Montag, 17. Dezember 2012

Christliche Freiheit Teil 1


Wenn ich das Wort Freiheit höre, dann weckt dieses Wort in mir positive Gefühle. Ich selbst bin Kind tief gläubiger Eltern und meine Kindheit war von intensiver Religiosität geprägt, also von einer starken Bindung an Gott und Verantwortung meiner Eltern für ihre Kirche. Niemals aber – so glaube ich – habe ich mich unfrei, unmündig gemacht, abhängig oder fremdbestimmt gefühlt. Bis heute erfahre ich Glauben als einen Lebensstil, der Freiheit und Bindung, Mündigkeit und Solidarität, Selbstbestimmung und Verantwortung für andere miteinander verknüpft. Als Christ ist Freiheit für mich nicht die Einladung zu Bindungslosigkeit, zur Selbstverabsolutierung oder gar zur Willkür. Meine Bindung an Gott, meine Zugehörigkeit zu Jesus Christus und seiner Kirche hat aber auch nichts mit Versklavung, Unmündigkeit oder Fremdbestimmung zu tun.

Anders das Bild von Kirche und Christsein, das in der Öffentlichkeit weit verbreitet ist: Die Kirchengemeinden seien eher konservativ, ihre Mitglieder wollten mit Glaubensvorstellungen und Organisationsstrukturen leben, die stark traditionsgebunden sind und auf Gehorsam, Einschränkung setzen. Wer Kirchgänger ist, sei eher an Verbindlichkeit, Gehorsam, Weisung orientiert als an Freiheit, Liberalität, Flexibilität, Wagnis. Das ganze „Setting“ von Kirche habe etwas Ordnendes, Vorgegebenes, ja auch Bevormundendes. Aber auch die Gemeindeglieder erleben ihre Kirche oder Gemeinde oft fordernd und die individuelle Freiheit einschränkend.[1] Dass betrifft auch Mitglieder der sogenannten Freikirchen und selbst der Evangelischen Kirche, die sich als „Kirche der Freiheit“ versteht.[2]

Die westliche Gesellschaft versteht sich als eine offene und experimentierende, sich ständig reformierende und andauend modernisierende Gesellschaft. Sie lobt sich für ihren Liberalismus, für wirtschaftliche, rechtliche, wissenschaftliche, künstlerische Freiheiten, für ihre Fähigkeit zu Humor und Satire und für die Erwartung, daß der Beleidigte sich in seiner Ehre gerade nicht gekränkt fühlt. Sie proklamiert neoliberal „Mehr Freiheit wagen“ oder „Flexibilität“, sie verspricht dem Einzelnen „Autonomie“, „Chancen“, „Mobilität“ und „Entscheidungsfreiheit“. In den Medien inszeniert sie sich aber auch selbstkritisch, deckt Skandale und Ungerechtigkeiten auf vor dem Hintergrund der für jedes Individuum geltenden Menschenrechte und seiner Menschenwürde. 

Engagierte Christen sind Menschen beider Welten: sowohl Bürger der Kirche/Gemeinde wie auch Bürger in der westlichen Gesellschaft. Wo erfahren wir mehr Freiheit: In der Gesellschaft oder in der Kirche? Oder in beiden? Oder: Weder da noch dort? 

Freiheit verstehe ich im Folgenden als Öffnungserfahrung zu mehr Erlebnis- und Handlungsspielräumen sowohl von Einzelnen als auch von sozialen Gruppen (Klassen, Minderheiten, Milieus). Im persönlichen Bereich können das differenzierte Einsichten sein, erweiterte Kompetenzen durch Ausbildung, Studium oder Weiterbildung, ein Arbeitsplatz mit wachsender Eigenverantwortung und Mitbestimmung, aber auch der Gebrauch von technischen Mitteln, die mehr Bewegungsfreiheit ermöglichen. Freiheit distanziert von Zuständen, die den Charakter der Mühle, des Hamsterrades und der vollständigen Anpassung haben. Genau das ist Unfreiheit: es ist die Erfahrung von Einschließung, also gefangen, eingeschränkt, entmündigt, begrenzt, gegängelt oder bevormundet zu sein. Freiheit ist daher nur zu gewinnen, wenn das Risiko unangepassten Verhaltens eingegangen wird, das sich repressiven Vorgaben widersetzt.

Im zwischenmenschlichen Bereich können Öffnungserfahrungen den Charakter von Anerkennungserfahrungen haben: Jemand öffnet sich mir, ich mich einer Person oder einer Gruppe – das geht nur bei gegenseiter Anerkennung.[3] Individuelle Freiheit und soziale Freiheit als Anerkennung in Form von Liebe, Wertschätzung und Rechtsgleichheit bedingen einander und stehen in einem gegenseitigen Steigerungsverhältnis.
 
Ermöglicht Kirche, ermöglicht Glaube, ermöglicht Gott Freiheit schenkende Öffnungserfahrungen und Anerkennungserfahrungen?


[1] R. Schieder, Wieviel Religion verträgt Deutschland?, Frankfurt am Main 2001, S. 57: „Ein religiöses Leben, in dem nie die autonomiefördernde Funktion von Religion erfahren wurde, ist ein Unglück.“
[2] Vgl. Kirche der Freiheit. Perspektiven für die Evangelische Kirche im 21. Jahrhundert, hrsg. von der EKD 2006 (http://www.ekd.de/download/kirche-der-freiheit.pdf). Eine der wirkmächtigsten Schriften Luthers trägt den Namen: „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Vgl. auch J. Moltmann (Hg.), Religion der Freiheit. Protestantismus in der Moderne, München 1990.
[3] Zur Philosophie der Anerkennung vgl. A. Honneth, Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, Frankfurt am Main 1992; ders., Das Ich im Wir. Studien zur Anerkennungstheorie, Frankfurt am Main 2010.

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