Sonntag, 4. April 2010

Was ist eine gute Religion?

Vor einiger Zeit hat die NZZ diese Frage einigen "Intellektuellen" gestellt. Die Text wurden 2006/2007 publiziert und sind immer noch als Dossier zugänglich. Sie sind äußerst anregend zu lesen und fordern dazu heraus zu fragen: Was ist für mich "gute Religion"?
Diese Frage soll die Leitfrage meiner Predigt bei der nächsten AWA-Tagung sein, bei der es um neue Religiosität in säkularer Gesellschaft geht.
Hier schon einmal ein Text, den ich vor einiger Zeit geschrieben habe und für den Blog leicht überarbeitet habe.

Gute Religion gibt die Möglichkeit, reflektiert an Gott zu glauben

Reflektierter Glauben kann den Glauben an Gott stärken und vertiefen. Dieser Glaubensstil nimmt in der Moderne einen Platz zwischen Relativismus und Fundamentalismus ein.

Die" postmoderne" relativistische Weltsicht als offensive Reaktion auf die Komplexität der modernen Gesellschaft ist vom Zweifel als Grundform geprägt. Weil es keine absolute Perspektive gibt, ist auch von keiner absoluten Wahrheit auszugehen. Typisch für diese Position ist der sogenannte „radikale Konstruktivismus“. Der Relativist distanziert sich vornehm von allen letztgültigen Aussagen, er möchte nicht als intoleranter Eiferer auftreten. Er ereifert sich höchstens für seinen Relativismus und verachtet – meist verdeckt – all diejenigen, die leidenschaftlich Position beziehen. Die Stärke seiner Position besteht darin, dass er wirklich zu verstehen versucht. Er beobachtet bei den meisten Menschen eine Neigung zur vorschnellen Bewertungslust, die meist von ungenauen Informationen und schlechtem Zuhören begleitet ist. Ganz anders der Relativist: Er kann zuhören und genau wahrnehmen. Als intensiver Beobachter, der sich platten Urteilen enthält, fällt es ihm eher schwer, vom Verstehen auf das Beurteilen umzuschalten. Es könnte ja sein, dass seine Beurteilung auf falschen Beobachtungen beruht. Er zieht eher seine Beobachtungen in Zweifel, als einen Sachverhalt, z.B. das Verhalten bestimmter Personengruppen, zu verurteilen. So enthält er sich meist moralischer Bewertungen. Aber er hält lieber Distanz, als sich zu engagieren, er hält lieber an seinen gut begründeten Vorbehalten gegenüber jeder zu festen Bindung fest – nicht zuletzt auch, wenn es um Religion geht. Der Relativist strukturiert sich seine Wirklichkeit eher wie eine Talkshow, er versteht sich als Moderator unterschiedlicher, sich widerstreitender Standpunkte, ohne selbst eine autoritäre Position z.B. durch Beurteilungen einzunehmen. Er ist glücklich dabei, dass jeder zur Sprache kommen darf und alles offen bleibt. Auch in sich läßt der Relativist fast alles zu, er wirkt auf andere nicht selten als jemand, der nicht zu greifen ist, keinen Standpunkt hat, mal so und mal so denkt oder handelt. Er fühlt sich wohl in diesem Pluralismus.

Ganz anders die fundamentalistische Weltsicht als Reaktion auf die Komplexität der Moderne, die von der Sicherheit als Grundform geprägt ist. Weil es eine absolute Perspektive gibt – die Offenbarung Gottes – ist auch von einer absoluten Wahrheit auszugehen, der Wahrheit der eigenen Überzeugung, die sich ja völlig an der Offenbarung orientiert. Zweifel an dieser sicheren Wahrheit werden als Sünde gedeutet. Die Reflexion der eigenen Position verbietet sich der Fundamentalist, nichts scheut er mehr als eine Relativierung, z.B. durch Ironie und Humor. Der Fundamentalist ist leidenschaftlich, er liebt es sogar, als intoleranter Eiferer aufzutreten, denn die Anfeindungen, die ihm als Folge entgegenschlagen, bestätigen ja nur, dass sich die Wahrheit unbeliebt macht. Er sieht sich dann in einer Reihe mit Propheten und Gotteszeugen, die für die Wahrheit ins Martyrium gegangen sind. Als kompromißloser Zeuge der Wahrheit liegt ihm nicht daran, andere Wahrheitsvertreter zu verstehen; er pflegt lieber stereotype, ja verschwörungstheoretische Urteile über Positionen, die aus seiner Sicht von der Wahrheit abirren und ein bedrohliches Potential besitzen sollen, vor dem nicht genug gewarnt werden kann. Denn die Verführungskünste des Teufels lauern überall, ja selbst unter den Wahr-heitsfreunden. Der ausgeschlossene Zweifel schleicht sich mit der letzten Überlegung in Selbstzweifeln wieder ein, nämlich in der Angst, vom rechten Weg abzuirren. Der Fundamentalist strukturiert sich seine Realität hierarchisch, also mit einer obersten monarchischen Spitze, der er – wie bei einer Pyramide – alles weitere in guter Ordnung unterordnet. Er plädiert für straffe Hierarchien in der Kirche (z.B. für das Papsttum) und versucht sie auch im Privaten durchzusetzen (z.B. hat der Vater der Vorsteher der Familie zu sein). In seinem Inneren soll alles in gleicher Weise geordnet sein. Die Glaubensinhalte stehen an oberster Stelle, also Gott und die wahre Gemeinde. Ihrem Dienst wird alles untergeordnet, die Leidenschaften und Triebe werden weiter unten angesiedelt und oft nur mit starkem Druck unter Kontrolle gehalten. Der Zweifel wird ganz ausgeschlossen, er vegetiert in den tiefen Verließen der inneren „Staatssicherheit“ als gefährlicher Feind vor sich hin.

Der reflektierende Glaube läßt sich in einigen Aspekten (nicht in allen!) mit dem Bild eines demokratischen Parlaments veranschaulichen. Im Parlament sind verschiedene Parteien vertreten, von denen eine oder mehrere als Mehrheit die Regierung bilden. Der Regierung steht die Opposition gegenüber, die immer wieder das Denken und Handeln der Regierung kritisch hinterfragt. Übertragen auf den reflektierenden Glauben heißt das: Die verschiedenen Parteien stehen für die Wahrnehmung und Akzeptanz von Pluralismus, die Regierung für das Interesse, einen klaren Standpunkt bei Berücksichtigung der Vielfalt zu vertreten. Die Regierung ist der Gottesglaube, vermittelt durch eine bestimmte Konfession. Die innere Mehrheit plädiert für diesen Glauben und setzt ihn gegen die innere Opposition durch. Die Minderheit, die Opposition, besteht aus den Überzeugungen anderer Konfessionen, anderer Religionen oder des Atheismus. Es gibt auch eine Partei des Zweifels, die im inneren Parlament akzeptiert und für wichtige kritische Einwände geschätzt wird. Die Regierung ist – wie in einer guten Demokratie – an einer starken Opposition interessiert, die herausfordert und hilft, den eigenen Standpunkt zu reflektieren und gute Anregungen auch aufzunehmen. Es handelt sich um eine dialogfähige Regierung. Unter die 5%-Klausel fallen in diesem Parlament aggressive Fundamentalismen (religiöse Gruppen mit völlig verdrehten Feindbildern und der Tendenz, physische Gewalt gegenüber Andersdenkenden auszuüben) als auch Relativisten, die sich nicht einmal mehr die Mühe machen, zu verstehen (Null-Bock-Mentalität).

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