weise sich im christlichen Glauben "Gottes Gegenwart" zeigt. Er denkt dem, was das Wesen des Evangeliums ausmacht, mit philosophischer Ausdrucksfähigkeit nach, was seine Texte nicht leicht oder schnell lesbar macht, aber weil man lange und an Gehaltvollem "kaut", hat man gerade deshalb ein gutes "Sättigungsgefühl" nach der Lektüre.
Hier zunächst ein Zitat aus einem seiner eher ausnahmsweise in englischer Sprache geschriebenen Bücher.

"In all its varieties the Christian sense of the presence of God individualizes, i.e. transforms particular human beings into individual persons. When it dawns upon me that I live in the present, and can become present to my present, because God becomes present to me, I begin to realise my infinite dignity and uniqueness of being singled out by God. God becomes present to me as my God or God for me and places me as his singled-out creature in the presence of my creator. This marks me off from my physical, communal and personal environments but also relates me to them as one who is meant to live his life in this world in the presence of God."
(aus: Becoming present. An inquiry into the Christian Sense of the Presence of God, Leuven 2006, S. 29)

Die Art und Weise, wie er dies schreibt und entfaltet, spricht mich sehr an.

Sonntag, 2. Januar 2011

Gott mit offenen Augen sehen

Die spannende Geschichte einer Blindenheilung und die daran anschließenden Diskussionen und Worte Jesu finden wir in dem zusammenhängenden Textabschnitt
Johannes 9,1-10,39. Meine Fragestellung: Was sehen wir von Gott, wenn Jesus uns wie dem Blinden die Augen öffnet? Wenn wir spirituell sehend werden?

Wir erkennen Gott als den, der in „guten Werken“ heilt und schöpferisch wirkt (9,3-7; 9,32-33, 10,32)
Wir erkennen Gott als den, der in Jesus selbst erscheint.
Wir erkennen Jesus als Menschensohn und verehren ihn als Herrn (9,35-38)
Jünger des Mose erkennen im Gesetz Gottes wahres Wesen nicht; es erzeugt sogar falsche Beurteilung von Menschen: der Blinde sei ein Sünder (V.34); Jesus sei ein Sünder, weil er am Sabbat heilt (V.16)
Gott zeigt sich als Vater, der Jesus, den Sohn, sendet, damit wir Jesus als Sohn erkennen und so Leben und volle Genüge haben sollen (10,10)
Der Sohn und der Vater sind eins(10,30)
Der Sohn ist vom Vater in die Welt gesandt (10,36)
Jesus ist der Gute Hirte, der sein Leben lässt für die Schafe (10,11), er gibt sein Leben für uns 17)
Hier wie auch sonst wird deutlich: Das Thema der Johannesevangeliums ist Jesus selbst - Jesus als Offenbarung des Wesens Gottes: Gott kommt heilend und rettend auf uns zu und gibt sich für uns hin.