Montag, 15. Februar 2010

Glaube bei Paulus (4)

Wenn wir durch das Evangelium an Jesus Christus glauben, dann treten wir in eine tiefe Liebesbeziehung zu Gott ein. Paulus kann diesen Glauben auch als „Erkennen“ bezeichnen. So spricht er davon, dass er Christus als Gekreuzigten und Auferstandenen erkennen möchte. Damit meint er nicht eine intellektuelle Erkenntnis, sondern eher ein „Sehen“, ein „Anschauen“, so wie sich Liebende einander in tiefer Freude und ohne Verlegenheit anschauen können und einander ganz nahe sind. In Philipper 3,6-11 wechseln sich „erkennen“ und „glauben“ ab:

Aber was auch immer für mich Gewinn [wertvoll] war, das habe ich wegen des Christus für Verlust [wertlos] gehalten; ja wirklich, ich halte auch alles für Verlust [wertlos] aufgrund der unübertrefflichen Größe der Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, um dessentwillen mir alles wertlos wurde und ich es für Dreck halte, damit ich Christus gewinne und mich in ihm befinde, indem ich nicht meine Gerechtigkeit habe, die vom Gesetz her kommt, sondern die [Gerechtigkeit] durch den Glauben an Christus, die Gerechtigkeit, die von Gott her kommt, mittels des Glaubens, um ihn zu erkennen: sowohl die Kraft seiner Auferstehung als auch die Gemeinschaft seiner Leiden; gleichgestaltet seinem Tode [bin ich/möchte ich sein] damit ich die Auferstehung aus den Toten erreiche werde.

Dass Paulus an ein Schauen denkt, verdeutlicht 2. Korinther 3,18. Hier spricht Paulus direkt von einem gegenseitigen Anschauen, das für den Gläubigen verwandelnden Charakter hat:

Wir alle aber schauen mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn an und werden so verwandelt in dasselbe Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, wie es vom Herrn, dem Geist, geschieht.

In Gal 4,9 nimmt Paulus diese Vorstellung, sich gegenseitig anzublicken, auf und hebt hervor, wer zuerst anschaut – nicht wir Menschen, sondern Gott. Wer glaubt, weiß sich von Gott erkannt, das heißt liebevoll, gütig, rettend angeblickt.

Nun aber erkennt ihr Gott, vielmehr ihr seid von Gott erkannt.“

Das Bewußtsein, Christus durch Schau gleichgestaltet zu werden, ist eine außergewöhnliche Erfahrung, die Gefühl, Verstand und Wille ganzheitlich umfasst. Dieses Erkennen Christi und Gottes ist die Gipfelerfahrung des Glaubens, weil sie Ewigkeit in der Gegenwart erfahren lässt. Sie trägt aber eine mögliche Gefahr in sich, nämlich zu meinen, schon am Ziel angekommen zu sein, vollendet zu sein. Wer sich vollkommen wähnt, beginnt überheblich zu werden und verliert augenblicklich das, was die Gottesschau geschenkt hat, nämlich die Freiheit von aller Selbstbezogenheit, das Hineingenommensein in die Liebe Gottes. Den Korinthern, die in dieser Gefahr standen, musste Paulus ins Stammbuch schreiben:

„Die Erkenntnis bläht auf, die Liebe aber baut auf. Wenn jemand meint, er habe etwas erkannt, hat er noch nicht so erkannt, wie man erkennen muss. Wenn einer aber Gott liebt, dieser ist von ihm erkannt.“ (1 Kor 8,1-3 eÜ)

Für Paulus ist die Erkenntnis des Glaubens die Erkenntnis der Liebe Gottes, wie sie sich unüberbietbar am Kreuz offenbart hat. Darum möchte Paulus auch dem Tode Christi gleichgestaltet werden. Die Gemeinschaft mit Christus im Leiden zeigt auch, dass das endgültige, leibhaftige Schauen Christi noch zukünftig ist. Wiederum den Korinthern verdeutlicht er:

Solange wir im Leibe wohnen, weilen wir fern vom Herrn, denn wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen. (2 Kor 5,7)

Diese gegen einen überheblichen Enthusiasmus gerichtete Einschränkung finden wir auch in 1. Korinther 13,12:

Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.

Hier wird auch deutlich, dass der Glauben keine Weltanschauung ist, mit der alles erklärt werden kann – keine Prophezeiung, keine charismatische Erkenntnis reicht so weit. Das Evangelium ist gerade kein Herrschaftswissen, das Überlegenheit schafft. Aber was das Evangelium gewiss vermittelt, ist die rettende Erkenntnis, von Gott erkannt zu sein. Gott sieht mich ganz, erkennt mich völlig, aber diese Erkenntnis führt in Christus nicht zum Tod, sondern zum ewigen Leben. Von Gottes Liebe erkannt zu sein, von der Liebe Christi ergriffen zu sein (Phil 3,12), diese Erkenntnis schenkt das Evangelium ganz gewiss. Darum kann Paulus in Galater 2,20 zuversichtlich bekennen:

Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben.

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