Samstag, 29. Dezember 2012

Christliche Freiheit - Teil 2

Freiheit im Alten Testament

In 1. Mose 1,26-27 wird das altorientalische Exklusivrecht der Könige auf Gottesebenbildlichkeit allen Menschen zugesprochen: „Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei ...Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bild, zum Bild Gottes schuf er ihn, und schuf sie als Mann und Frau“ (1. Mo 1,26–27). Der Text stellt schlicht fest, dass alle Menschen Königen gleichen und damit Adelsstatus haben. Dies ist eine starke durch Gott zugesprochene Form der Anerkennung. Alle haben in ihrer Sozialität die Würde und die Vorrechte eines Fürsten. Alle sind damit freie Menschen und Repräsentanten Gottes. Faszinierend ist weiter die Aussage, dass sie es als Mann und Frau sind. Frau und Mann gemeinsam sind das Ebenbild Gottes. Bild Gottes sind wir somit nicht als Einzelwesen, sondern als Mitmenschen; wir sind Bild Gottes in unserer Bezogenheit auf andere. Mann und Frau stehen nicht nur für sexuelle Partnerschaft, Fruchtbarkeit und Ebenbürtigkeit der Geschlechter, sondern für alle freien schöpferischen Beziehungen unter Menschen. Frau und Mann symbolisieren, dass menschliche Beziehungen immer kreativ sind, nicht nur im biologischen, sondern auch im kulturellen Sinn. Immer wenn Menschen einander in wechselseitiger Anerkennung als Mitmenschen begegnen, werden sie gemeinsam schöpferisch tätig.

Wenn wir als Gemeinschaftswesen Gottes Ebenbild sind, ist dann nicht Gott selbst auch ein Gemeinschaftswesen? Der Text spricht es vorsichtig aus: "Lasset uns machen" fordert Gott sich selbst auf. Hier deutet sich an, dass Gott in sich unterschieden ist. Gott selbst ist eine Liebesgemeinschaft. Der gemeinschaftliche Gott ist somit das Kreativitätszentrum der Welt. Als seine Ebenbilder sind wir Menschen als Partner seiner Kreativität anerkannt. Mann und Frau gründen eine Familie, Sängerinnen und Sänger bilden einen Chor, Handwerker organisieren einen Betrieb, Kaufleute prägen eine Firma, Lehrer formen eine Schule, Musiker spielen in einer Band oder in einem Orchester. Wenn wir als Mitmenschen partnerschaftlich und ebenbürtig miteinander tätig sind, dann blühen wir auf, entdecken unsere Gaben und entfalten sie. An dieser gemeinschaftlichen Kreativität ist unser Bewusstsein beteiligt. Wir analysieren mit unserem Verstand und erkennen mit unserer Vernunft das Ganze der Wirklichkeit. Wir können verstehen, wer wir sind und wie die Wirklichkeit beschaffen ist, in der wir leben. Wenn wir als Menschen die Welt in ihrer Ganzheit zu verstehen suchen, dann sind wir Ebenbild Gottes. Gerade auch, wenn wir die Welt mit Leib und Seele als seine Schöpfung erkennen und genießen – nicht zuletzt in der freien Zeit der Muße, des Sabbats, in der wir von Pflichten frei die Spielräume der Schöpfung ausloten können.

Die Berufung Abrahams wird in 1. Mose 12,1-3 als Herausführung durch Gott aus dem vertrauten sozialen Lebensraum dargestellt. Gott ruft Abraham und Sara in eine größere Zukunft hinein und macht sie deshalb zu Wanderern. Glaube wird im 1. Mose 12–50 als ein Wagnis verstanden, Gottes Verheißungen als Anerkennung- und Öffnungserfahrung zu vertrauen und daraufhin eingespielte Lebensbereiche zu verlassen (Jesus wird ebenfalls diese Lebensform praktizieren).

Bei Hungersnöten zogen die halbnomadisch lebenden Nachkommen Abrahams ins wasserreiche Ägypten. Dort gerieten sie in Abhängigkeit und wurden zu Fronarbeitern gemacht (2. Mo 1). Die Ägypter nannten sie abfällig „Hebräer“, was wohl „Fremdarbeiter“ oder „Asoziale“ hieß. Sie wurden bei staatlichen Baumaßnahmen eingesetzt. Gott solidarisierte sich mit diesen Hebräern (vgl. 2. Mo 3,18; 5,3; 7,16; 10,3). Das 2. Buch Mose berichtet, wie diese entmutigte, zum politischen Handeln unfähige, unterdrückte Gruppe fremdländischer Fronarbeiter durch die Initiative des Gottes, den sie Jahwe nennen, einen politischen Führer erhalten, der ihnen hilft, sich aus ihrer Unterdrückung zu befreien. Der Exodus war eine religiös fundierte, politische Befreiungsaktion, die von Ägypten mit militärischen Mitteln erfolglos bekämpft wurde. Das gibt dem biblischen Glauben eine politische Dimension, deren Kern die Sichtweise und Sichtbarmachung der sozial Erniedrigten und Gedemütigten ist. In Psalm 146,7 wird diese Präferenz Gottes[1] gelobt: „Er schafft Recht den Bedrückten, er gibt den Hungrigen Brot. Der Herr macht die Gefangenen frei.“ Der Glaube an Gott diente nicht der Legitimation eines monarchischen Anspruchs auf göttlichen Status, wie es der Fall in Ägypten oder Babylonien war, sondern stellte übergriffige Herrschaft in Frage. Gott schenkte einer Gruppe von Unterdrückten inneren Zusammenhalt und gab ihnen die Möglichkeit, Ägypten zu verlassen, um eine freiere, gerechtere Gemeinschaft im „gelobten Land“ aufzubauen.

Das deuteronomistische Geschichtswerk, das im babylonischen Exil konzipiert wurde und auf ältere Quellen zurückgriff (es umfasst die Bücher Josua, Richter, 1. und 2. Samuel, 1. Könige und 2. Könige) erzählt das Gelingen und Scheitern dieses Projekts. Die freie und gerechte Gesellschaft stellte sich aufgrund notorischen Unglaubens der Führungsschicht nicht ein. So wuchs die Hoffnung auf eine geistliche Umwandlung durch Gott und auf einen gesalbten König (Messias), dessen Herrschaft zur befreienden Gerechtigkeit führt. Jesaja 61,1 lässt diesen ersehnten Messias eines neuen Bundes sprechen: „Der Geist des Herrn, ist auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, den Elenden frohe Botschaft zu bringen, zu verbinden, die gebrochenen Herzens sind, Freilassung auszurufen den Gefangenen und Öffnung des Kerkers den Gebundenen.“



[1] Vgl. G. Gutiérrez, Theologie der Befreiung, Mainz/München 1973.

Montag, 17. Dezember 2012

Christliche Freiheit Teil 1


Wenn ich das Wort Freiheit höre, dann weckt dieses Wort in mir positive Gefühle. Ich selbst bin Kind tief gläubiger Eltern und meine Kindheit war von intensiver Religiosität geprägt, also von einer starken Bindung an Gott und Verantwortung meiner Eltern für ihre Kirche. Niemals aber – so glaube ich – habe ich mich unfrei, unmündig gemacht, abhängig oder fremdbestimmt gefühlt. Bis heute erfahre ich Glauben als einen Lebensstil, der Freiheit und Bindung, Mündigkeit und Solidarität, Selbstbestimmung und Verantwortung für andere miteinander verknüpft. Als Christ ist Freiheit für mich nicht die Einladung zu Bindungslosigkeit, zur Selbstverabsolutierung oder gar zur Willkür. Meine Bindung an Gott, meine Zugehörigkeit zu Jesus Christus und seiner Kirche hat aber auch nichts mit Versklavung, Unmündigkeit oder Fremdbestimmung zu tun.

Anders das Bild von Kirche und Christsein, das in der Öffentlichkeit weit verbreitet ist: Die Kirchengemeinden seien eher konservativ, ihre Mitglieder wollten mit Glaubensvorstellungen und Organisationsstrukturen leben, die stark traditionsgebunden sind und auf Gehorsam, Einschränkung setzen. Wer Kirchgänger ist, sei eher an Verbindlichkeit, Gehorsam, Weisung orientiert als an Freiheit, Liberalität, Flexibilität, Wagnis. Das ganze „Setting“ von Kirche habe etwas Ordnendes, Vorgegebenes, ja auch Bevormundendes. Aber auch die Gemeindeglieder erleben ihre Kirche oder Gemeinde oft fordernd und die individuelle Freiheit einschränkend.[1] Dass betrifft auch Mitglieder der sogenannten Freikirchen und selbst der Evangelischen Kirche, die sich als „Kirche der Freiheit“ versteht.[2]

Die westliche Gesellschaft versteht sich als eine offene und experimentierende, sich ständig reformierende und andauend modernisierende Gesellschaft. Sie lobt sich für ihren Liberalismus, für wirtschaftliche, rechtliche, wissenschaftliche, künstlerische Freiheiten, für ihre Fähigkeit zu Humor und Satire und für die Erwartung, daß der Beleidigte sich in seiner Ehre gerade nicht gekränkt fühlt. Sie proklamiert neoliberal „Mehr Freiheit wagen“ oder „Flexibilität“, sie verspricht dem Einzelnen „Autonomie“, „Chancen“, „Mobilität“ und „Entscheidungsfreiheit“. In den Medien inszeniert sie sich aber auch selbstkritisch, deckt Skandale und Ungerechtigkeiten auf vor dem Hintergrund der für jedes Individuum geltenden Menschenrechte und seiner Menschenwürde. 

Engagierte Christen sind Menschen beider Welten: sowohl Bürger der Kirche/Gemeinde wie auch Bürger in der westlichen Gesellschaft. Wo erfahren wir mehr Freiheit: In der Gesellschaft oder in der Kirche? Oder in beiden? Oder: Weder da noch dort? 

Freiheit verstehe ich im Folgenden als Öffnungserfahrung zu mehr Erlebnis- und Handlungsspielräumen sowohl von Einzelnen als auch von sozialen Gruppen (Klassen, Minderheiten, Milieus). Im persönlichen Bereich können das differenzierte Einsichten sein, erweiterte Kompetenzen durch Ausbildung, Studium oder Weiterbildung, ein Arbeitsplatz mit wachsender Eigenverantwortung und Mitbestimmung, aber auch der Gebrauch von technischen Mitteln, die mehr Bewegungsfreiheit ermöglichen. Freiheit distanziert von Zuständen, die den Charakter der Mühle, des Hamsterrades und der vollständigen Anpassung haben. Genau das ist Unfreiheit: es ist die Erfahrung von Einschließung, also gefangen, eingeschränkt, entmündigt, begrenzt, gegängelt oder bevormundet zu sein. Freiheit ist daher nur zu gewinnen, wenn das Risiko unangepassten Verhaltens eingegangen wird, das sich repressiven Vorgaben widersetzt.

Im zwischenmenschlichen Bereich können Öffnungserfahrungen den Charakter von Anerkennungserfahrungen haben: Jemand öffnet sich mir, ich mich einer Person oder einer Gruppe – das geht nur bei gegenseiter Anerkennung.[3] Individuelle Freiheit und soziale Freiheit als Anerkennung in Form von Liebe, Wertschätzung und Rechtsgleichheit bedingen einander und stehen in einem gegenseitigen Steigerungsverhältnis.
 
Ermöglicht Kirche, ermöglicht Glaube, ermöglicht Gott Freiheit schenkende Öffnungserfahrungen und Anerkennungserfahrungen?


[1] R. Schieder, Wieviel Religion verträgt Deutschland?, Frankfurt am Main 2001, S. 57: „Ein religiöses Leben, in dem nie die autonomiefördernde Funktion von Religion erfahren wurde, ist ein Unglück.“
[2] Vgl. Kirche der Freiheit. Perspektiven für die Evangelische Kirche im 21. Jahrhundert, hrsg. von der EKD 2006 (http://www.ekd.de/download/kirche-der-freiheit.pdf). Eine der wirkmächtigsten Schriften Luthers trägt den Namen: „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Vgl. auch J. Moltmann (Hg.), Religion der Freiheit. Protestantismus in der Moderne, München 1990.
[3] Zur Philosophie der Anerkennung vgl. A. Honneth, Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, Frankfurt am Main 1992; ders., Das Ich im Wir. Studien zur Anerkennungstheorie, Frankfurt am Main 2010.

Es geht wieder weiter

Heute erreichte mich ein Brief mit Karte und der lieben aber nachdrücklichen Aufforderung, doch bitte den Blog weiterzuschreiben ("Viel zu wenig freudiges und motivierendes ist [im Internet] zu finden"). Vielen Dank C. 
In den letzten zwei Jahren war ich nicht untätig, habe viel geschrieben, aber ich hatte keine Energien mehr frei für den Blog . Mal sehen, ob sich das wieder ändert. Ich beginne damit, einen Artikel zur christlichen Freiheit in mehreren Posts zu veröffentlichen, den ich dieses Jahr geschrieben habe und der in einer Aufsatzsammlung erschienen ist (dazu bald mehr....).