Dienstag, 20. April 2010

Was ist eine gute Religion (3)

Schüleraussage (aus dem heutigen Unterricht): „Es gibt keine „gute Religion“, jeder hat etwas an einer anderen Religion auszusetzen.“ Aus dem Blick der einen Religion sind die anderen weniger gut oder gar schlecht. Summiert man das, bleibt an allen etwas hängen. Keine ist ausgenommen. Der Beobachter stellt fest: Reklamation! Makel allerorts!
Versuchen wir es anders: Ist der Monotheismus im Gegenüber zum Polytheismus eine gute Religion? Das Christentum im Gegenüber zum Judentum und zum Islam? Der Protestantismus im Gegenüber zu Orthodoxen und katholischen Kirchen? Die Freikirchen im Gegenüber zu den Volkskirchen? Meine Freikirche gegenüber anderen Freikirchen? Mein Verständnis des Glaubens gegenüber dem aller anderen, die es nicht ganz so gut wie ich verstanden haben? Aber wie kann eine Religion gut sein, die allein die meine ist und allein in meinen Augen gut ist? Da ist kein zweiter, der so glaubt wie ich!
Und genau das ist der Schlüssel!
Ja, eine Religion ist gut, wenn sie die Möglichkeit gibt, einen individuellen Zugang zu Glauben zu gewähren, zu erlauben, zu ermöglichen, zu fördern.
Eine Religion ist gut, die anerkennt, dass diese Möglichkeit nur in der modernen funktional differenzierten Gesellschaft offen steht. Die Grundrechte, die Menschenrechte geben mir den Raum, meine individuelle Religiosität oder Nichtreligiosität zu leben und zu pflegen. Wir sind allesamt Patchwork-Fromme. Jeder von uns könnte eine neue Kirche mit seinen Idealen von einer „guten Religion“ gründen.
Eine Religion, d.h. eine religiöse Organisation oder Kultur ist gut, wenn sie dies erkennt und innere Freiräume gewährt, wenn sie ins interkonfessionelle und interreligiöse Gespräch eintritt und sich lernfähig zeigt.
Eine Religion ist gut, wenn sie zwischen Staat und Religion differenzieren kann, weder religiöse Politik, noch politische Religion fördert.
Eine Religion ist gut, wenn sie Meinungsfreiheit gewährt, wenn sie zwischen Religion und Wissenschaft differenzieren kann, weder religiöse Wissenschaft noch Wissenschaftsreligion fördert.
Gute Religion ist reflexiv, differenziert, selbstkritisch. Sie sitzt nicht Verschwörungstheorien auf, sondern hilft, sie zu durchschauen.
Sie sagt nicht:
"Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein." sondern: "Und willst Du nicht mein Bruder sein, so schlag mir doch den Schädel ein".
Gute Religion ist pazifistisch (nicht unbedingt gute Politik!), gewaltfrei, schwach und arm. Sie hält nichts in den Händen. Sondern sie weiß sich gehalten. Ihr einiger Schatz ist, dass sie Räume, Zeiten, Liturgien, Personen, Texte, Worte bereit hält, die offen sind hin zum dem, was wir Modernen Transzendenz nennen, große Transzendenz, Öffnung hin zu dem, was die ganze Wirklichkeit trägt.
Monotheisten sagen: Gott spricht! Christen sagen: Gott spricht durch die Bibel, das Evangelium! Protestanten sagen: Gott spricht zu!

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