Montag, 2. November 2009

Kohelet als Philosoph

Noch ein Nachtrag zum Buch Kohelet, zu dem ich in den letzten Wochen eine Reihe von Texten gepostet habe. Ein regelmäßiger Leser des Blogs (Christian Wannenmacher) hat mich auf einen lesenswerten Artikel aufmerksam gemacht, der die auch von mir herausgestellte philosophische Dimension des Buches Kohelet (Prediger Salomo) betont und den Text als "Klassiker" jüdischer Philosophie bezeichnet. Hier ein Zitat:

"Sollte sich herausstellen, dass Kohelet »auch unter den Philosophen ist«, wie Saul unter den Propheten, sollte sich ergeben, dass das Buch Kohelet nicht nur zum biblischen Kanon, sondern zum Kanon der klassischen jüdischen Philosophie gehört, dann würde sich vom philosophischen Standpunkt die Frage erheben, welche Reflexionsressourcen in ihm verborgen liegen und wir müßten das Buch in der gleichen Weise abhandeln wie irgend einen Klassiker der Philosophie, nämlich als das Werk eines nach wie vor ernstzunehmenden Denkers. So wurde es zumeist in der Geschichte der jüdischen Philosophie rezipiert. Salomon galt schon im Altertum als eine Art Philosophenkönig und jüdische Philosophen fühlten sich durch seine »heiligen Schriften« immer angesprochen. Insbesondere das Buch Kohelet kam mit seinen allgemeinen Aussagen einem philosophischen Traktat am nächsten. Zugleich war es wegen seiner Skepsis hinsichtlich Unsterblichkeit und der Vergeltung für die jüdischen Philosophen, wie zuvor schon für die Rabbinen, ein dauernder Anstoß.
Ehe wir auf die Frage antworten können: »Ist auch Kohelet unter den Philosophen?« müssen wir deshalb grundsätzlich feststellen, was ein philosophischer Text sei. Uns drängen sich sieben Kriterien auf:
1. Die Philosophie fragt von Anfang an nach dem Ganzen des Seins und dem Nichts (Totalität)
2. und zwar vom fragenden Ich aus, das zugleich seinen Ort und das Ziel seines Daseins im Ganzen des Seins sucht (Subjektivität).
3. Dabei wird der Erkennende zugleich auf die Selbsterkenntnis und die Möglichkeiten und Grenzen der Erkenntnis zurückgeworfen (Reflexivität)
4. und stellt alle herkömmlichen Sinngebungen in Frage (Kritik)
5. Hierbei befreit es sich aus den beschränkten sozialen, nationalen und religiösen Grenzen (Universalität),
6. anerkennt aber zugleich auch die unhinterfragbaren Gegebenheiten des Bewußtseins und Seins (Positivität).
7. Die Philosophie entwickelt diese Gedanken in zusammenhängender Weise, auch wenn sie in sentenziöser oder aphoristischer Form daherkommt (System).
Von diesen Kriterien erfüllt das Buch Kohelet die sechs ersten beinahe in Reihenfolge und das siebte nach wohlwollender Prüfung."

aus: D. Krochmalnik, "Ist auch Kohelet unter den Philosophen?", in: Daniel Krochmalnik/Magdalena Schultz (Hrsg.), Ma-Tow Chelkenu. Wie gut ist unser Anteil. Gedenkschrift für Jehuda Radday, Heidelberg 2004, S. 87-104.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen