Freitag, 30. Oktober 2009

Friedenstugenden

Glücklich sind die Armen im Geist, denn ihrer ist das Reich der Himmel.
Glücklich sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.
Glücklich sind die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben.
Glücklich sind die, die nach der Gerechtigkeit hungern und dürsten, denn sie werden gesättigt werden.
Glücklich sind die Barmherzigen, denn ihnen wird Barmherzigkeit widerfahren.
Glücklich sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.
Glücklich sind die Friedensstifter, denn sie werden Kinder Gottes heißen.
Glücklich sind, die um Gerechtigkeit willen Verfolgten, denn ihrer ist das Reich der Himmel.“
Moisés Mayordomo charakterisiert die Seligpreisungen in der Bergpredigt Jesu als "Friedenstugenden". Die Seligpreisungen oder Glücklichpreisungen sind nicht einfach Zuspruch, also Zusage der Gnade, aber auch nicht Forderung von Werken, von Handeln. Sie charakterisieren vielmehr eine bestimmte Art von Menschen, die Friedenstugenden repräsentieren. "Es geht nicht um das Sollen, sondern um das Sein des Menschen. Die Frage ist nicht, wer aufgrund welcher Handlungen in die Himmelsherrschaft gelangt, sondern zu welcher Art von Menschen die Himmelsherrschaft kommt" (S.14). Mayordomo definiert Tugenden als "Charakterdisposition..., die Urteile und Emotionen umfasst und dadurch moralisches Handeln intrinsisch motiviert." Ich finde diese Zugangsweise sehr hilfreich. In den Seligpreisungen werden nicht Normen gesetzt oder Forderungen aufgestellt, sondern eine Charakterdisposition, ein ethischer Habitus beschrieben, der zum Reich Gottes "passt". Tugenden sind Ausdruck eines Wesens. Wer diese Tugenden "besitzt", bezweckt nicht etwas mit ihnen, er will nicht etwas erreichen, gewinnen, sondern er will etwas in ihnen Wahres zum Ausdruck bringen, ja zum Leuchten bringen.

Moisés Mayordomo, Gewaltvermeidung in der Bergpredigt, in: Zeitschrift für Neues Testament (Heft 24 Bergpredigt) 12. Jahrgang (2009), S. 12-21.

Mittwoch, 28. Oktober 2009

Frau an der Spitze der Evangelischen Kirche in Deutschland

Margot Käßmann wurde heute, am 28. Oktober 2009, als Nachfolgerin von Wolfgang Huber zur neuen Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gewählt. Eines ihrer Anliegen ist die Profilierung evangelischer Spiritualität. In einem Vortragsmanuskript zum Kirchentag in Bremen 2009, das auf ihrer Website zu finden ist, stellt sich diese als erstaunlich "konsverativ" heraus: Das Kreuz als Zentrum der Spiritualität, dazu 4 Säulen (die ich jetzt ganz knapp zusammenfasse): orientierende Bibellektüre, ermutigender und stärkender Gottesdienst, das loslassende und befreiende Gebet, schließlich das Singen von Klassikern aus dem Gesangbuch.

Die Bergpredigt und Taize

In der nächsten Zeit möchte ich mich intensiver mit der Bergpredigt beschäftigen. In dem Buch "Die Geschichte von Taizé" von J.-C. Escaffit und Moiz Rasiwala (Herder: Freiburg 2009) lese ich gerade (S. 27):
"Die spätere Regel von Taizé übernimmt ihren geistlichen Grundton von den 'Veilleurs' [ein protestantische Orden, 1929 vom Pfarrer W. Monod ins Leben gerufen]: 'Lass dich durchdringen vom Geist der Seligpreisungen: Freude, Einfachheit, Barmherzigkeit." - Dies ist die dritte geistliche Weisung in der Regel. Die ersten beiden lauten: "Lass in deinem Tag Arbeit und Ruhe von Gottes Wort ihr Leben empfangen. Wahre in allem die innere Stille, um in Christus zu bleiben." (S. 32)

Dienstag, 27. Oktober 2009

The Leisure Society - The Sleeper



Das ist es - mein Album des Jahres 2009 (jedenfalls für die Abendstunden). Folk-Pop mit herrlichsten akustischen Instrumenten: Ukulele, Banjo, Mandoline, Akustische Gitarre, Sitar, Glockenspiel, Klavier, Hammond Orgel, Melodica, Harmonium, Flöte, Violine, Cello, Klarinette (Bass Gitarre und Perkussion fehlen nicht, aber fein dosiert). Alles Instrumente die es in meinem Musik-Himmel unter allen Umständen geben muss.
Dazu diese einprägsamen und doch ganz neuen Melodien, Harmoniegesang - enfach nur schön, romantisch, träumerisch, sehnsüchtig, anrührend...
Die geposteten Songs sind Nr. 3 und Nr. 6 von insgesamt 11 Perlen.

Religion im Koalitionsvertrag

Kaum ist der Koalitionsvertrag veröffentlicht und unter Dach und Fach, wird er auseinandergenommen - zu Recht in einer Demokratie. Da wird über das Problem der Finanzierung der Vorhaben gesprochen, über die Bevorzugung FDP-naher Lobbygruppen, über die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken...
Ich habe den Vertrag mal in Hinblick auf die Erwähnung von Religion durchgeschaut, immerhin haben ihn zwei Parteien mit einem C im Namen mitverfasst. Das Ergebnis ist überraschend dürftig, aber doch auch ziemlich aufschlußreich, besonders, wenn man als Lehrer an einer Schule tätig ist. Ich stelle die Zitate einfach mal zusammen und überlasse des dem Leser, der Leserin, die Aussagen zu verknüpfen.

S. 1, Z. 8-9: Wir achten, schützen und verteidigen die Wirtschaftsordnung der Sozialen Marktwirtschaft mit aller Kraft. (Ist das die Religion der Koaliton??)
S 13., Z. 633: CDU, CSU und FDP bekennen sich zur Tarifautonomie (interessantes Bekenntnis)
S. 19, Z. 946-947: Wir bekennen uns zur Solarenergie als wichtige Zukunftstechnologie am Standort Deutschland (noch so ein Bekenntnis :), nicht das letzte)
S. 51, Z. 2539-44: Bildung ist Bedingung für die innere und äußere Freiheit des Menschen. Sie schafft geistige Selbständigkeit, Urteilsvermögen und Wertebewusstsein. Bildung und Forschung sind Grundlagen des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts. Bildung ist Voraussetzung für umfassende Teilhabe des Einzelnen in der modernen Wissensgesellschaft. Bildung ist daher für uns Bürgerrecht. Deswegen sagen wir der Bildungsarmut den Kampf an. (Gehört religiöse Bildung auch zur Bildung?)
S. 58, Z. 2894-95: Wir werden die Geistes- und Sozialwissenschaften stärken, die von großer Bedeutung für unser kulturelles Gedächtnis und die Gestaltung unserer Zukunft sind.(im "kulturellen Gedächtnis" ist auch die jüdische und christliche Religion enthalten)
S. 63: Z. 3132-33: Wir wollen Eltern, Betreuungseinrichtungen, Schulen und Einrichtungen der Jugendarbeit in ihrer werteorientierten Erziehungsverantwortung bestärken.
S. 86: Z.4281-86: Den Christlichen Kirchen kommt eine unverzichtbare Rolle bei der Vermittlung der unserem Gemeinwesen zugrunde liegenden Werte zu. Wir wissen, dass auch andere Religionen Werte vermitteln, die einen positiven Einfluss auf unsere Gesellschaft haben. Wir achten alle Religionszugehörigkeiten. Besondere Verantwortung tragen wir für die jüdischen Gemeinden als Teil unserer Kultur. Wir werden den Dialog mit den Kirchen, Glaubensgemeinschaften und religiösen Vereinigungen noch stärker betreiben.
S. 110, 5498-504: Die enge Abstimmung und das gemeinsame Handeln der westlichen Wertegemeinschaft, d.h. der aufgeklärten, rechtsstaatlichen Demokratien dieser Welt, waren und bleiben eines der Erfolgsrezepte deutscher Außenpolitik. Auch in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts betrachten wir die Idee des Westens als
Grundlage und seine Institutionen als Plattform deutscher Außenpolitik. In der Zeit der Globalisierung muss der Westen zu mehr Geschlossenheit finden, um seine Interessen durchzusetzen und gemeinsame Werte zu bewahren. (Vgl. Winkler, Geschichte des Westens, 2009, der den Monotheismus, die Trennung von Staat und Religion und das christliche Menschenbild als Voraussetzung des Konzeptes der Menschenwürde zu den Grundwerten des "Westens" zählt).

Es lohnt sich wirklich, sich der Mühe der Lektüre dieses Vertrags zu unterziehen, es ist das Arbeitsprogramm unseres deutschen Gemeinwesens für die nächsten 4 Jahre. Ich habe manch´ Überraschendes gefunden.
http://www.spiegel.de/media/0,4906,21958,00.pdf

Montag, 26. Oktober 2009

"Long, long, long" von den Beatles (George Harrison)



Seit dem 9.9.09 gibt es alle Beatles-Alben in erheblich verbesserter Klangqualität auf CD, z.T. ist es eine Hör-Offenbarung, vor allem beim "White Album" von 1968, auf dem die Beatles zum erstenmal vollständig erwachsen klingen. Keine Jungs-Band mehr, auch die psychedelische Phase von 1966-1967 ist verlassen, nun ist alles klar, radikal in der vollen Bandbreite möglicher Pop- und Rocksounds bis hin zur Avantgarde (Revolution 9) - Max Dax spricht im neuen SPEX von einem "bis heute unbegreiflichen Meisterstück" (S. 130). Da höre ich eben aus den 30 Songs des Doppelalbums zum erstenmal eine Perle heraus, die etwas versteckt ist, ein George-Harrison-Song, und was entdecke ich, als ich den Songtext recherchiere: es ist ein religiöses Lied (womit ich bei den Beatles trotz ihrer Meditationsexpeditionen 1967/68 bisher kaum gerechnet hatte; Harrison war weitaus am stärksten auf religiöser Suche). Es könnte zwar auch ein Liebeslied sein, aber in der Anlage des Textes (und auch aufgrund von Aussagen Harrisons selbst) ist doch deutlich, dass es hier um ein transzendentes Du, um "Gott" geht. In Anführungsstrichen, da Harrisons Gottesverständnis 1968 stark hinduistisch geprägt ist. Dennoch, der Text in seiner sehr zurückhaltenden Form ist ein Gebet, das interreligiös gehalten ist (expliziter später in "My Sweet Lord" von 1970).

"It's been a long long long time,
How could I ever have lost you
When I loved you

It took a long long long time
Now I'm happy I found you
How I love you

So many tears I was searching
So many tears I was wasting, oh. Oh -

Now I can see you, be you
How can I ever misplace you
How I want you
Oh I love you
You know that I need you.
Ooh I love you.

Sonntag, 25. Oktober 2009

Treue zum Beruf

Morgen geht für mich wieder die Arbeit mit Schülern los, ruhige unterrichtsfreie Tage mit Korrekturen und langfristiger Unterrichtsplanung weichen jetzt dem Rhythmus der Unterrichtsstunden, Konferenzen, Sitzungen, schulbezogenen Gesprächen.
Zur Berufsarbeit habe ich bei Karl Barth in seiner Kirchlichen Dogmatik (Band III,4, S. 738-739) schöne Passagen gefunden (als ich mal schauen wollte, was Barth zu Kohelet/Prediger Salomo schreibt), aus denen ich zwei Auszüge zitieren möchte. Wichtig ist übrigens der Hinweis, dass Barth unter "Beruf" nicht nur die bezahlte Berufsarbeit, sondern jede Tätigkeit versteht, die für einen Menschen den Mittelpunkt seiner Aktivitäten bildet und von ihm/ihr als zentrale Aufgabe verstanden wird.

"Treue im Beruf heißt positiv: daß ich dem meinigen wie er ist, nun eben Genüge zu tun suche, so gut ich kann, nach bestem Wissen und Gewissen, schlecht und recht, ohne links noch rechts zu sehen, in der Hingabe an die Sache, um die es nun eben hier für mich geht: immer auf dem Hintergrund und im Lichte der Erkenntnis, daß eben dies nun nicht von ungefähr und auch nicht nur auf Grund meiner Wahl, sondern nach Gottes Plan und Vorsehung gerade meine Sache ist, und daß er mich jetzt beruft, sie recht zu machen."

"Es warten die Menschen, in deren Mitte man zu wirken hat, es warten die Dinge, die Verhältnisse, die Probleme gerade auch in ihrer alltäglichen Gestalt nicht darauf, daß da jemand sei, der bereit ist, sich ihnen mit mehr oder weniger Heroismus und Getöse zu opfern. Sondern es wollen die Menschen, so wie sie sind, gesehen, verstanden, in ihrer Lage und von ihnen aus bedacht, angeredet, behandelt werden, und es verlangen auch die kleinsten Dinge, die einfachsten Verhältnisse und Probleme unser Eingehen auf ihre Eigenart, unsere Willigkeit, sich in sie zu versenken....wir sind dazu da, uns im Maß, im Tempo, in der Art unserer Anstrengung und Bewegung nach ihnen zu richten, ihr Bedürfnis, ihre Würde, ihren Zweck in uns aufzunehmen, um ihnen dann und unter dieser Voraussetzung unser eigenes Mögliches, unser Bestes zuzuwenden."

Samstag, 24. Oktober 2009

Die gegenwärtige Bedeutung des Buches Kohelet (Prediger Salomo)

Kohelet ist dasjenige Buch des Alten Testaments, das am deutlichsten philosophisch argumentiert. Hier denkt jemand nach, sinniert und reflektiert über das Leben, auch mit Bezug zu Gott, aber immer von einem Standpunkt „unter der Sonne“ aus, sozusagen „empirisch“. Man könnte auch sagen: Gott spricht ihm nicht hinein, unterbricht ihn nicht, rügt ihn auch nicht. Er hält sich im Hintergrund, bleibt „im Himmel“. Und ein solcher Text ist Teil des biblischen Kanons! In der jüdischen Religion wird also nicht nur geglaubt (Gottes Worten) und gehorcht (seinem Gesetz), sondern auch nachgedacht und reflektiert (weisheitlich philosophiert). Glauben und Denken werden somit in ein fruchtbares Spannungsverhältnis gebracht. Die frühen Christen haben diese Weite der jüdischen Religion geerbt und fortgeführt. Heute theologisch denken bedeutet darum immer beides: Gottes Wort hören und verstehen, wie auch die Welt deuten und im Gespräch mit dem zeitgenössischen Denken verstehen.
Philosophisch denken heißt, sich interkulturell und interreligiös zu orientieren. Das Predigerbuch verwendet sprachliche Formen und gedankliche Inhalte, die auch in Ägypten, Mesopotamien und Griechenland durchdacht wurden. So ist es ein Zeugnis „interkultureller Theologie“ (Markus Witte), deren Charakter es ist, empirisch, vergleichend, skeptisch, kritisch und reflexiv vorzugehen. Diese philosophischen Tugenden – das ist das Bedeutende – finden sich innerhalb des biblischen Kanons; die Bibel als Offenbarungsurkunde schließt also einen Text ein, der selbst keine Offenbarung ist, sondern Philosophie und zu deren Tugenden auch einlädt!
Philosophie hält auf Distanz, sie engagiert sich in der Regel weniger, als dass sie beobachtet und ihre Schlüsse zieht (Marx hat ihr das zum Vorwurf gemacht, was aber die Qualität seiner Philosophie nicht verbessert hat; er hat die Differenz von Weisheit und Politik einebnen wollen). Sie hält auch Gott auf Distanz. Er darf nur verborgen wirken, bleibt rätselhaft, jedenfalls bei Kohelet. Das ist gute Philosophie aber magere Religion. Denn Religion, die verändernde Begegnung zwischen Gott und Mensch, verspricht Gottesnähe. Religion verheißt, dass es eine Bewegung vom Gott „über der Sonne“ hin zur Welt „unter der Sonne“ gibt. Christen glauben, dass sich diese Bewegung in Jesus Christus ereignet hat. Gott ist der liebende Vater und der menschgewordene Sohn.
Aber diese Nähe des liebenden Vaters und die Nachfolge Jesu kann auch Christen hin und wieder „verloren“ gehen, aufgrund von Lebenserfahrungen oder neuen gedanklichen Herausforderungen. Kohelet kann dann zu einem intellektuellen und existentiellen Aufenthaltsort „am Rande“, aber eben nicht außerhalb, der jüdisch-christlichen Religion werden – eine philosophische Religion ohne Erlösung, ohne Rettung, ohne ewiges Heil und dennoch in Bezug auf einen Gott, der einen selbst und die Welt, geheimnisvoll und unergründlich am Leben hält.
Schließlich der „Hedonismus“ des Buches. Das gewährte Leben genießen, sich trotz Mühe und Vergänglichkeit freuen, das ist ein Akzent, der in jeder jüdischen und christlichen Lebensform nicht fehlen darf. Denn in der Freude, die die Gegenwart ganz gegenwärtig sein läßt, ist doch – Gott – gegenwärtig. Das jedenfalls verrät uns Kohelet.


Die letzten 14 Tage haben sie viele meiner Posts um das Koheletbuch gedreht. Es hat mir Freude gemacht, es genauer zu lesen und unter einigen Gesichtspunkten zu analysieren (um alle Posts dazu in einer Reihe zu haben, einfach das Label "Kohelet" anklicken). Den nächsten biblischen Text habe ich schon im Blick - die Bergpredigt, angeregt durch das Heft 24 der ZNT (Zeitschrift für Neues Testament). Ich bin schon gespannt, was diese Rede (Matthäus 5-7) an Anregungen und Einsichten auslösen wird.

Flaming Lips - Do you realize?



Die Flaming Lips - eine Rockband zwischen melancholischem Pop und experimentellen Noise - singen im wunderbar melodiösen "Do you realize" ganz auf der Linie von Kohelet vom Leben zwischen Glück und Vergänglichkeit - aber ohne Bezug zu Gott, Transzendenz ist nun das Universum (we´re floating in space; the sun doesn't go down).

Do You Realize - that you have the most beautiful face
Do You Realize - we're floating in space -

Do You Realize - that happiness makes you cry
Do You Realize - that everyone you know someday will die


And instead of saying all of your goodbyes - let them know
You realize that life goes fast
It's hard to make the good things last
You realize the sun doesn't go down
It's just an illusion caused by the world spinning round

Do You Realize - Oh - Oh - Oh
Do You Realize - that everyone you know
Someday will die -

And instead of saying all of your goodbyes - let them know
You realize that life goes fast
It's hard to make the good things last
You realize the sun doesn't go down
It's just an illusion caused by the world spinning round

Do You Realize - that you have the most beautiful face
Do You Realize

Freitag, 23. Oktober 2009

Yoko Ono - Liebe als Antrieb


Yoko Ono - das ist für Beatles-Fans die Frau, die die Beatles auseinander brachte. Für John Lennon war sie die Frau, durch die er Liebe lernte. Für Kunstkenner ist sie eine der bedeutensten Fluxus-Künsterinnen. Ein zentrales Konzept sind für sie "Instructions", Anweisungen an die Besucher ihrer Austellung wie z.B. "Reiße ein Loch in ein Blatt Papier und betrachte dadurch den Himmel." - "Höre auf einen Herzschlag"- "Hämmere einen aus der Wand heraushängenden Nagel in die Wand". Das bedeutet für sie Lebendigkeit (vgl. http://100acorns.blogspot.com/)

Im neuen Spex 323, S. 40-43, findet sich ein spannendes Interview mit Yoko Ono, in dem ich sie zum erstenmal selbst höre (nicht nur ihre Stimme, die mir in Songs immer zu sirenenhaft war) und ich bin schwer beeindruckt. Sie ist mittlerweile 76 Jahre alt.


Der Interviewer Max Dax fragt: "Sie gehen auch immer weiter, kommen künstlerisch nie zum Stillstand. Woher beziehen sie ihre Inspiration?" Sie antwortet:
"Meine Liebe zum Leben gibt mir die Kraft und die Energie. Wenn man die Liebe als Antrieb wählt, ist es leichter, Kunst zu produzieren. Viele Leute werden Künstler, weil sie reich werden wollen oder weil sie denken, sie könnten berühmt werden. Das mag ihnen sogar gelingen. Aber ich bin felsenfest der Überzeugung, dass Liebe der beste Antrieb ist, um gute Kunst zu machen. Liebe ist so eine unglaubliche Kraft. Die Kraft liegt im Lächeln. Kommt einem, ganz generell gesprochen, die Liebe abhanden, dann wird man krank. Erst verliert man seine Identität, anschließend die Gesundheit. Die Leute lachen immer, wenn ich so rede, aber ich glaube nun mal fest an die heilende Kraft der Liebe und an Liebe als Antrieb und Währung. Liebe ist eine sehr starke Währung. Auf alle Fälle ist Liebe eine stärkere Währung als Geld. Auch meine Kunst entsteht nicht als Beitrag zum Kunstmarkt, sondern um einen spirituellen Beitrag zu leisten. Die heilende Kraft, die auf diese Weise freigesetzt wird, wird sich in Weltfrieden manifestieren."
Nun ja, der letzte Satz erscheint mir etwas hochgegriffen, eine bei Künstlern nicht selten zu findende religiöse Überhöhung der Fähigkeiten von Kunst. Aber dennoch, ihr Statement hat mich ermutigt. Liebe als Antrieb für die Arbeit, nicht Anerkennung oder Geld.

Donnerstag, 22. Oktober 2009

Ausdruckformen von Spiritualität bei Kohelet (Prediger Salomo)

Die Spiritualität bei Kohelet drückt sich vor allem durch Stimmungen/Gefühle aus.
1. Das Gefühl der Enttäuschung. Es wird ausgelöst durch die umfangreichen, eindrücklich entwickelten Reflexionen dazu, dass alles, was Menschen erleben und tun, flüchtig und vergänglich ist. Wir sind in vieler Hinsicht Ausgelieferte, Getriebene, mit Mühe Beladene. Für Kohelet ist diese Enttäuschung, vielleicht sogar ein Gefühl existentieller Frustration und Traurigkeit wichtig für eine realistische Wahrnehmung der Wirklichkeit. Seine Kultur- und Gesellschaftskritik, seine Infragestellung vorgeblicher Glückskonzepte, sein kritisches Abwägen will Enttäuschung hervorrufen. Auch in der Beziehung zu Gott will Kohelet seine Zuhörer und Leser enttäuschen: Du kannst Gottes Handeln in der Welt nicht begreifen und es bringt nichts, mit der Erwartung zu rechnen, dass sich Frömmigkeit „auszahlt“, während Gottlosigkeit bestraft wird (Tun-Ergehen-Zusammenhang). Wer so erwartet, wird zwangsläufig enttäuscht werden. Zurecht. Denn „unter der Sonne“ können wir Gottes Handeln nur hinnehmen, an guten, wie an bösen Tagen. So stellt sich
2. das Gefühl der Gotttesfurcht ein. Die Enttäuschung führt zur Gottesfurcht, zum Erschrecken vor dem unbegreifbaren Gott, der alles in allem wirkt, aber genau darin nicht verstanden werden kann. Gottes Handeln – besonders angesichts der Frage nach Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit in der Welt – ist verhüllt. Gottesfurcht heißt, vor dem allmächtig und gleichzeitig verborgen handelnden Gott zu erschrecken, aber auch von ihm fasziniert zu sein. Diese Faszination führt zu einem überraschenden nächsten Gefühl,
3. zum Gefühl der Freude. Freude stellt sich ein in der Erkenntnis, dass Gott Gutes im mühevollen, vergänglichen Leben gewährt. Essen, Trinken und Liebe genießen reicht, um sich zu freuen. Dazu bedarf es nicht einmal immensem Reichtum, den Gott aber auch durchaus gewähren kann. In der Freude akzeptiert man die von Gott zugeteilten Zeiten des Glücks und Unglücks, ja die Freude ist sogar ein Gefühl, dass Vergangenheit und Zukunft vergessen läßt und einen ganz auf die zu genießende Gegenwart fokussiert. Es ist für Kohelet Gott selbst, der unsere Seele mit der Freude beschäftigt läßt, um uns von Sorge und Mühe zu entlasten.
Eine weitere Ausdrucksform der Spiritualität Kohelets ist sein Lehrtext selbst. Offensichtlich muss es Kohelet Freude gemacht haben, seine Reflexionen über Flüchtigkeit und Freude zu dichten, im Gespräch mit seinen Weisheitsvorgängern „anders“ zu denken, obwohl es ja eigentlich gar nichts „Neues“ geben kann.
Kohelet empfiehlt weiter eine reduzierte Frömmigkeitspraxis. Gebete sollen kurz sein (5,1), im Tempel spielt nicht das Opferhandeln, sondern das Hören auf die Predigt die wesentliche Rolle (4,17), Gelübde soll man ernst nehmen und umstandslos erfüllen (5,3). Diese Praxis passt gut zum Gefühl der Gottesfurcht: „Gott ist im Himmel, und du bist auf der Erde.“

Die "freien" Menschen

In "Das Ende der Liebe" verdreht Sven Hillenkamp unser Beobachten in genau die richtige Richtung, nämlich hin zum soziologischen und weg vom psychologischen Sich-Selbst-Verstehen. Ich beginne erst zu lesen, lasse mich aber gerne von seinen zugespitzten Feststellungen faszinieren. Hier ein Ausschnitt (S. 47-49), in dem deutlich wird, wie die aufgezwungene Freiheit der Postmoderne auch Gott in die Ferne rückt.

"Die Unendlichkeit, lange eine Sache von Religion und Mathematik, ist etwas Alltägliches geworden. Die Menschen begegnen ihr auf der Straße, im Supermarkt, zu Hause auf dem Sofa. Die Unendlichkeit sitzt in jedem Kopf. Kaum einer, der nicht, wenn auch heimlich, an sie glaubt. Die Menschen, die an die Unendlichkeit glauben, sollen hier die freien Menschen heißen.

Sie leiden, weil sie hinter den unendlichen Möglichkeiten zurückbleiben. Sie leiden, weil sie diesen Rückstand allein sich selbst anlasten. Sie glauben, schuld zu sein an ihrer Endlichkeit. Sie leben im Zustand permanenter Sehnsucht und permanenter Scham.

Die freien Menschen lieben ihre Arbeit nicht. Sie sind von ihrer Arbeit enttäuscht. Sie wollen eine andere Arbeit tun. Also wechseln sie - Beruf, Richtung, Abteilung, Firma. Sie haben die andere Arbeit schon immer tun wollen, nun ist es Zeit. Doch sobald sie die andere Arbeit tun, stellen sie fest: Sie lieben auch die andere Arbeit nicht.

Die Menschen lieben auch ihre Heimat nicht. Sie haben die Heimat schon in jungen Jahren verlassen. Sie sind von ihrer Heimat enttäuscht. Doch auch die Stadt, in die sie gezogen - geflohen - sind, lieben die Menschen nicht. Die Großstadt, die Weltstadt. Sie sind auch von dieser Stadt enttäuscht. Wo die Weltstadt sich noch nicht vollendet hat, nennen die Menschen sie provinziell; wo sie sich aber vollendet hat, nennen sie sie kommerziell. Sie sagen: »Es ist in Ordnung, einige Jahre in der Stadt zu leben, mehr nicht«.

Die Menschen lieben auch ihre Eltern nicht. Sie sind von ihren Eltern enttäuscht. Sie sagen: »Was meine Eltern im Namen der Liebe begonnen und ein ganzes Leben lang gelebt haben, ist in Wahrheit eine furchtbare Nichtliebe gewesen, ein Egoismus.«

Die Menschen lieben Gott nicht. Sie sind von Gott enttäuscht. Bevor sie sich von Gott ganz abgewandt haben, haben sie ihn herabgestuft zu einem »höheren Wesen«. Sie sagten: »Ich habe so ein Gefühl, dass da etwas ist: ein höheres Wesen.« Doch sie waren nicht mehr bereit, es als vollkommen und allmächtig zu verehren. Die Menschen wurden in allem, was das höhere Wesen anging, sehr kritisch. Sie hätten ihm nicht ihr Kind geopfert [Hillencamp spielt hier auf Isaaks Opferung an]. Sie sagten: »Das höhere Wesen tut mir gut. Es soll mir gut tun.« Die Menschen liebten das höhere Wesen nicht, sondern standen mit ihm in einem kritischen Dialog. Als sie merkten, dass das höhere Wesen ihnen nicht mehr gut tat, brachen sie den Dialog ab."

Sven Hillenkamp, Das Ende der Liebe. Gefühle im Zeitalter unendlicher Freiheit, Stuttgart: Klett-Cotta 2009.

Mittwoch, 21. Oktober 2009

Dienstag, 20. Oktober 2009

Dust in the Wind



Noch ein Song, der in einer Linie mit dem Vergänglichkeitsdiskurs bei Kohelet steht, stilvoll arrangiert von der vor allem in den 70er Jahren erfolgreichen Progressive Rock-Band "Kansas"; zwei Bandmitglieder wurden Anfang der 80er Jahre Christen.

Gottesnähe bei Kohelet – Freude im dem von Gott geschenkten Glück trotz Mühe und Flüchtigkeit des Lebens

Der von Gott gewährte Besitz der Weisheit selbst als Erfahrung der Nähe Gottes, wie sie so euphorisch in Sprüche 1-8 beschrieben wird oder noch inniger in der Weisheit Salomos 7-8, lehnt Kohelet ab. Weisheit ist für ihn keine charismatische Gabe Gottes (in Sprüche 8 ist die Weisheit sogar das erste Geschöpf Gottes noch vor der Weltschöpfung; in Jesus Sirach 24 hat sich die Weisheit im Gesetz Gottes inkarniert), sondern nur eine menschliche, zwar von Gott geschaffene Fähigkeit, die aber „unter der Sonne“ in ihrer Erkenntnisfähigkeit erheblich begrenzt ist.

Gottesnähe, soweit sie „unter der Sonne“ überhaupt erfahrbar sein kann, stellt sich vielmehr dann ein, wenn Gott in den positiven Widerfahrnissen wahrgenommen wird (2,24-25): "Es gibt nichts Besseres für den Menschen, als dass er isst und trinkt und seine Seele Gutes sehen lässt bei seinem Mühen. Auch das sah ich, dass dies alles aus der Hand Gottes kommt."
Glück „unter der Sonne“ ist angesichts der Flüchtigkeit menschlichen Lebens eine unverfügbare Gabe Gottes. Gottes letztlich nicht ergründbares Handeln im persönlichen Lebenslauf und in den Zeitläuften ruft die „Furcht vor Gott“ hervor, ein Erschrecken vor dem aus menschlicher Sicht unberechenbaren Gott (7, 13-14): „Sieh das Werk Gottes an! Ja, wer kann gerade machen, was er gekrümmt hat? Am Tag des Glücks sei guter Dinge! Und am Tag des Unglücks bedenke: Auch diesen hat Gott ebenso wie jenen gemacht!“
In die Gottesfurcht einbezogen ist aber eben auch die Wahrnehmung des von Gott geschenkten Glücks. Die dabei entstehende gegenwärtige Freude, die Vergangenes und Zukünftiges vergessen lässt, deutet Kohelet als starkes Gefühl, das er dem Wirken Gottes verdankt – er erkennt, dass es Gott ist, der Menschen mit diesem Gefühl beschäftigt (5,19). Diese Stimmung der Freude durchbricht damit den Flüchtigkeitscharakter des Lebens. Noch weitere sechs mal nach 2,24-25, also insgesamt siebenmal, stimmt Kohelet in diese freudige Gefühlslage ein, ja ermutigt zur Freude angesichts der Undurchschaubarkeit dessen, was einem selbst und anderen widerfährt:

3,10-13: Ich habe das Geschäft gesehen, das Gott den Menschenkindern gegeben hat, sich darin abzumühen. Alles hat er schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt, nur dass der Mensch das Werk nicht ergründet, das Gott getan hat, vom Anfang bis zum Ende. Ich erkannte, dass es nichts Besseres bei ihnen gibt, als sich zu freuen und sich in seinem Leben gütlich zu tun. Aber auch, dass jeder Mensch isst und trinkt und Gutes sieht bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes.

3,20-22: Alles geht an einen Ort. Alles ist aus dem Staub geworden, und alles kehrt zum Staub zurück. Wer kennt den Odem der Menschenkinder, ob er nach oben steigt, und den Odem des Viehs, ob er nach unten zur Erde hinabfährt? Und ich sah, dass es nichts Besseres gibt, als dass der Mensch sich freut an seinen Werken; denn das ist sein Teil. Denn wer wird ihn dahin bringen, hineinzusehen in das, was nach ihm sein wird?

5,17-19: Siehe, was ich als gut, was ich als schön erkannt habe: Dass einer isst und trinkt und Gutes sieht bei all seiner Mühe, mit der er sich abmüht unter der Sonne, die Zahl seiner Lebenstage, die Gott ihm gegeben hat; denn das ist sein Teil. Auch jeder Mensch, dem Gott Reichtum und Güter gegeben und den er ermächtigt hat, davon zu genießen und sein Teil zu nehmen und sich bei seiner Mühe zu freuen - das ist eine Gabe Gottes. Denn er denkt nicht viel an die Tage seines Lebens, weil Gott ihn mit der Freude seines Herzens beschäftigt.

8,15 Und ich pries die Freude, weil es für den Menschen nichts Besseres unter der Sonne gibt, als zu essen und zu trinken und sich zu freuen. Und dies wird ihn begleiten bei seinem Mühen die Tage seines Lebens hindurch, die Gott ihm unter der Sonne gegeben hat.

9,7-10: Geh hin, iss dein Brot mit Freude und trink deinen Wein mit frohem Herzen! Denn längst hat Gott Wohlgefallen an deinem Tun. Deine Kleider seien weiß zu jeder Zeit, und das Salböl fehle nicht auf deinem Haupt. Genieße das Leben mit der Frau, die du liebst, alle Tage deines nichtigen Lebens, das er dir unter der Sonne gegeben hat, all deine nichtigen Tage hindurch! Denn das ist dein Anteil am Leben und an deinem Mühen, womit du dich abmühst unter der Sonne. Alles, was deine Hand zu tun findet, das tue in deiner Kraft! Denn es gibt weder Tun noch Berechnung, noch Kenntnis, noch Weisheit im Scheol, in den du gehst.

11,9-12,1: Freue dich, Jüngling, in deiner Jugend, und dein Herz mache dich fröhlich in den Tagen deiner Jugendzeit! Und lebe nach dem, was dein Herz wünscht und wonach deine Augen ausschauen! Doch wisse, dass um all dieser Dinge willen Gott dich zur Rechenschaft ziehen wird! Entferne den Unmut aus deinem Herzen und halte Übel von deinem Leib fern! Und denke an deinen Schöpfer in den Tagen deiner Jugendzeit, bevor die Tage des Übels kommen und die Jahre herannahen, von denen du sagen wirst: Ich habe kein Gefallen an ihnen!

Montag, 19. Oktober 2009

Gottesferne bei Kohelet (Prediger Salomo) – Mühe in der Mühle der Flüchtigkeit

Die Rede Kohelets wird zu Beginn und zum Abschluss gerahmt von einer Grunderfahrung, an die in der Rede immer wieder erinnert wird, ja die den Hörern geradezu „eingebläut“ wird: “Nichtig und flüchtig (= völlige Nichtigkeit oder = völlige Flüchtigkeit), sprach Kohelet, nichtig und flüchtig, das alles ist nichtig.” (1,2) - “´Flüchtig und nichtig, sprach Kohelet, das alles ist flüchtig. (12,8). Das hebräische Wort kann mit „nichtig“, „vergänglich“, „flüchtig“ übersetzt werden. Mir gefällt das Wort „flüchtig“, weil es weniger pessimistisch klingt, aber genau das festhält, was im Bild gesprochen mit diesem Wort gemeint ist: Alles ist wie der Windhauch, wie der Wind oder der Hauch, der verschwindet: nicht fest, nicht bleibend, vielmehr unbeständig, vergänglich, und überraschend schnell in der Veränderung. Doch auch das, was andere Leser schon mitgehört haben, stellt sich bei diesen Worten ein: Absurdität des Lebens, Nihilismus, Pessimismus, Resignation, Skepsis, Verzweiflung, weil das Leben in der Flüchtigkeit mit Mühe, mit Übeln, mit Todesverfallenheit und Vergänglichkeit verbunden ist, ja, ein Hamsterrad, ein ewiges Auf und Ab, ein Hin und Her ist.
Der Mensch als Geschöpf Gottes ist der Mensch, der dem Tode unterworfen ist. Kohelet registriert die Bosheit des Menschen: “Es kommt nichts Gutes durch den Mensch zustande”, alle Menschen sind auch Sünder (7,20), für die ohne Ausnahme das Urteil aus der Sündenfallgeschichte gilt: Aus Staub bist du und zu Staub musst du werden.
Kohelet hat sich selbst als Mann in der mühevollen Haltung des „Habens“ erlebt: er war der Fürst, der reiche Mann, der in einem nur dem Fürsten vorbehaltenen großangelegten, kostspieligen “Glücksexperiment” alles dinghaft um sich herum aufbaute und benutzte (1,12-2,22): Häuser, Weinberge, Gärten, Parks, Wasserteiche, Sklavinnen und Sklaven, Vieherden, Silber, Gold, Sängerinnen und Sänger, Frauen. Alles wird von ihm benutzt und gibt ihm auch Freude. Glück scheint über das Prinzip “Haben” also bei optimalen Ausgangsbedingungen (Fürst sein) machbar. Gleichzeitig erkennt er in seiner Weisheit, dass dies alles vergänglich ist; schon sein Nachfolger kann alles verspielen (2,18-21). Freude lässt sich also nicht auf Dauer stellen. Darum erklärt er sein Glücksexperiment, die Machbarkeit und Zuverlässigkeit dauerhaft frohen Lebens, das “Habhaftwerden” glücklicher Existenz für gescheitert.
Das gottferne Leben unter der Sonne ist von einer Haltung des sich „hens“ geprägt. Das ganze Leben ist Mühe, d.h. ein Versuch, der Dinge „habhaft“ zu werden. Doch vergeblich! Der Mensch ist vielmehr dem Hin- und Her völlig ausgeliefert. Nichts ist stabil oder von fester Substanz – alles Geschöpfliche ist eben „nichtig“, „flüchtig“, „vergänglich“. Im Buddhismus würde man von der Unbeständigkeit aller Dinge sprechen. „Alles Dasein ist Leiden“, weil das Glück immer unbeständig, nie ein sicherer Besitz, immer begrenzt und nie von Dauer ist.
Kann es angesichts dieser Diagnose überhaupt so etwas wie Glück, wie Erfahrung der Nähe Gottes „unter der Sonne“ geben? Inmitten von Flüchtigkeit, Vergänglichkeit und Todesverfallenheit? Ist Kohelet ein verzweifelter Existentialist, der sich in ein Leben geworfen sieht, aus dem es kein glückliches Entrinnen gibt?

Robbie Williams alias Kohelet

Auszug aus einem Interview von SPEX mit Robbie Williams (Spex 323, 11/2009, S. 58)
Sie sind mehr oder weniger berühmt, seit Sie 16 Jahre alt wurden.
"Stimmt. Seit meinem 16. Lebensjahr und dem schlagartigen Erfolg mit Take That kenne ich die Welt nicht anders als aus der Perspektive des Erfolgs. Die Schattenseite dieses Zustands ist leicht beschrieben: Ich beginne mich sehr, sehr schnell zu langweilen. Kaum etwas kann mich über einen längeren Zeitraum beeindrucken oder begeistern. Ich brauche also stets neue Thrills. Eine neue Platte herausbringen, kann für einen Moment ein solcher Thrill sein. Eine Platte, und alles, was damit zusammenhängt: die Maschinerie, der Wahnsinn, die Arbeit, das Reisen, das Nie-irgendwo-Ankommen. Aber ich sage Ihnen. In einer Woche werde ich mich bereits wieder langweilen. Und dann fängt das große Grübeln wieder an."

Kohelet 2, 4-11
"Ich unternahm große Werke: Ich baute mir Häuser, ich pflanzte mir Weinberge. Ich machte mir Gärten und Parks und pflanzte darin die unterschiedlichsten Fruchtbäume. Ich machte mir Wasserteiche, um daraus den aufsprießenden Wald von Bäumen zu bewässern. Ich kaufte Knechte und Mägde und hatte im Haus geborene Sklaven. Auch hatte ich größeren Besitz an Rindern und Schafen als alle, die vor mir in Jerusalem waren. Ich sammelte mir auch Silber und Gold und Schätze von Königen und Ländern. Ich beschaffte mir Sänger und Sängerinnen und die Vergnügungen der Menschenkinder: Frau und Frauen. Und ich wurde größer und reicher als alle, die vor mir in Jerusalem waren. Dazu verblieb mir meine Weisheit. Und alles, was meine Augen begehrten, entzog ich ihnen nicht. Ich versagte meinem Herzen keine Freude, denn mein Herz hatte Freude von all meiner Mühe, und das war mein Teil von all meiner Mühe. Und ich wandte mich hin zu all meinen Werken, die meine Hände gemacht, und zu der Mühe, mit der ich mich abgemüht hatte. Und siehe, das alles war Nichtigkeit und ein Haschen nach Wind. Also gibt es keinen Gewinn unter der Sonne."

Die Byrds singen Kohelet 3,1-8



"The Byrds" präsentieren hier live (kein Playback! ca. 1966) einen Folk-Song von Pete Seeger, der zu fast 100% die Worte aus Kohelet 3,1-8 aufnimmt. Die Byrds machen daraus einen unwiderstehlichen Pop-Song, mit herrlicher Rickenbacker-Gitarre (das Markenzeichen von Roger McGuinn). Das Tambourin schlägt Gene Clark, der als Solo-Künstler noch traumhaft schöne Songs schrieb und leider schon in den 90er Jahren verstorben ist.
Pete Seeger hat Kohelet wohl auch deshalb vertont, weil dieser Textabschnitt ganz unabhängigk vom Kontext im Predigerbuch als Lebensweisheit funktioniert und auf der Hand liegende Lebenserfahrungen aller Menschen beschreibt.



Hier wird der Text des Songs sehr anschaulich illustriert.

Sonntag, 18. Oktober 2009

Der Charakter des Koheletbuches (Prediger Salomo)

Welches Problem will der Text lösen?
Das Buch ist ein spannender Beitrag zur Diskussion eines heißdiskutierten altorientalischen und antiken Problems: Wie gelingt ein glückliches, wie gelingt ein gutes Leben? Das Buch positioniert sich mit einer ganz eigenständigen Lösung zu dieser Frage in einer regen weisheitlichen, philosophischen Gesprächslage. Es lehnt im Laufe der Ausführungen mehrere gängige und durchaus plausible Glückskonzepte ab. Gleichzeitig präsentiert es einen eigenen Entwurf zum Frage nach einer Lebensform, die Glück ermöglicht: Glück, d.h. essen, trinken, lieben können, ist eine hin und wieder gewährte Gabe Gottes inmitten der völligen Flüchtigkeit des Lebens.

Wer ist der Autor?
Der im Text von 1,3 an bis 12,7 implizierte Sprecher ist ein alter, erfahrener Mann, der König in Jersualem war (der Gedanke an Salomo liegt nahe, ist aber nicht zwingend). Er wird „Kohelet“ genannt, auch selbst nennt er sich „Kohelet“. Der Name „Koheletlässt an einen Philosophen denken, der im Kreis männlicher, junger Schüler seine Lebensweisheit weitergibt. Die Verse 1,1-2 und 12,8-12 stammen vom realen Autor des Buches. Er benutzt die Figur „Kohelet“ (die entweder ein echter Lehrer des Autors war – so wie Platon seine Lehre durch den Mund seines Lehrers Sokrates kund tut – oder eine vom Autor für den Text geschaffene fiktive Lehrerfigur ist), um seine Philosophie zu entfalten. Das Schlusswort 12,13-14 haben diejenigen Autoritäten hinzugesetzt, die das Buch in den biblischen Kanons eingereiht haben. Die Aussagen von 12,13-14 haben kaum etwas mit der Philosophie zu tun, die von Kohelet in 1,2-12,8 darlegt wird.
Im Mittelpunkt des Buches steht der Icherzähler „Kohelet“, der aus seiner reichhaltigen persönlichen Lebenserfahrung berichtet. Er erzählt von einem großangelegten Glücksexperiment, das nicht zum Erfolg führte, um dann das richtige Verständnis eines gelingenden Lebens zu vermitteln. Dabei zitiert er ältere Spruchweisheiten, manche korrigiert er, andere passen zu seiner eigenen Philosophie.

Wer sind die Adressaten?
Der Icherzähler „Kohelet“ richtet sich an einen jungen Mann, um ihm den richtigen Zugang zur Glückserfahrung „unter der Sonne“ zu vermitteln. Der reale Autor, der Kohelet sprechen lässt, hat alle Menschen im Blick, die Sehnsucht nach einem gelungen Leben haben. Er setzt zwar mit seiner hebräischen Sprache jüdische Hörer, präziser: besitzende, gebildete Männer, voraus, aber eigentlich richtet sich das Buch interreligiös an alle Glückssucher.

Samstag, 17. Oktober 2009

Aussichten einer Gans


Gans vorne, im Stehen, betrachtet auffliegende Gänse und Möwen, beobachtet von einem Fotographen (Bild anklicken, um Großbild zu erhalten)

Wolkenspiele





Auf Fahrradtouren rund um das Veluwemeer in Holland waren wir immer wieder vom Panoramaerlebnis beeindruckt, dass im Zusammenspiel von Sonne, Landschaft und Wolkenhimmel entsteht. Der kühle Herbstwind, die leuchtende Sonne und die Weite des Blicks erinnerten mich an Naturerfahrungen im Hochgebirge. Ein besonderer Genuss sind die asphaltierten Fahrradwege, die man viele Kilometer ohne jedes Hindernis und in absolut flachem Gelände fahren kann - bei Gegenwind anstrengend, bei Rückenwind ein Vergnügen.

Donnerstag, 15. Oktober 2009

Gott im Koheletbuch (Prediger)

Der Zugang zu Gott ist philosophisch und nicht theologisch, denn es ist nicht Gott, der spricht oder sich offenbart, sondern der Weise, der von seinem menschlichen Standpunkt, von der Welt aus, Gott und Welt reflektiert.

Was zeichnet diesen philosophisch nachgedachten Gott aus? “Gott ist im Himmel, und du bist auf der Erde.” (5,1) Der Himmel wäre der Ort, von dem aus der Weise alles verstehen könnte, aber dieser Beobachterstandpunkt und Wirkungsort bleibt Gott allein vorbehalten; der Mensch betrachtet die Dinge von unten her, er sieht, was “unter der Sonne”, “unter dem Himmel” ist und daher ist sein Begreifen der Welt, aber auch Gottes, stark eingeschränkt: “Der Mensch kann das Werk, das Gott gemacht hat, nicht von Anfang bis Ende begreifen.” (3,11) Vom Himmel her lenkt Gott die Ereignisse der Welt, aber die Einsicht darin muss dem Weisen verwehrt bleiben: “Ich sah das ganze Werk Gottes: dass der Mensch das Tun unter der Sonne nicht begreifen kann.“ (8,17)

Es bleibt nur, als Faktum festzustellen: Alles kommt “aus der Hand Gottes.” (2,24) und ist “in der Hand Gottes” (9,1). Es ist - aus der Perspektive von unten her - Gottes “Willkür”, sein “wie es mir gefällt”, das über menschliche Schicksale entscheidet (2,26). Gott ist der Schöpfer (21,1) und hat jedem Menschen seinen Lebensgeist gegeben (12,7). Als Lenker der Welt und der Weltzeit hat er alles “so gemacht, dass es schön ist zu seiner Zeit.” (3,11) Alles was Gott macht, ist endgültig: Nichts ist ihm hinzuzufügen, und nichts davon wegzunehmen (3,14). In seinem souveränen Handeln in der Weltzeit ereignet sich auch das Gericht Gottes über Gerechte und Gottlose (3,17). Gott gibt die Lebenszeit (5,17). Er schenkt Reichtum und Freude daran (5,18-19), kann aber auch den Genuß des Reichtums verhindern (6,2). Den Tag des Glücks wie auch den Tag des Unglücks hat Gott gemacht (7,14).

Gott spielt also eine zentrale Rolle im Weltverständnis des Buches, er ist der Dreh- und Angelpunkt all dessen, was in der Zeit geschieht und Menschen widerfährt. Wie sieht nun nach Kohelet die Beziehung zu diesem Gott aus? Wie nahe kann man ihm kommen? Oder bleibt er fern im Himmel, machtvoll und gleichzeitig undurchschaubar?

Mittwoch, 14. Oktober 2009

Lesefrüchte aus dem Koheletbuch (Prediger)

Die Andacht gestern hat einen Text aus dem alttestamentlichen Predigerbuch (Kohelet) aufgenommen. Es ist dasjenige biblische Buch, dass einen von hohen, aus Sicht des Buches "überspannten" Erwartungen oder Ansprüchen an das Leben, auch an ein spirituelles Leben, herunterholt. In den nächsten Tagen dann mehr zur Spiritualität dieses für jüdische und christliche Normalüberzeugungen so ungewöhnlichen Textes.
Heute zunächst einige Lesefrüchte:

"Wer das Geld liebt, wird des Geldes nicht satt."

"Es gibt viele Worte, die das Nichtige vermehren."

"Kein Mensch hat Macht über den Wind, so dass er den Wind aufhalten könnte."

"Gelassenheit deckt große Verfehlungen zu."

“Die Weisheit eines Menschen lässt sein Gesicht leuchten, und seine harten Züge lösen sich.”

"Süß aber ist das Licht, und für die Augen ist es gut, die Sonne zu schauen."

(Alle Texte nach der Übersetzung von Thomas Krüger, Biblischer Kommentar Altes Testament BK XIX Sonderband, Neukirchen-Vluyn 2000)

Dienstag, 13. Oktober 2009

Morgenandacht: Essen und Trinken

„Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, daß wir Menschen in dem kurzen Leben, das Gott uns zugemessen hat, nichts Besseres tun können als essen und trinken und es uns wohl sein lassen bei aller Mühe, die wir haben. So hat Gott es für uns bestimmt.“ Kohelet (Prediger Salomo) 5,17

Essen und Trinken gehören zu den absolut notwendigen Regelmäßigkeiten in unserem Leben. Die Frage ist, welchen Wert wir dieser Notwendigkeit zubilligen. Gott will, daß wir Wohlgefühle dabei haben, uns in Bezug auf das Essen geradezu hedonistisch verhalten.
Schon für die alten Israeliten lautete der von Gott angestiftete Traum „Genuß im Überfluß“: „Ich will mein Volk aus Ägypten führen und in ein fruchtbares und großes Land bringen, ein Land, das von Milch und Honig überfließt.“
Gott hat überhaupt eine ausgeprägte Nähe zu festlichen Mahlzeiten. Als Abraham von drei Männern besucht wird, die er sogleich als Gotteserscheinung erkennt, wird er ganz beflissen zu einem Gastwirt, der seine Frau zur Gourmetköchin macht: „Abraham lief sogleich ins Zelt und sagte zu Sara: Schnell, nimm drei Backschüsseln von deinem feinsten Mehl, mach einen Teig und backe Fladenbrot! Dann lief er zum Vieh, suchte eine schönes, gesundes Kalb aus und befahl dem Knecht, es zuzubereiten. Er holte süße und saure Milch, nahm das gekochte Fleisch und trug alles hinaus unter den Baum. Mit eigener Hand bediente er seine Gäste und stand dabei, während sie aßen“ (1.Mose 18,6–8).
Auch Jesus lebte nicht asketisch, sondern er liebte es, zu essen und zu trinken und mußte sich daher mit den Vorwürfen auseinandersetzen, die er sich damit einhandelte: „Der Menschensohn ist gekommen, ißt und trinkt, und sie sagen: Seht ihn euch an, diesen Vielfraß und Säufer, diesen Kumpan der Zolleinnehmer und Sünder.“ Jesus schien keine Gelegenheit auszulassen, einzuladen oder sich einladen zu lassen. Vor seinem Tod stiftete er das Abendmahl, daß Christen bis heute feiern, um Mahlgemeinschaft mit Jesus zu haben.

Das Essen und Trinken, im Kreis der Familie, der Freunde und darüber hinaus, ist sehr biblisch. Ja, man könnte fast sagen, daß sich in der Gastfreundschaft ein zentraler Sinn des Lebens erfüllt.

Freue dich heute auf dein Essen und Trinken, das du genießt. Danke Gott für die Gabe des Schmeckens. Schmecke und sehe, wie freundlich der Herr ist. Wenn es möglich ist, pflege dabei Gemeinschaft mit anderen Menschen, im Kreis deiner Familie oder mit Arbeitskollegen, mit Freunden oder Bekannten. So will es Gott.

Montag, 12. Oktober 2009

In den Tag hinein leben

Beruflich tätig sein bedeutet in der Regel, in ein klares und oft auch enges Zeitkorsett eingeschnürt zu sein. Das gilt auch für Selbständige oder für Lehrer. Berufliche Arbeit wird zu Hause geleistet und läßt kaum Zeit zur Entspannung. Besonders anstrengend war für mich in den letzten Wochen das Korrigieren. Gerade diese Arbeit erfordert hohe Aufmerksamkeit, da ich ja der Leistung und dem Engagement der Studierenden/Schüler gerecht werden möchte. Wenn Arbeiten nicht so gut sind und viele Ungenauigkeiten enthalten, wird es sehr schwer; es bedarf höchster Konzentration, die gar nicht leicht abzurufen ist. Was ist trotzdem gut, welche Note ist im "Vergleich" angemessen? Oft eine diffizile Entscheidung, die schwer fällt, wenn man ermutigen und nicht entmutigen möchte, die Notenziffer dann aber doch als klare frustrierende Nachricht da steht.
Seit gut drei Tagen bin ich im Urlaub mit Freunden und Bekannten, gemeinsam in Ferienhäusern, eingeladen, einen runden Geburtstag zu feiern und dann Wind und Wetter entscheiden zu lassen, was passiert. Weit weg vom engen Zeitkorsett. Ausschlafen, miteinander essen, sich unterhalten, Sport treiben, lesen, wieder essen...Langeweile (hier ganz positiv gemeint) erleben; die Zeit verlangsamt sich, dehnt sich, oder verdichtet sich im intensiven Gespräch oder im Flow beim Sport.

Sonntag, 11. Oktober 2009

Morgenandacht: Freundlichkeit

„Alle sollen sehen, wie freundlich und gütig ihr zueinander seid.“ (Phil. 4,5 Die Gute Nachricht Bibel, 1997)

Wie oft, schätzt du, wirst du heute unfreundlich sein? Wie oft wirst du ungeduldig sein? Wie oft nachtragend, herablassend und genervt? Wahrscheinlich öfters, als du es jetzt willst und dir vornimmst. Die Vorsätze sind gut, aber im nächsten schwierigen Moment sind sie schon vergessen und außer Kraft gesetzt. Natürlich, wir wollen freundlich und gütig zueinander sein! Nicht nur untereinander, nicht nur im Freundeskreis oder unter den Gleichgesinnten in der Kirche oder unter den netten Kollegen am Arbeitsplatz, nein, auch zu denen, die uns nerven, verletzen und lästig sind. Wir wollen es, weil wir Christen sind. Und das ist gut so. Schlecht ist nur, dass es so schwierig zu verwirklichen ist. Dabei ist die Bitte so schlicht und klar: „Alle sollen sehen, wie freundlich und gütig ihr zueinander seid.“ Sie ist sogar mit der Hoffnung verbunden, dass dann, wenn jemand damit beginnt und nicht aufhört, freundlich und gütig zu sein und zu bleiben, der Funke überspringt und auch der andere freundlich und gütig werden könnte. Ist das nicht eine reizvolle Herausforderung? Wenn du kurz vor deinem ersten Ärger stehst, dann halte kurz inne und höre die Worte: „Alle sollen sehen, wie freundlich und gütig ihr zu-einander seid.“ Mal sehen, ob sie wirken!

Freitag, 9. Oktober 2009

Geistliche Übungen (12): Gastfreundschaft und Spenden

"Eine weise Frau reiste durch die Berge. Eines Tages fand sie dort in einem Bachlauf einen sehr wertvollen Stein. Am nächsten Tag traf sie einen anderen Wanderer. Der Mann war hungrig und die weise Frau öffnete ihre Tasche, um mit ihm ihr Brot zu teilen. Der Wanderer sah den wundervollen Stein in der Tasche. 'Gib mir den Stein' sagte er. Die Frau reichte dem Mann ohne jedes Zögern den Stein. Der machte sich schnell davon, denn ihm war klar, dass der Stein sehr wertvoll war und dass er nun den Rest seines Lebens sorgenfrei verbringen konnte. Einige Tage später kam der Mann jedoch zurück zu der weisen Frau und gab ihr den Stein wieder: 'Ich habe nachgedacht', sagte er. 'Ich weiß, wie wertvoll dieser Stein ist. Aber ich gebe ihn dir zurück. Das tue ich in der Hoffnung, dass du mir etwas viel Wertvolleres dafür schenken kannst. Bitte gib mir etwas von dem, was es dir möglich machte, mir diesen Stein zu schenken.'"

Wieviel von meinem Geld und meinem Besitz kann ich abgeben? Egozentrik zeigt sich sehr deutlich an der Fähigkeit, für sich selbst zu sparen und die schönsten Dinge sich selbst zu kaufen. Mein Besitz, das bin ich und das ist für mich! Das Haben-Denken zeigt sich in dem inneren Überzeugtsein, immer zu wenig zu haben, neidisch sein zu müssen auf andere und an einer Welt zu leiden, die einem ein ungerechtes finanzielles Schicksal zugeteilt hat. „Geldgier ist eine Wurzel alles Bösen“ (1. Timotheus 6,10).

Aber loslassen, abgeben, spenden und teilen muss gar nicht so schmerzlich sein. Im Gegenteil. Geld und Liebe können durchaus zusammengehen: Ohne Geld keine Gastfreundschaft und gute Bewirtung der Gäste. Mit Geld kann man sich zwar Liebe nicht kaufen, aber man pflegt sie damit. Von Jesus wird der lebenskluge Spruch überliefert: „Nutzt das leidige Geld dazu, durch Wohltaten Freunde zu gewinnen“ (Lukas 16,9). Wie schön ist es für Kinder, wenn sie großzügige Eltern haben, die sie gut versorgen (aber nicht verwöhnen). Wie freut sich eine Kirchengemeinde über großzügige und regelmäßige Spender. Unzählige humanitäre und soziale Projekte könnten ohne die Gebefreudigkeit von Spendern nicht erfolgreich sein. Auch Freundschaften vertiefen sich durch die gegenseitige Großzügigkeit und Gastfreundschaft. Geschenke machen übrigens nicht nur den Beschenkten Freude, sondern auch den Schenkenden. Menschen, die gerne geben, sparen, um freigiebig sein zu können.

Paulus motivierte seine Gemeinden zum Spenden mit dem Beispiel von Christus, der alles gab, um die Menschen reich zu machen: „Ihr wisst ja, was Jesus Christus, unser Herr, in seiner Liebe für euch getan hat. Er war reich und wurde für euch arm; denn er wollte euch durch seine Armut reich machen“ (2. Korinther 8,9).

Mittwoch, 7. Oktober 2009

Frühchristlicher Hymnus aus dem 3. Jahrhundert

Auf http://euangelizomai.blogspot.com/ habe ich ein faszinierendes Lied gefunden. So in etwa (das Ganze ist eine Rekonstruktion, der gesprochene Text während des Liedvortrags ist Ergänzung) wurden von (manchen) Christen in der Zeit vor Konstantin Lieder im Gottesdienst gesungen. Wie repräsentativ dieses (leicht gnostisch angehauchte) Lied ist, läßt sich schwer einschätzen. In jedem Fall:
Genießen, entspannen, Ruhe finden.



-ytaneo sigato,
med' astra phasesphora lampesthon
potamon rhothion pasai
hymnounton d'hemon patera k'hyion k'hagion pneuma
pasai dynameis epiphounounton Amen Amen
kratos, ainos aei kai doxa theoi
doteri monoi panton agathon. Amen Amen

(Versuch einer deutschen Übersetzung)
... es soll ruhig werden
die leuchtenden Sterne nicht scheinen
alle rauschenden Flüsse still werden
wenn wir aber dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist singen
sollen alle Mächte "Amen, Amen" anfügen.
Herrschaft, ewiges Lob und Herrlichkeit Gott
dem alleinige Spender der guten Dinge. Amen, Amen


(Ausschnitt, bei Anklicken ist das ganze Papyrusfragment zu sehen)


Wikipedia-Artikel (gekürzt)
The Oxyrhynchus hymn (or P. Oxy. XV 1786) is the earliest known manuscript of a Christian hymn to contain both lyrics and musical notation. This papyrus fragment was unearthed in 1918 and the discovery was first published in 1922. The hymn was written down around the end of the 3rd century AD. The musical notation may imply the use of instruments.
The text, in Greek, poetically invokes silence so that the Holy Trinity may be praised.
The music is written in Greek vocal notation. It is entirely diatonic, with an ambitus of exactly an octave from F to F an octave above, and a final nominally on G
It is often considered the only fragment of Christian music from ancient Greece, although Kenneth Levy has persuasively argued that the Sanctus melody best preserved in the Western medieval Requiem mass dates from the 4th century.

Montag, 5. Oktober 2009

Nicht-Ich

Die Bekanntschaft mit dem Selbstverständnis einer anderen Religion kann Erkenntnisse zu Tage fördern, die neue Perspektiven auf die eigene Religion ermöglicht. Diese Einsicht liegt den folgenden Überlegungen zugrunde.

Viele Spielarten des Buddhismus wollen durch Erkenntnis, Lebensführung und Meditation zum Bewußtseinszustand der Ich-Losigkeit hinführen. Zenbuddhisten sprechen von einem Ich, das weiß, daß es nur Vorstellung ist und sich darin überwunden hat. Das Nicht-Ich ist für viele Buddhisten das Tor zur Weisheit, zur Strömungslehre des Lassens, Gleitens, zum völligen In-der-Gegenwart-sein.

Das Tor zur Weisheit ist im christlichen Glauben die Gnade. Auch sie verflüssigt, stellt frei, ermöglicht absolute Gegenwart der Geborgenheit bei Gott. Die Gnade Gottes ermutigt uns, alles, ja alles loszulassen und uns in einen Raum zu stellen, in dem Gott als Geheimnis der Welt, als Geheimnis meiner selbst und dessen, was außer mir liegt, wahrgenommen wird. Gnade ist die Erfahrung, daß Gott uns näher ist, als wir uns nahe sein können. Gott umfaßt uns von unendlichen zurückliegenden Anfängen bis zur unendlichen Ewigkeit. In der Erfahrung der Gegenwart Gottes als überfließende Quelle alles Seins sind wir seine Kinder. Die Gnade führt uns zum christlichen „Nicht-Ich“. Worin besteht dies? Alle unsere zeitlichen Lebenserfahrungen relativieren sich heilsam in unserer letztgültigen Identität „in Christus“. Das „Sein in Christus“ – und entsprechend „Christus in uns“ – schenkt uns eine Identität, die tragender ist als alle zeitlich-räumliche Identität. Sie überschreitet unsere geschlechtliche, ethnische, soziale und kulturelle Identität. „Ich in Christus“ – dieses Nicht-Ich der Christen – das ist unser wahres Ich, das uns hilft, angemessen mit unserem endlichen Ich umzugehen. Christus ist der „Erleber“ in uns, der uns heilsame Distanz zu allen irdischen Erfahrungen ermöglicht, nicht im Sinne einer Abwertung, sondern so, daß wir uns von diesen Erfahrungen nicht gefangen nehmen lassen, sondern ihnen gegenüber frei bleiben und sie schöpferisch gestalten können.

Samstag, 3. Oktober 2009

100 Posts/Beiträge - Psalm 100

Jubelt dem Herrn zu, ihr Völker der Erde!
Dient ihm voll Freude,
kommt zu ihm mit fröhlichen Liedern!

Erkennt, dass der Herr unser Gott ist!
Er hat uns zu seinem Volk gemacht, ihm gehören wir!
Er sorgt für uns wie ein Hirte für seine Herde.

Geht durch die Tempeltore ein mit Dank,
betretet den festlichen Vorhof mit lautem Lob!
Preist ihn! Rühmt ihn!

Denn der Herr ist gut zu uns,
seine Gnade hört niemals auf,
für alle Zeiten hält er uns die Treue.

Freitag, 2. Oktober 2009

Der unfassbare Vater

„Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater, und es jammerte ihn; er lief und fiel ihm um den Hals und küßte ihn“ (Lukas 15, 20)

Ein Vater hat zwei Söhne. Von den beiden Söhnen geht der jüngere zuerst seiner Wege. Die Forderungen des Sohnes nach dem Erbteil beantwortet er nicht abwertend, etwa: „Kommt überhaupt nicht in Frage, arbeite erst einmal tüchtig, du fauler Sack.“ Oder: „Nur Abhängen willst du. Eine Tracht Prügel ist wohl besser, als dass ich dir noch mein sauerverdientes Vermögen hinterherschmeiße.“ Nein. Er respektiert die unverschämte Forderung des Sohnes. Der Vater läßt es einfach zu. Warum? Vermutlich, weil er die Fähigkeit hat, loszulassen. Er läßt seinen Sohn gehen, obwohl er weiß, daß dieser noch nicht fähig ist, sich in der Welt zurechtzufinden. Der Vater ist sehr friedfertig. Er hofft darauf, daß sein Sohn durch die Realität der Welt, die das Traumbild des Sohnes in Frage stellen wird, zur Vernunft kommt. Deshalb wartet er auch, bis der Sohn – vom Schicksal gebeutelt – wiederkommt. Sehr geduldig wartet er, steht er an der Haustür. Und als der gescheiterte Sohn nach Monaten, Jahren zurückkommt, unsicher, ob der Vater ihn überhaupt nach seinen Selbstüberschätzung noch „haben will“, kommt er aus dem Staunen gar nicht mehr heraus. Er wird von seinem Vater mit einer Herzlichkeit und Liebe aufgenommen, als ob er noch der gleiche Sohn wäre, welcher er zuvor noch zu Hause gewesen ist. Keine Vorwürfe, kein Zorn. Ganz anders: totale Freude auf Seiten des Vaters, er „flippt“ geradezu aus, weil er seinen Sohn so liebt. Er läuft ihm sogar entgegen.

Jesus hat in dieser Geschichte die einzigartige Liebe Gottes zu uns veranschaulicht. Der Glaube an den Gott Jesu schenkt uns einen Vater, der die Fähigkeiten menschlicher Väter weitaus übersteigt. Von dieser Liebe dichtete Paulus: „Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf ... sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles.“ So ist die Liebe Gottes! Im Glauben können wir zu Gott sprechen: Abba, lieber Vater. Eine kindliche Beziehung zu Gott hat etwas mit Vertrauen und Geborgensein zu tun. Die Angst vor dem fernen oder stummen Gott wird uns genommen, da wir ihm ganz nahe gerückt sind. Vertrauen schafft gleichzeitig auch Freiraum. Unser Gott ist daher kein überfürsorglicher, erdrückender Gott. Er läßt uns Freiraum. Er ist gespannt, was wir aus uns machen. Und immer, allezeit, wartet er auf uns, um uns seine Nähe und Sicherheit zu geben.

Donnerstag, 1. Oktober 2009

Gefühle (4): Gefühle, die zum sittlichen, ethischen Handeln motivieren

Was motiviert mich zum sittlichen Handeln? Im Unterrichtsgespräch mit meinem Leistungskurs Religion zu dieser Frage ist mir bei der Verwendung der eher kognitiven Schematik von Lawrence Kohlberg und aufgrund von Schülerbeiträgen klarer bewusst geworden, dass Gefühle bei der ethischen Motivation eine wesentliche Rolle spielen. Hier ein erster Versuch, wie unterschiedliche Gefühle in Verbindung mit moralischen Handeln gebracht werden können (noch mit Orientierung am Kohlbergschema), sicherlich noch unausgereift, aber doch schon in mancher Hinsicht erhellend:

Strafe vermeiden: Angst, Furcht vor körperlichen Bestrafungen motiviert dazu, etwas zu tun oder zu unterlassen, Aufrechterhaltung von Lustgefühlen.

Erwartung von Belohnung: Die Aussicht auf Belohnung, also Vorfreude auf Glücksgefühle motivieren das sittliche Handeln, Vermeidung von Unglücksgefühlen (Frustration, Wut).

Anerkennung als "guter Freund": Aufgrund gezeigter Wertschätzung, gezeigten Mitgefühls, Mitleids entsteht das Gefühl von Freude, Vermeidung von Beschämung, von Schamgefühlen aufgrund von Abgelehntwerden, Hassgefühle gegenüber dem gemeinsamen Feind.

Aufrechterhaltung der öffentlichen, gesellschaftlichen Ordnung: Verantwortungsgefühl, Vermeidung von Schuldgefühlen (Folgegefühl bei Schuld: Reue), bei öffentlicher Anerkennung für das Geleistete: Stolz. Bei Aufdeckung von Übertretungen des Gesetzes/der Ordnung: Zorn.

Orientierung an gesellschaftsverändernden moralischen Prinzipien: Ehrfurcht vor (Staunen über, Bewunderung von) verallgemeinerbaren sittlichen Prinzipien (vgl. Kant), Ergriffensein von Gottes Wesen (und davon Berührtsein: Liebe). Vermeidung von Verzweiflung, Trauer, Hass.