Freitag, 22. Februar 2013

Christliche Freiheit 3 - Jesus von Nazareth


Jesus von Nazareth greift diese Verheißung auf und sieht sie in seinem Wirken sichtbar werden. Er hat einen genauen Blick für die bedrückenden Zustände in Palästina. Er sieht die große Armut, in der die Mehrheit der Bevölkerung lebt. Er sieht auf den Gassen und außerhalb der Dörfer die Kranken, die Besessenen, die Weinenden, die Trauernden, die Hungrigen. Er sieht ein Festhalten an falschen Sicherheiten: Er sieht unermesslichen Reichtum, satte und zufriedene Menschen, die das Leid ausblenden und mit sich rundum zufrieden sind und allein darum besorgt, ihren Besitz nicht zu verlieren. Er sieht die Gewalt der Mächtigen, die unter allen Umständen an ihrer Macht festhalten wollen und danach streben, Erster zu sein. Er sieht Fromme, die den Leidenden ihr Leid als Folge von Sünde zuschreiben und sonst darauf bedacht sind, minutiös Speise- und Reinigungsverordnungen einzuhalten, die im Laufe der Zeit den biblischen Regeln hinzugewachsen waren. Er sieht einen Tempel, der zu einem Handelsunternehmen verkommen ist. Jesus sieht einen tiefen Mangel an Barmherzigkeit und Solidarität. Er sieht eine Gesellschaft, in der Besitzende, Mächtige und Fromme nicht solidarische und damit befreiende Gemeinschaft schaffen, sondern tiefere Gräben zwischen die Menschen treiben.

In den Seligpreisungen stellt sich Jesus radikal auf die Seite der Armen, Hungernden und Leidenden. Er verspricht ihnen eine baldige Änderung ihrer Situation im Reich Gottes. (griech. basileia theou). Das Reich Gottes ist die Welt und Gesellschaft universaler Solidarität. In voller Kraft ist das Reich zwar noch eine zukünftige Größe (Mk 13,26–27), aber es bricht nach Jesus schon gegenwärtig an, vor allem auch in seinem eigenen Wirken. Jesus ist von der Grundgewissheit getragen, dass die heilvolle Gottesherrschaft nicht erst nach dem Weltgericht beginnt, sondern schon in die Gegenwart hineinreicht, gewissermaßen aus der Zukunft in die Gegenwart hineinspringt. Jesus verkündet: die Königsherrschaft Gottes ist im Anbruch. Den Gegenwartsaspekt des Reiches Gottes bindet Jesus an die heilenden und befreienden Erfahrungen, die Menschen in der Begegnung mit ihm machen, vor allem Kranke und Besessene. Jesus wendet sich als Befreier (Exorzist) immer wieder diesen fremdbestimmten, dem eigenen Ich verlustig gegangenen Menschen zu, um sie aus Gefangenschaft herauszuholen.

Die Spiritualität Jesu ist radikal auf Gottes Reich ausgerichtet und bezieht von dort her eine befreiende „Sorglosigkeit“. Das zukünftige Reich Gottes bestimmt für Jesus schon die Gegenwart: Und daher tritt an die Stelle irdischer Sorge um die eigene Zukunft das absolute Vertrauen in die Sorge des himmlischen Vaters. „Sorgt euch nicht um das Leben, was ihr esst, noch um den Leib, was ihr anzieht! Denn das Leben ist mehr als die Nahrung, und der Leib mehr als die Kleidung. Blickt auf die Raben! Sie säen nicht, sie ernten nicht, noch haben sie eine Scheune. Aber Gott nährt sie doch. Wie viel mehr seid ihr wert als die Vögel! Also sorgt euch nicht: Was sollen wir essen, was  trinken, was anziehen? Nach dem allen trachten nämlich die Völker. Euer Vater weiß, dass ihr dessen bedürft. Sucht ihr nur seine Herrschaft, und dies wird euch hinzugegeben werden.“ (Auszüge aus Mt 6,25-34)

Jesus führte die Männer und Frauen vor die Frage: Wer bin ich angesichts der Gottesherrschaft? Einige rief er in besonderer Weise in seine Nähe und damit in die Nachfolge und Wanderschaft: „Folge mir nach!“ Jesus reißt sie aus traditionellen sozialen Verpflichtungen heraus:  „Folge mir nach und lass die Toten ihre Toten begraben!“ (Mt 8,22 par). An die Stelle bürgerlicher, dörflicher Traditionen tritt das Risiko, in der engen Gemeinschaft mit Jesus seinen Vater als barmherzigen Gott kennenzulernen, dessen Reich unmittelbar bevorsteht. Das bedeutet Konzentration auf die Gegenwart und das Zukünftige. In der Nähe Jesu, in der Nachfolge, lernen sie Barmherzigkeit und die Fähigkeit, die Ausgeschlossenen in ihre Gemeinschaft mit einzuschließen. Jesus lehrt sie, die in ihrer Gesellschaft Unscheinbaren zu sehen, die vielen chronisch Kranken, Tagelöhner, Frauen, die sich mit Prostitution über Wasser halten, Kinder mit ihren Müttern. Sie lernen glauben, d.h. an der Seite Jesu verzichten sie auf die üblichen Sicherheiten, um sich einer ungesicherten Freiheit im Vertrauen zum gütigen Vatergott zu stellen. Sie lassen sich auf das Abenteuer ein, die sich nahende „Gottesherrschaft“ zur alles bestimmenden Mitte ihrer Existenz werden zu lassen. Gerade auch Frauen konnte Jesus eine befreiende Anerkennung vermitteln, die sonst unüblich war. Man denke nur an Maria und Martha, Maria von Magdalena oder an die samaritanische Frau am Jakobsbrunnen.

Eine Quäkerweisheit bringt den spirituellen Lebensstil Jesu ziemlich gut auf den Punkt: „Grenzenlos glücklich, absolut furchtlos und immer in Schwierigkeiten.“ Jesus thematisierte in einigen Gleichnissen die Gefährlichkeit der von ihm gelebten Spiritualität, die ja in einem völlig ungesicherten Vertrauen auf Gottes Güte und Vorsorge gründete und dabei die bestehenden Machtstrukturen in Frage stellte. Er rechnete auch mit Verfolgung bin hin zum Martyrium, das er dann schließlich mit seinen Zeichenhandlungen in Jerusalem bewusst riskierte. Sein messianisches Wirken zielte nicht auf eine realpolitische Machtergreifung in Jerusalem, sondern darauf, dass Gott, sein Vater, rettend zum Heil der Welt eingreift. In Gewaltlosigkeit hat er dies bis zum demütigenden und entwürdigenden Tod am Kreuz – von den Römern als „Herren der Welt“ veranlasst – durchgehalten.

Gott hat seinen Sohn nicht im Tod gelassen, sondern auferweckt und ihn zum wahren Herrn der Welt eingesetzt: das bezeugen die ersten Apostel, die ihn als Auferstandenen sahen. Ihr Evangelium lautet: In Jesu Geschick hat Gott tatsächlich rettend und befreiend eingegriffen. Gott war in Christus, er hat die Welt durch seinen Sohn mit sich selbst versöhnt, die Sünden vergeben und das Tor zum neuen, ewigen Leben geöffnet. Wer an Jesus und mit ihm verbunden an den barmherzigen Vater glaubt, gewinnt Anteil an Gottes neuer Schöpfung. Diese Wahrheit macht spirituell frei und so erklärt Jesus im Johannesevangelium den Juden, die ihm geglaubt hatten: Wenn ihr in meinem Wort bleibt, so seid ihr wahrhaft meine Jünger; und ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird euch frei machen. Sie antworteten ihm: Wir sind Abrahams Nachkommenschaft und sind nie jemandes Sklaven gewesen. Wie sagst du: Ihr sollt frei werden? Jesus antwortete ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Jeder, der die Sünde tut, ist der Sünde Sklave … Wenn nun der Sohn euch frei machen wird, so werdet ihr wirklich frei sein (Joh 8,31-36; vgl. dazu auch Röm 6,14 und Röm 8,2). Seiner Gemeinde spricht er zu: „Ich sage hinfort nicht, dass ihr Knechte seid; denn ein Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich gesagt, dass ihr Freunde seid; denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan.“ Der Vater liebt den Sohn. In diese Liebe wird die Gemeinde durch die Freundschaft Jesu hineingenommen. Sie kann somit die Wahrheit bezeugen: Gott ist die Liebe. Größte Gottesnähe und höchste Anerkennungserfahrung liegen hier ineinander.

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