Montag, 20. Juli 2009

Gottesverlassenheit

Unter Gottesverlassenheit (von Gott verlassen sein) könnte man sich vorstellen, dass man zu Gott spricht und er nicht antwortet, oder dass man sich in einer trostlosen, hoffnungslosen Situation befindet (Krankheit, Einsamkeit, Armut...). Ich erlebe eine vielleicht sehr moderne Gottverlassenheit, nicht in der Stille, sondern in der Kommunikation: Ich nehme mir vor, mich in den Begegnungen des Tages so auf die Menschen einzustellen, mit denen ich sprechen werde (SchülerInnen, KollegInnen, Freunde, Verwandte, Partner), dass ich bereichernd, liebevoll, wertschätzend, wahrhaftig, transparent, achtsam und natürlich auch humorvoll kommuniziere. Und was macht die Kommunikation daraus? Sie treibt ihr eigenes Spiel. Ein Wort gibt das andere, mit einer Dynamik, der die Gedanken kaum folgen können. Worte des anderen lösen verbale Formulierungen und schematische Antworten bei mir aus, die so schnell abgefeuert werden, dass ich mit meinen Gedanken gar nicht hinterherkomme - war ich es oder war es die kommunikative Situation, die gesagt hat, was gesagt wurde? Diese erstaunliche aber auch erschreckende Selbstorganisation der Kommunikation kann wertschätzenden Charakter erhalten, aber ebenso auch in die gegenteilige Richtung abdriften. Unsere Entgegnungen färben sich mit einem Male negativ ein: ironisch, zynisch, abwertend, übertreibend, angeberisch, besserwisserisch, ängstlich, vorsichtig, verschweigend, beschämend, verachtend, bissig, sarkastisch - und beide merken es erst später, nachdem alles schon gelaufen ist. Wo ist Gott gewesen? Warum passiert das allen Menschen, auch denen, die sich so sehr wünschen, achtsam zu kommunizieren? Es gibt Mönchsorden, die dieses Problem an der Wurzel zu fassen suchen, indem sie vor allem miteinander schweigen und beten (z.B. die Karthäuser, vgl. den Film "Die große Stille"). Die moderne Gesellschaft aber zwingt uns zum Dauerreden. Um damit zwangsläufig zu gelungener wie gescheiterter Kommunikation. Eine Lösung wurde im 20. Jahrhundert schon popularisiert: gelungene Metakommunikation. Man rekonstruiert mit Einfühlungsvermögen im Nachhinein die unterschiedlichen Perspektiven, Erwartungen, Ansprüche, die zum Gelingen oder Scheitern geführt haben. Aber auch Metakommunikation kann mißlingen.
Christliche Spiritualität kennt einen weiteren Schritt: das gemeinsame Gebet, das gemeinsame Bringen des Scheiterns oder Gelingens in Klage oder Dank vor Gott. Im gemeinsamen Gebet, auch in der Klage, ist Gott gegenwärtig! Er stärkt, was gelungen, er heilt, was mißlungen, indem er sich im Gebet ins Spiel bringt. Im Gebet wird die Dynamik der Kommunikation nicht nur mit sondern durch Gott wach und läßt uns Dinge sagen, die wir außerhalb des Gebetes nicht sagen könnten.

1 Kommentar:

  1. Bekannte Situation - sehr bereichernde Gedanken dazu. Danke, Christian!

    AntwortenLöschen