Samstag, 11. Dezember 2010

Für uns geschehen - das Evangelium mit Paulus verstehen

Ich freue mich sehr, dass dieses Buch jetzt erscheinen kann. Hier habe ich meine wesentlichen Erkenntnisse zur Theologie und Spiritualität bei Paulus formuliert.

Auf dem Rückcover stehen Auszüge aus dem Geleitwort von Rolf Pöhler:
"Dieses Buch lädt ein, sich mit den Hauptlinien paulinischer Theologie gründlich zu beschäftigen. Es nimmt die Leser mit hinein in ein aufmerksames Hören auf den großen Apostel und seine Botschaft von Jesus Christus als dem tragenden Grund christlicher Existenz. Es will dazu anleiten, die Briefe von Paulus aufmerksam zu lesen, sie näher zu betrachten, ihre Botschaft neu zu verstehen und auch existenziell zu erfahren. Was Christus für uns getan hat, nimmt uns persönlich so mit hinein in seine Lebensgeschichte, dass sie zu unserer eigenen Geschichte wird."
Weitere Informationen: Inhaltsverzeichnis(PDF) und Leseprobe: Kapitel 7 "An Christus glauben" (PDF)

Sonntag, 5. Dezember 2010

Matthäus 5,3 im Licht von Psalm 33,19 (LXX)

In der griechischen Bibelübersetzung von Psalm 34,19 (Psalm 33,19 LXX/Septuaginta) steht:

"Nahe ist der Herr denen, die im Herzen verwundet sind (im Herzen zerschlagen sind),
und die Niedrigen/Demütigen im Geist (tous tapeinous to pneumati) wird er retten!"

Das ist mir sofort als erhellende Parallelstelle zu Matthäus 5,3 aufgefallen: "Selig sind die Armen im Geist". Der parallelismus membrorum in Psalm 33,19 (LXX) macht die erste Zeile zur Erläuterung der zweiten Zeile. "Arm im Geist" ist der, der im Herzen verwundet ist. Was aber ist damit gemeint? Im Kontext von Psalm 34 (33 LXX) ist eine Notsituation, eine Bedrängnis gemeint, die die innere Stärke geschwächt hat, gedacht sein könnte aber auch an die Sündenerkenntnis. In jedem Fall geht es um Menschen, die sich in einer inneren oder äußeren Schwächesituation befinden, aus der heraus sie der gütige Gott rettet (Psalm 34, 7-9).

Sonntag, 7. November 2010

Nachhaltiger Lebensstil

Was motiviert Christen dazu, nachhaltig im ökologischen Sinne zu leben?
Ich möchte diese Motivation an der Kennzeichnung als "Ebenbild" Gottes verdeutlichen.
Im biblischen Schöpfungsbericht wird menschliche Existenz als geschöpfliche Existenz gedeutet: Ich bin Geschöpf inmitten von anderen Geschöpfen. Alle verdanken ihr Leben Gott. Der Mensch wird von den anderen Geschöpfen - den Tieren unter dem Himmelszelt, in den Meeren und auf dem Land - dadurch ausgezeichnet, dass er "Ebenbild Gottes" ist. Im Alten Orient wurde diese Auszeichnung in der Regel nur den Königen verliehen. Die Bibel sagt nun, dass alle Menschen Königsstatus und damit Herrschaftsrechte haben. Aber ihre Herrschaft sollen sie nicht untereinander ausüben, sondern gegenüber den Tieren. Allerdings nicht, um sie zu töten, sondern um die zu "beherrschen" und damit zu bewahren. Gen 1,28-31 setzt Vegetarismus voraus.
Der Mensch hat diese Ebenbildlichkeit verloren, weil er die seiner Herrschaft gesetzten Grenzen überschreiten wollte und überschritten hat. Davon berichten die Kapitel 3-11 in 1. Buch Mose. Alle nun "mangeln der Herrlichkeit, die sie bei Gott haben sollten", schreibt Paulus in Römer 3 und spielt damit auf die verlorene Ebenbildlichkeit an. An die Stelle bewahrender trat die zerstörerische, ausbeutende Herrschaft des Menschen gegenüber sich selbst, gegenüber seinen Mitgeschöpfen und gegenüber der Natur.
Das neue und endgültige Ebenbild Gottes ist Gottes Sohn, der Mensch Jesus. Er hat vertieft definiert, was Ebenbildlichkeit Gottes bedeutet: Barmherzigkeit ("Seid barmherzig, wie Gott barmherzig ist"), Erbarmen, Feindesliebe, Hingabe, Versöhnung. Nachfolge, das ist Leben im Dasein für andere (Bonhoeffer).
Im Glauben werden wir mit Christus verbunden, und damit auch mit seiner Barmherzigkeit und seinem Erbarmen in Beziehung gesetzt. Wir sind "in Christus" erneuerte Ebenbilder Gottes geworden, die in vertiefter Weise eine barmherzige und liebende Beziehung zur Mitwelt pflegen.
Ein ökologisch nachhaltiger Lebensstil gehört damit wesenhaft zum Sein als Christ. Versöhnung bezieht sich nicht nur auf den Mitmenschen, sondern auch auf die Tiere und die gesamte Mitschöpfung.

Freitag, 5. November 2010

Lebensregeln finden

"Mit etwa 18 Jahren war ich überzeugt, dass der Mensch sich nur dann voll entwickelt und zu einer personalen Einheit findet, wenn er seinem Leben einige wesentliche Grundlinien vorgibt."
(Rex Brico: Taizé - Frère Roger und die Gemeinschaft, Freiburg/Basel/Wien 1979, S. 182)

"Lass in deinem Tag Arbeit und Ruhe vom Wort Gottes ihr Leben empfangen."
"Wahre in allem die innere Stille, um in Christus zu bleiben."
"Lass dich druchdringen vom Geist der Seligpreisungen: Freude, Barmherzigkeit, Einfachheit."
(Kathryn Spink, Frère Roger - Leben für die Versöhnung, Freiburg 2005, S. 75)

Donnerstag, 4. November 2010

November

Heute bin ich - bei frühlingshaften Temperaturen von fast 17 Grad - durch den Novemberwald gejoggt. Als Einstimmung in die "novemberliche" Zeit hier ein - wie ich finde - gelungenes Gedicht meines Kollegen Burkhard Mayer (mit freundlicher Genehmigung) zum November:



November

Hüllst dich ganz gern in Nebel
Bist kein Verkehrter
Du Jahresrestschönheitsverwerter
Entlauber mit eigenem Zauber
Du veranstaltest kein
Sommertheater
Betreibst lieber Windspiele
Und heulst im Wald und in Gassen
Lässt Wolken am Himmel verblassen
Zeigst deine erdigen Farben
zeigst deinen Reichtum im Kargen
Sammelst versäumtes Schweigen
Gibst der Stille Gewicht
Veredelst auch schwaches Licht
Verlangsamst den Jahreslauf
Und die Seele sie atmet auf.

Dienstag, 2. November 2010

Rezeptivität und Kreativität

Auf die Frage, was das Leben sinnhaft und glückerfüllt macht, gibt es unzählige Antworten. Als ich dazu vorgestern gefragt wurde, fielen mir aus meiner Erfahrung zwei wesentliche "Wege zum Glück" ein: Rezeptivität und Kreativität.
Rezeptivität ist die Fähigkeit, gezielt zu erleben, sich etwas anzueignen: Musik hören und in ihren melodischen und rhythmischen Strukturen spüren, Kunst mit ihren Formspielen genießen, gelungen formulierte Texte lesen, Zusammenhänge aller Art erkennen, eine imposante Landschaft erleben, sich geliebt wissen, Wertschätzung empfangen...
Kreativität wiederum ist die Fähigkeit, zu gestalten, etwas zu formen: ein Musikstück, ein Gemälde, eine Skulptur, einen Text, einen Garten, lieben, Wertschätzung schenken...eine Unterrichtsstunde, eine Gespräch, einen Geschäftsabschluss, eine Werkstück...
Im Wechsel von Rezeptivität und Kreativität liegt das Glück. Nur das eine oder das andere wäre zu einseitig. Nur Rezeptivität führt zum "Gammelleben", nur Kreativität zum Burnout (Übrigens: in einer Depression gehen beide Fähigkeiten verloren und können - in der Regel durch ärztliche Hilfe - nur langsam wiedergewonnen werden. Da helfen keine Ratschläge fürs Glück).
Ich denke daran, wie das Verhalten Gottes in Schöpfungsbericht 1. Mose 1/Genesis 1 beschrieben wird. Er ist kreativ und freut sich dann am Geschaffenen: er schaut es an und befindet es für sehr gut. Am siebenten Tag ruht er aus, heiligt den Sabbat als Tag der Rezeptivität.

Donnerstag, 21. Oktober 2010

Belle and Sebastian



Belle and Sebastian gehören zu den außergewöhnlichsten Bands der letzten 15 Jahre. Ihre aktuelle CD "Write about love" ist ein fast perfektes Popalbum geworden mit einer Musik, die ihre Wurzeln in einem geradezu kammermusikalischen Folk-Pop hat. Das gepostete Video dokumentiert den letzten wunderbaren Song des Albums "The life pursuit" von 2006. Der Bandleader und Komponist Stuart Murdoch ist Christ. In einem Interview (Musikexpress 2/2006, S. 27) berichtet er von der wöchentlichen Teilnahme am Gottesdienst, von der Bedeutung des Gebets für ihn und dann führt er aus:

"Ich war...lange Jahre sehr krank. Ich musste aufhören zu arbeiten, die Uni abbrechen, alles. Das war so von 1989 bis die Band (Anfang 1996) zusammenkam. Ziemlich die ganzen sieben Jahre war ich krank. Das war das größte, überwältigenste, was mir je passiert ist. Klar: wenn sich deine ganze Welt auf den Kopf stellt. Und in so einer Situation kommen dir Gedanken, die du vorher nicht hattest. Über spirituelle Dinge.
Was ist der Gott, den du dir vorstellst?Hm..Ich weiß nicht, ich fühle einfach, dass das etwas hinter dem ganzen Alltäglichen steckt. Ich tagträume gern. Aus diesen Tagträumen kommen die ganzen Songs und Ideen und guten Gefühle. Und ich hab das Gefühl, das ist derselbe Ort, wo ein anderer, größerer Geist wohnt."

Montag, 18. Oktober 2010

Was sind Helden?

Was sind Helden? Sieger?

"Helden sind für mich Leute, die Ziele haben, die unerreichbar wirken, und die diese Ziele dennoch angehen und erreichen. Mit einer großen positiven Sturheit, nicht mit Verbissenheit. Leute, die ihre Grenzen immer austesten, etwas schier Unmögliches erreichen - und das trotzdem auf eine sympathische Weise."

aus einem Interview mit dem Filmemacher Jan Tenhaven zu seinem Film "Herbstgold", einem Dokumentarfilm über 5 Sportler im Alter zwischen 82 und 100 Jahren.

Samstag, 9. Oktober 2010

Kaleb - ein anderer Geist ist in ihm

Kaleb ist ein Mann im besten Alter, noch sehr stark, aber auch schon erfahren, 40 Jahre alt. Er wird von Mose als Haupt des jüdischen Stammes mit 11 anderen Stammesfürsten dazu ausgewählt, das verheißene Land auszukundschaften. 40 Tage sind sie unterwegs, von der Wüste her in immer fruchtbareres und stark bewohntes Land. Vorsichtig erkunden sie die blühenden Landschaften im Spätsommer, zur Zeit der ersten reifen Weintrauben. Besonders beeindruckend war das Tal Eschkol. Hier wuchsen außergewöhnlich reich tragende Weinstöcke. Heimlich nahmen sie einen großen Weintraubenzweig mit, ebenso leckere reife Granatäpfel und Feigen. Welche Leckereien für Männer, die monatelang in der Wüste unterwegs gewesen waren. Mit diesen Zeichen, dass das verheißene Land tatsächlich fruchtbar ist, kamen sie zu Mose und zum Volk zurück. Die Wortführer der Gruppe berichten von ihrer Erkundung, äußern aber auch ihre Bedenken und Sorge: Die Bevölkerung sei stark, wohne in befestigten Städten und die Männer seien sehr groß. Mehrere Völker befänden sich zudem im zu erobernden Gebiet.
Erst jetzt schaltet sich Kaleb ein, als er spürt, dass sich die Sorge der Männer auf die Stimmung des Volkes zu übertragen beginnt und sich gegen Mose zu wenden beginnt. Er versucht zu beruhigen: Auf Leute, kein Verzug, seid zuversichtlich! Wir können der Herausforderung Herr werden. Wir schaffen das!“ Aber da widersprechen ihm die anderen Kundschafter. Sie beginnen zu dramatisieren: „Die sind zu stark!“ Die großen Männer im Land Kanaan werden in ihrer Phantasie zu Riesen, sie selbst zu Zwergen: „Sie sind über die Maßen groß! Gegen sie kamen wir uns vor wie kleine Heuschrecken.“ Damit kippt die Stimmung des Volkes endgültig, ihre Angst wird zur Panik, zur Verzweiflung, zur totalen frustrierten Enttäuschung: Die ganze Gemeinde brach in Geschrei aus und weint in die Nacht hinein. In die Tränen mischte sich Wut, ja Empörung gegenüber Mose und Gott; sie murrten gegen ihn und malen ihm den Tod vor, den sie bereits vor Augen sehen: „Wären wir doch nur in Ägypten oder in der Wüste gestorben. Warum will uns Gott in das Land da bringen, damit wir durch das Schwert fallen. Wir alle werden ihnen zur Beute werden. Auf, zurück nach Ägypten. Lasst uns neue Führer wählen.“
Im Lager beginnt mitten in der Nacht ein Machtkampf. Aber Aaron und Mose fallen nur von der Gemeinde auf ihr Angesicht. Demütig schweigen sie. Josua und Kaleb, die beiden mutigen Kundschafter, hingegen werden zornig, zerreißen ihre Kleider und ermahnen die Gemeinde mit ernsten Worten: Das Land ist sehr gut! Gott will uns in dieses Land führen. Empört euch also nicht gegen Gott und habt keine Furcht vor den Landesbewohnern. Nicht wir werden von ihnen, sondern sie werden von uns verschlungen werden. Gott ist mit uns!“ Aber das Volk hört nicht auf sie. Vielmehr machen sie sich auf, Mose und Aaron, Josua und Kaleb zu steinigen. Eine Revolte bricht aus! Im letzten Augenblick erscheint die Herrlichkeit Gottes, das Licht Gottes, vor allen an der Stiftshütte. Voller Zorn fragt Gott: Wie lange will dieses Volk noch gegen mich murren? Es folgen Gerichtsworte, Moses Fürsprache für das Volk und die Strafe für die Revolte. Nur zwei hatten nicht gemurrt, Josua und Kaleb. In der Gottesrede wird Kalebs Verhalten herausgehoben: Meinen Knecht Kaleb, den bringe ich in das Land, denn ein anderer Geist war in ihm und er stand völlig hinter mir

Zwei Grundhaltungen stehen sich in der Geschichte gegenüber:

Das Volk Israel und 10 Kundschafter „murren“.
Sie sind besorgt und zweifeln am Erfolg. Sie steigern sich in Frust und Empörung hinein. Sie sind von Mutlosigkeit und Ohnmachtsgefühlen bestimmt. Sie haben Angst vor der Herausforderung. Im Angesicht der Herausforderung schauen sie zurück, verklären die Vergangenheit, das alte Leben in Ägypten. Unglaube ist also
Orientierung an der Sorge, zu erkennen am „Murren“.


Kaleb und Josua sind mutig und ermutigen andere. Ihr Verhalten steigert sich von Ermutigung zur dringlichen Mahnung. Sie sind verantwortungsbereit, sehen Perspektiven, öffnen sich den Möglicheiten Gottes, zeigen sich zukunftsorientiert und hoffnungsvoll. Glaube ist zuversichtliche Orientierung an der Zusage Gottes, zu erkennen am Mut und an Standhaftigkeit.

Paulus spielt in Phil 2 auf diese Wüstengeschichte an. In Phil 2,14-15 ermuntert er die Gemeinde in Philippi:

„Tut alles ohne Murren und ohne Zweifel, damit ihr ohne Tadel und lauter seid, Gottes Kinder, ohne Makel mitten unter einem verdorbenen und verkehrten Geschlecht, unter dem ihr scheint als Lichter in der Welt, dadurch dass ihr festhaltet am Wort des Lebens“.

Murren, das ist für Menschen „in Christus“, für Kinder Gottes, eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Denn sie leben aus dem Neuen, das Gott schenkt. Sie sind zu ihm emporgehoben. Sie sollen wie Lichter in der Welt scheinen: Lichter sind freundlich, sie erhellen das Leben, sie strahlen.
Du möchtest als Christ wachsen und reifen? Höre auf zu meckern, zu murren, dich zu beschweren, dich an der Sorge, am Unmut zu orientieren. Diese Haltung gehört zum alten Leben, zum murrenden Unglauben, den Du doch hinter dir lassen möchtest und "in Christus" schon hinter dir gelassen hast.
Gott ruft uns durch das Evangelium in eine andere Orientierung hinein: sein Geist will uns mit Zuversicht und mit Mut erfüllen. Das gilt ganz allgemein für alle Lebenssituationen. Wir empfangen von ihm eine zuversichtliche Tatkraft. Er befähigt uns zur Arbeit in der Liebe. Er macht uns nicht passiv, sondern initiativ, bereit zur Mitarbeit am Reich Gottes.

Mittwoch, 29. September 2010

Anne Aalrust - Wo ist das Land? Es gibt ein Ziel!

Heute habe ich Anne Aalrust kennengelernt, die im November an meiner Schule ein Konzert geben wird. Was sie mir erzählte und der Flyer, den sie mir zusteckte, machte mich neugierig; auf deutsch singende Pop-Liedermacherinnen gibt es nicht viele oder zumindest kenne ich nur einige (z.B. Barbara Morgenstern oder die wunderbare Suzie Kerstgens von Klee). Ihr Album "Der Liebe selbst" von 2009 ist sorgfältig produziert, einige Songs haben einen eher eingängigen, mainstreamig-hitmäßigen Charakter, die Mehrheit sind sorgfältig konstruierte, verträumt-träumerische, mit akustischen Instrumenten (Anne Aalrust am Klavier) und Streichern versehene Kunstlieder, jenseits typischer Schubladen. Die Texte sind durchweg ernst, klar und prägnant gesungen, sie fragen nach einer Liebe, die nicht nur das eigene Leben, sondern die ganze Welt zusammenhalten kann. Zwei dieser spirituellen, nach dem "Reich", nach dem Land der Erfüllung fragenden Lieder gibt es auch als Video.



Samstag, 14. August 2010

Karl Jaspers

Auf Umwegen bin ich heute auf Karl Jaspers gestoßen (auf Bayern alpha lief die Laudatio von Hannah Arendt auf ihn im Jahr 1958, ich fand sie auch als Text zusammen mit der Rede von Jaspers zur Preisverleihung, die mir außerordentlich gut gefällt - Jaspers ist ein wahrhaftiger Liberaler und Demokrat) und habe im Wikipediaartikel folgende wichtige Einsichten gefunden:

Existenz ist stets auf den Anderen gerichtet. Das Selbstsein bedarf wesentlich der Kommunikation mit anderen Menschen. In der Kommunikation von Mensch zu Mensch realisiert sich Philosophie im „liebenden Kampf“, in dem Angriff und Rechtfertigung nicht dem Gewinn von Macht dienen, sondern Menschen sich gegenseitig nahe kommen und sich einander ausliefern. So erreicht man das „Innewerden des Seins“, die „Erhellung der Liebe“ und die „Vollendung der Ruhe“.

Zum Selbstsein gehört auch die Kommunikation in der Beziehung zum anderen. „Niemand kann allein selig werden.“

Eine universale Kommunikation als erhellende existentielle Begegnung ist durch ein gestuftes Vorgehen möglich. Es umfasst:
das Vergleichen, mit dem man das Gemeinsame ebenso wie das Fremde erkennt
das Verstehen als Teilnahme am Anderen
den gemeinsamen Kampf um die Wahrheit (als Frage, Einwand, Widerlegung, Infragestellung, Hören, Selbstbleiben)
die Aneignung, d.h. Veränderung mit Erweiterung und Gewinn auf beiden Seiten.

Das Menschenbild in Jaspers' Philosophie ist geprägt durch eine vierstufige Seinsweise als Verwirklichungsdimensionen des Menschen:
1.das biologische Dasein als rücksichtsloser, vitaler Daseinswille mit Macht-, Geltungs- und Genussinteressen – zugleich der Erfahrungsraum, in dem Phänomenologie und Positivismus ihre Grenzen finden.
2.das Bewusstsein überhaupt als Medium des objektiven Denkens im Sinne des kantischen Verstandes (das Ichsein), das den Bereich der Logik bestimmt.
3.der Geist als Teilhabe an ganzheitlichen und sinnstiftenden Ideen, der den Zusammenhang in der Zerstreutheit des Wissbaren und Erfahrbaren erzeugt.
4.die Existenz als das, was der Mensch sein kann, als nicht mehr empirisch fassbare Ebene des eigentlichen Selbstseins, als Möglichkeit des wahren Menschseins.

Bergluft

Vor einigen Wochen hatte ich die Sehnsucht, einmal wieder die Berge zu sehen und zu ersteigen, die ich als Jugendlicher begeistert entdeckt hatte - die osttiroler Alpen und die Norddolomiten um Sexten herum. Mit einem befreundeten Kollegen konnte ich den Impuls schnell umsetzen; es war herrlich, die Berge in Sonne und Regen zu genießen.



Drei Zinnen mit Drei-Zinnen-Hütte



Verregneter Talabschluss 10 km nördlich von Außervillgraten


Blick von der Ferienwohnung in Innervillgraten



Die Drei Zinnen zeigen sich unvernebelt



Die Sextener Dolomiten: Mittagsspitze und Einer (um ein Uhr Mittags steht die Sonne über diesem Gipfel mit einer atemberaubenden Nordwand)

Samstag, 31. Juli 2010

Das Gleichnis vom zuversichtlichen (gelassenen oder gar faulen?) Bauer



Markus 4, 26: Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft 27 und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst - er weiß nicht wie. 28 Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre. 29 Wenn sie aber die Frucht gebracht hat, so schickt er alsbald die Sichel hin; denn die Ernte ist da.

Dienstag, 27. Juli 2010

Personal Jesus - Nina Hagen goes God


Nina Hagen hat sich vor etwa einem Jahr in Hamburg evangelisch taufen lassen. Nun liegt die erste künstlerische Arbeit nach diesem zentralen Lebensereignis vor. Es ist ein Gospelalbum geworden, das in den USA von routinierten Gospel- und Countrymusikern eingspielt wurde. Beim ersten Hören gefiel mir zunächst die Musik - absolut geschmackvoll, traditionell, aber ohne jeden Schmalz recht trocken und dennoch fett eingespielt, einfach authentischer Country-Gospel. Beim zweiten und drittenmal nervte mich Nina Hagens etwas überzogener Gesang, oft zuviel Leidenschaft, sodass manchmal der Eindruck entsteht, sie persifliert das Genre. Aber das stimmt ganz und gar nicht. Es ist reine Hingabe mit dem Schalk, der einfach zu ihr gehört. Man gewöhnt sich daran und merkt dann, welche "originelle" Gesangskünstlerin sie ist, die es mit jeder Sängerin in der Welt aufnehmen kann. Zum Teil ist es sogar bewegend, wie hinreißend sie die Songs, die ja Bekenntnisse sind, singt. Wüßte man nicht, dass es Nina Hagen ist, könnte man an einen zweite Eartha Kitt denke. Es macht immer mehr Spaß, sich das Album anzuhören. Unangemessen für den Inhalt sind allerdings die Fotos von Jim Rakete, die eine überdrehte narzisstische Selbstdarstellerin zeigen. Wahrscheinlich sollen damit die nichtchristlichen Hörer erreicht werden. Mit dieser Musik kann man durchaus Glauben wecken.

Montag, 26. Juli 2010

Kluge Liebesgedanken von Niklas Luhmann

Liebe ist ein Gefühl, das wir gut beschreiben können, weil wir mit Liebe Erfahrungen gemacht haben. Mit den „Schmetterlingen im Bauch“ beim romantischen Verliebtsein. Mit dem Herz, das einem aufgeht, wenn wir Umgang mit einer vertrauten, geliebten Person haben. Wer liebt, kennt auch Mitgefühl und Freude, hat Angst vor dem Verlust der Geliebten. Liebe widerfährt uns, sie trifft wie Amor mit seinem Pfeil ins Herz. Wir suchen die Nähe der Geliebten, die Liebe fällt ganz mit der Person, die wir lieben in eins. Wenn wir geliebt werden – und diese Liebe erwidern können – fühlen wir uns stärker, selbstsicherer, zuversichtlicher, wertvoller. Viel noch könnte man zur Psychologie der Liebe sagen.
Weniger vertraut – so scheint mir – sind wir mit der Soziologie der Liebe. Wie kommunizieren wir Liebe? Wie können wir uns gegenseitig zeigen, daß wir uns lieben? Woran kann die Geliebte erkennen, daß sie geliebt wird? Indem wir Gefühle benennen? Liebe bekennen? Geschenke schenken? Niklas Luhmann hat hierzu überraschende und zugleich ganz einleuchtende Beobachtungen gesammelt (u.a. Liebe als Passion, 1983)
Liebe ist daran zu erkennen, daß der Liebende sein Handeln ganz auf das Erleben des Geliebten einstellt. Das heißt: Man wird nicht nur alles tun, was verlangt wird, sondern man wird zuvorkommen. Die Liebe darf sich nicht erst auf Nachfrage zu erkennen geben, sie muss allem Bitten und Fragen zuvorkommen, um nicht als Pflicht zu erscheinen. Liebe handelt nicht reaktiv, sondern proaktiv. Nur so kann sie auf das Erleben, auf die ganz persönliche Welterfahrung des Geliebten reagieren und sich in einer noch nicht definierten Situation frei bewegen. Der Liebende bleibt selbstbestimmt, indem er dem, auf den er sich ganz einstellt, zuvorkommt. Liebende lesen Wünsche von den Augen ab. Das geht nur, wenn der Liebende nicht nur etwas an dem anderen liebt, sondern die ganze andere Person in ihrer einzigartigen Individualität zur Voraussetzung ihres Handelns macht. Auch das, wie der Geliebte die geliebte Person wahrnimmt. Die ganze Welt des anderen ist wichtig. Ich sehe die Welt mit den Augen des Geliebten und also auch mich mit den Augen der anderen. Eigene Handlungen müssen in die Erlebniswelt eines anderen eingefügt werden. Diese Einstellung auf die Welt, wie sie der andere erlebt, darf von dem Geliebten nicht als Unterwerfung, Fügsamkeit, als Nachgiebigkeit oder als Konfliktvermeidungsverhalten erlebt werden. Mit einem „na meinetwegen“ ist keine Liebe zufrieden. Handeln aus Liebe passt sich nicht nur an, will nicht nur gefallen, erfüllt nicht nur Wünsche. Es geht darum, in der Welt eines anderen Sinn zu finden. Das ist nie unproblematisch. Liebe muss das Risiko eingehen, letztlich nicht zu wissen, was für den anderen gut ist. Sie hält sich daran, den anderen in dem zu bestätigen, wie er die Welt erlebt.
Wer liebt, hat die Welt, d.h. die Wünsche, Vorlieben, die Ängste, die Freuden, die Hoffnungen, das Glück und auch das Unglück des Geliebten in seine eigene Welt hinein verinnerlicht. Daraufhin zu handeln, das ist Liebe und dieses Handeln erfüllt seinen Sinn in sich selbst. Liebe erfüllt sich allein durch Liebe, wird lebendig, wenn Liebe und Liebe sich miteinander verweben. Wer Liebe testen will, kann fragen (aber wer so fragt, liebt nicht): „Handelt mein Liebespartner so, daß er/sie meine und nicht seine/ihre Welt zugrunde legt?“ (Er fährt zu schnell, obwohl er weiß, dass ich das nicht mag; sie arbeitet mehr, obwohl sie weiß, dass ich darunter leide). Wer liebt, muss seine Gewohnheiten und Interessen überschreiten, er wir immer wieder neu und überraschend im Blick auf den anderen handeln.
Ist all dies möglich? Ist das nicht eine Überforderung? Ja, das ist es. Zu wissen, dass es überfordert und dennoch zu lieben, das ist Liebe.

Walfisch und Thunfisch

Treffen sich Walfisch und Thunfisch.
Fragt der Walfisch: Was sollen wir tun, Fisch?
Anwortet der Thunfisch: Du hast die Wahl, Fisch!

Frage: Wer ist in einer Freundschaft oder Liebesbeziehung eher Wahlfisch, wer eher Tunfisch?

Sonntag, 25. Juli 2010

Wirkliche Liebe heißt wissen, was dem anderen...

"Die Erkenntnis wahrer Liebe", so sagte ein jüdischer Lehrer
seinem Schüler , "verdanke ich einem Gespräch zweier Dorfleute,
denen ich zuhörte. Von den beiden sagte einer: 'Sag mir, Freund
Ivan, liebst du mich?' Der antwortete: 'Natürlich liebe ich dich!' Da
sagte der erste: 'Weißt du, Freund, was mir weh tut?' Der
antwortete: 'Wie kann ich denn wissen, was dir weh tut?' Da sagte
der erste: 'Wenn du nicht weißt, was mir weh tut, wie darfst du
sagen, daß du mich lieb hast?' - "Verstehst du", so schloß der
jüdische Lehrer, "Liebe, wirkliche Liebe, heißt wissen, was dem
anderen wehtut."

Dienstag, 20. Juli 2010

Liebe und Freiheit

"Es gibt nur eine Macht, die uns von uns selbst befreit, und uns alle Angst wie alle Selbstverzweiflung nimmt. Sie heißt die Liebe.
Wir kennen schon in unserem menschlichen Gemeinschaftsleben, wenn es je von dem Strahl der göttlichen Liebe getroffen war, etwas vom Leben und Walten der Liebe. Und mancher weiß beschämt und dankbar, daß er nicht das ist, was er aus sich selbst gemacht hat, sondern das, was die ihm begegnende, ihm geschenkte Liebe aus ihm gemacht hat. Diese geheimnisvolle Kraft echter Liebe beruht darin, daß sie den begegnenden Menschen sieht und versteht und behandelt nicht als den, der er hier und jetzt ist, sondern als den, der er sein kann, sein soll, sein möchte, als den Zukünftigen. Das macht einen Menschen froh und gibt ihm Vertrauen, wenn er spürt, daß der andere ihn als den Zukünftigen nimmt; daß der andere hindurchschauen kann durch alles Äußerliche, alles Alltägliche, Kleinliche, alles Unvollkommen-Halbe, das jedem anhaftet: daß der andere auf ihn vertraut. Und einem Menschen Vertrauen schenken, das bedeutet ja: an seine Zukunft glauben. Solches Vertrauen macht den, der es erfährt, glücklich und frei.
So schenkt Liebe Zukunft, so schenkt Liebe zugleich Glauben an die Zukunft. Aber alle unsere Liebe ist doch nur ein schwacher Abglanz der Liebe Gottes, die da »beweget Sonn und Sterne«. Wie schwach und gebrochen ist unsere Kraft, Liebe zu schenken und Liebe zu wecken! Das aber ist die christliche Botschaft, daß Gottes Liebe erschienen ist in Jesus Christus. Hier tritt sie aus der Verborgenheit und wird in Wort und Tat verkündet allen, die in Angst und Qual sich nach Freiheit sehnen. Gottes Liebe, die uns nimmt - nicht als die, die wir sind, zu denen wir uns gemacht haben, sondern als die, die wir nicht sind, die wir sein sollen, sein wollen, sein werden. Und dadurch macht die göttliche Liebe all das, was wir sind zum Schein und schenkt uns dafür, was wir nicht sind, unser echtes, wirkliches Sein. Gottes Liebe ist nicht ein Ziel, um das wir ringen - wer könnte sie sich erringen! -, sie ist die Macht, die uns immer schon umfängt, für die uns nur die Augen aufgehen sollen; und wir sollen die Augen richten auf den, in dem sie erschienen und wirklich geworden ist in der Welt, auf Jesus Christus. Sich von dieser Liebe getragen wissen, heißt frei sein von der Vergangenheit, frei sein von sich selbst, frei für die Zukunft, die Gott schenken will, für die Herrlichkeit, die an uns soll offenbart werden."

Ausschnitt aus einer Predigt, die Rudolf Bultmann am 2. Juli 1938 zu Römer 8,18-27 gehalten hat (Marburger Predigten, Tübingen 1956, S. 68-69)

Sonntag, 11. Juli 2010

Absolutheitsanspruch

"Das absolut Gemeinte wird umso partikularer, je absoluter es seinen Anspruch erhebt" (K. Nowak)

Samstag, 26. Juni 2010

Andacht zur Abiturfeier

„Mit dem Bedürfnis, die anderen zu verstehen, die anderen zu lieben – übrigens der einzige Weg, sich selbst zu verstehen und zu lieben –, damit beginnt Bildung.“(Cesare Pavese, italienischer Schriftsteller)

Bildung ist nach Pavese ohne das Bedürfnis, ohne die Sehnsucht, die anderen zu verstehen, die anderen zu lieben, nicht vorstellbar. In euch, liebe Abiturienten, hat diese Sehnsucht gesteckt und sie hat auch euer schulisches Lernen inspiriert und mitgetragen. Ihr habt nicht nur gebüffelt. Das Bedürfnis zu verstehen, hat euch immer wieder gepackt und in manchen Schulstunden, Arbeiten und Prüfungen zu ungeahnten Leistungen geführt. In mir als Lehrer steckt ebenfalls diese Sehnsucht, immer noch, nach vielen Jahren des Lehrens und Lernens. Es begeistert mich, das zu verstehen, das anders ist als ich, die zu verstehen, die anders denken, anders fühlen, anders ticken. Vieles anzuerkennen, was mir zunächst fremd erscheint. Und in diesem Prozess lerne ich mich selber besser kennen.

Ich bin der Überzeugung, dass Religion, dass Glaube zu dieser Art der Persönlichkeitsbildung beiträgt. Im christlichen Glauben lerne ich Gott kennen als den, der mich zu verstehen sucht, der mich, sein Geschöpf so sehr liebt, dass er mir gleich geworden ist. Er kennt mich ganz und gar. Meine Stärken, meine Schwächen, meinen Mut und meine Angst, meine Liebe und meinen Zorn, meine Sonnenseiten und meine Schattenseiten. Gott anerkennt mich mit dem, was ich bin. Diese völlige Annahme befreit mich dazu, mich ohne Täuschung, ohne Verzerrung wahrzunehmen. Mich mit meinen Gaben, aber auch mit meinen Abgründen zu sehen. Mich zu lieben, ohne einer narzisstischen Selbsttäuschung zu unterliegen. Diese Freiheit zur ungetrübten Selbsterkenntnis macht mich offen, andere zu verstehen, anzunehmen und zu lieben. Glaube kann somit freimachen zur Bildung, zur Sehnsucht, die anderen zu verstehen, die anderen zu lieben.

Ein solcher Glaube hat von daher auch keine Angst vor „höherer“ Bildung, keine Angst vor Wissenschaft, Kritik und Analyse. Im wissenschaftlichen Sinn gebildet sein und sich gleichzeitig Gott anzuvertrauen, das sind zwar zwei unterschiedliche Zugänge zum Leben, die sich aber nicht ausschließen, sondern vertragen können. Glaube kann und muss Reflexion und Kritik aushalten, sonst wäre er nicht wirklich frei. Glaube versucht auch den Nichtglauben zu verstehen. Nichtglaubende wiederum können anerkennen, dass es diese Form von Glauben gibt, der die tiefen Sinnfragen unseres Lebens mit dem Wort „Gott“ beantwortet.

Ich möchte diejenigen unter euch, die sich Gott anvertraut haben, die von seiner Liebe ergriffen sind, ermutigen, Folgendes mitzunehmen: dass der Glaube euch nicht hemmt, die anderen zu verstehen, die anderen zu lieben, sondern dass er in euch das Bedürfnis dafür noch verstärkt. Dass er euch liebesfähig macht, damit ihr die anderen und euch selbst tiefer lieben könnt. Denn: Gott ist die Liebe.

Ich möchte ebenso diejenigen unter euch, die sich gegenüber Religion eher distanziert verhalten möchten, ermutigen, Folgendes mitzunehmen: Den Respekt vor Menschen, die sich Gott anvertrauen; anerkennen, dass es Formen des Glaubens gibt, die nicht bildungsfeindlich sind, sondern die dazu beitragen, dass die Frage nach dem, was der tragende Grund unserer ganzen Wirklichkeit ist, offen bleibt. Schließlich: Gott als nicht auszuschließende Möglichkeit wachzuhalten, Gott als Weg zur Selbsterkenntnis und zur Welterkenntnis.

Samstag, 12. Juni 2010

Joachim Gauck

Gestern wurde Joachim Gauck 15 min in der ARD befragt. Ich hatte schon am Mittwoch das Interview mit Christian Wulff gesehen. Er kam sympathisch rüber, sagte nichts Verstörendes, aber auch nichts, was ich mir gemerkt hätte. Kein Unglück, wenn er Bundespräsident werden würde.

Gauck aber hat mich sofort berührt. Welche Kraft in seinen Worten, welche reflektierte Lebenserfahrung! Man merkt sich Sätze wie: "Verantwortung ist die Freiheit des Erwachsenen", oder "Oft wird vergessen, wie sehr die Opfer der Schuldeinsicht der Täter bedürfen". Es wäre ein Glück für Deutschland, wenn er zum Bundespräsidenten gewählt werden würde.

Sonntag, 30. Mai 2010

Dem Geist nachspüren – den Geist Gottes im Römerbrief entdecken Teil 3

Röm 12,11: Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist.Der Geist intensiviert das, was wir tun. Was wir tun sollen – in welchen Lebenszusammenhängen auch immer: der Geist läßt uns glühen, wie es wörtlich zu übersetzen ist. Unser Tun empfängt etwas von der Lebendigkeit des Geistes.
Röm 15,13: Reicher werden an Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes.
Der Geist macht uns reich an Hoffnung. Er verkürzt nicht den Blick in die Zukunft, sondern weitet ihn. Ein ganzes Leben liegt noch vor uns. So viel wir schon gelebt habe, am Leib schon 30, 40, 50 oder gar 60 Jahre mit uns tragen, ob unsere Seele unseren Horizont gerade auf das morgen einschränkt und alles weitere ganz ins Düstere gleiten lässt. Der Geist macht es hell, weitet unseren Zeithorizont, befreit uns von aller Zukunftsangst, weil er uns mit der Zukunft Gottes verbindet.
Röm 15,16: Geheiligt durch den Heiligen Geist.
Wieder taucht das Geheiligt sein auf. Der Geist führt uns in die Nähe Gottes und so macht er uns heilig. Er trennt uns von dem, was uns selbst und andere zerstört.
Röm 15,19: Die Kraft des Geistes Gottes
Ich sehne mich mit euch nach dieser Kraft des Geistes. Sie ist aber schon da, wirkt an uns, baut unsere Gemeinde.
Röm 15,30: Die Liebe des Geistes
Ich bete:
Gott, schenke uns jetzt die Liebe deines Geistes,
gieße sie aus in unsere Herzen
Komm, Geist der Liebe!
Kräftige mich,
erfülle uns.

Samstag, 29. Mai 2010

Dem Geist nachspüren – den Geist Gottes im Römerbrief entdecken Teil 2

Röm 8,13: Durch den Geist die Taten des Fleisches töten
Ein starkes Bild, fast zu intensiv, zu brutal. Etwas töten? Was? Taten des Fleisches. Etwas sein lassen, was dem Frieden, dem Leben und der Liebe widersprechen könnte. Krieg, Tod, Hass. Dem kein Leben geben, was deine Lebendigkeit im Geist erstickt.
Können wird das? Oder ist unser Leben doch von der Furcht, von den Kränkungen geprägt, die uns eingepanzert haben?
Röm 8,15-16: Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater!
Der Geist schenkt uns einen kindlichen Geist! Er macht uns jung, zu Kindern, zu solchen, die jeden Tag wie neugeboren beginnen können ohne gefesselt zu sein an die Altlasten der Traurigkeiten, Enttäuschungen. Der Geist macht uns nicht zu ängstlichen oder angepassten, sondern zu unbefangenen, freien und fröhlichen Kindern voller Mut.
Röm 8,23: Auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes.
Wir leben dieses neue geistliche Leben in einem alten Leib, ein Leib, der die ganze Last unserer Vergangenheit wie ein Gedächtnis bewahrt. Unsere Seele kann nichts vergessen, unser Körper wurde schon viele Jahre der Vergänglichkeit ausgesetzt. Schmerzen – seelisch, körperlich
Darum gehört zum geistlichen Leben auch das Seufzen. Die Sehnsucht nach mehr. Der Geist ist Anzahlung, nicht die Fülle.
Röm 8, 26: Der Geist selbst vertritt uns mit unaussprechlichem Seufzen.
Der Geist macht unser Seufzen zu seinem Seufzen! Ist das nicht eine ungeheure Einfühlsamkeit? Wir sind ganz verstanden! Der Geist, der uns erneuert, trägt auch die ganze Last der Vergänglichkeit mit. Wir müssen sie nicht verdrängen, die Fröhlichen, Glücklichen spielen.

Freitag, 28. Mai 2010

Dem Geist nachspüren – den Geist Gottes im Römerbrief entdecken Teil 1

Nachspüren: der Geist Gottes ist unseren Gefühlen, unseren Stimmungen, unseren Haltungen und sittlichen Einstellungen ganz nah, wenn er anwesend ist, können wir ihn spüren.
Bewusst machen, was für eine Rolle der Geist im Leben als Christen spielt.
Verstehen, um zu erleben.
Röm 1,4 Der Geist, der heiligt, indem er Jesus als Sohn Gottes in Kraft einsetzt, indem er ihn aufweckt. Der Geist ist die Kraft der Auferstehung.
Der heilige Geist ist die Kraft Gottes, die zum göttlichen Leben führt, zum ewigen Leben, zu einem Leben in der Nähe Gottes.
Der Geist ist die Fülle der Lebendigkeit. Er ist Teil der ersten, wie auch der zweiten Schöpfung Gottes.
Röm 2,29: Beschneidung des Herzens, die im Geist und nicht im Buchstaben geschieht.
In der Gegenwart kann der Geist unser Herz, unser Ich, den Motor unserer Ziele und Werte „beschneiden“, d.h. so umwandeln, dass es erneuert wird. Der Geist greift ins Zentrum ein. Er packt unsere Seele an ihrer Wurzel
Wie geschieht das?
Röm 5,5: Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsre Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist.
Der Geist füllt unsere Seele mit der Liebe Gottes. Nicht wir schöpfen diese Liebe, sondern er flößt sie uns ein. Wir empfangen sie. Denn wir haben erkannt, wie sehr uns Gott liebt.
Röm 7,6: So leben wir im neuen Wesen des Geistes
Er bringt die Liebe Gottes und das Leben Gottes zu uns.
Der Geist wird unser eigentliches Wesen. Er macht alle Glaubenden zu Geistlichen, nicht nur eine besondere Gruppe von Personen.
Röm 8,2: Das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht.
Der Geist macht uns frei! Spüre, wovon der dich freimacht: Wovon brauchst du Befreiung? Du bist in Christus lebendig gemacht.
Röm 8,6: Geistlich gesinnt sein ist Leben und Friede.
Spüre, dass du lebendig bist!
Spüre den Frieden, den der Geist dir schenkt, der dich ausruhen lässt! Du kannst dich mit dir selbst versöhnen, mit anderen, mit Gott. Frieden!

Mittwoch, 26. Mai 2010

Gegenwart Gottes im Gebet - Ambrosius

Die Seele des Gerechten ist die Braut des Wortes Gottes. Wenn sie wünscht, begehrt und betet, wenn sie inständig betet, wenn sie betet ohn allen Zweifel, wenn sie sich ganz dem Wort entgegenstreckt, dann glaubt sie alsbald, dessen Stimme zu hören, den sie nicht sieht, und mit ihrem innersten Sinn spürt sie die Gegenwart seiner Gottheit. Das erfahren meist die, die recht glauben. Der Atem ihrer Seele wird plötzlich von geistlicher Gnade erfüllt, und die Seele fühlt, wie sie den Hauch der Gegenwart dessen einatmet, den sie sucht, und sie spricht: Siehe, er ist selbst da, den ich suche, er selbst, den ich ersehne.

Expositio in Ps. 118 6,8

Montag, 24. Mai 2010

1. Clemensbrief

Zur Zeit lese ich von Stefan Krauter "Studien zu Römer 13,1-7", um eine Rezension vorzubereiten. Um mich mit den jüdischen und christlichen Vorstellungen zum Verhalten von Christen gegenüber dem Staat vertraut zu machen, habe ich unter anderem in den 1. Clemensbrief hineingelesen und war zum ersten Mal richtig beeidruckt von diesem frühchristlichen Text, der vermutlich um 96 n.Chr. von Rom aus nach Korinth geschrieben wurde. Es ist ein sehr langer Brief, Ermahnung und Predigt zugleich, länger noch als der Römerbrief. Ganz sicher benutzte Clemens den Römerbrief, den 1. Korintherbrief und den Hebräerbrief bei der Abfassung seines Schreibens, das von einer tiefen Spiritualität geprägt ist.

Hier einige Zitate (Kapitel und Versangaben kommen noch):


Gerecht und gottgefällig ist es also, Männer, Brüder, daß wir Gott gehorsam sind und nicht denen Folge leisten, die in Prahlerei und Unordnung Führer abscheulicher Eifersucht sind. Nicht den gewöhnlichen Schaden nämlich, sondern eine große Gefahr werden wir über uns bringen, wenn wir uns tollkühn den Bestrebungen der Leute preisgeben, die auf Streit und Zwistigkeiten hinzielen, in der Absicht, uns dem, was recht ist, zu entfremden. Laßt uns einander Güte erweisen, entsprechend der Barmherzigkeit und Milde dessen, der uns geschaffen hat.

Wie herrlich und bewundernswert sind die Geschenke Gottes, Geliebte! Leben in Unsterblichkeit, Freudigkeit in Gerechtigkeit, Wahrheit in Freimut, Glaube in Zuversicht, Enthaltsamkeit in Heiligung. Und dies alles fiel in den Bereich unseres Verstandes! Was ist es nun, was denen bereitet wird, die harren? Der Schöpfer und Vater der Ewigkeiten, der Allheilige selbst kennt ihre Größe und Schönheit. Laßt uns also kämpfen, um erfunden zu werden in der Zahl derer, die harren, damit wir der verheißenen Geschenke teilhaftig werden! Wie aber soll dies geschehen, Geliebte? (Es geschieht,) wenn unser Sinn voll Vertrauen und fest auf Gott gerichtet ist, wenn wir trachten nach dem ihm Wohlgefälligen und Angenehmen, wenn wir das seinem untadeligen Willen Angemessene ausführen, d.h. dem Weg der Wahrheit folgen, indem wir von uns abwerfen alle Ungerechtigkeit und Bosheit, Habsucht, Streiterei, Verschlagenheit und Hinterlist, Ohrenbläserei und Verleumdungen, Gotteshaß, Hochmut und Prahlerei, leere Ruhmsucht und Ungastlichkeit.

Wer Liebe in Christus hat, der tue die Gebote Christi. Das Band der Liebe Gottes - wer vermag es zu beschreiben? Seine erhabene Schönheit - wer ist imstande, sie auszudrücken? Die Höhe, zu welcher die Liebe hinaufführt, ist unaussprechlich.

Liebe verbindet uns eng mit Gott, Liebe deckt zu die Menge der Sünden. Liebe erträgt alles, sie duldet alles. Nichts Gemeines ist in der Liebe, nichts Überhebliches. Liebe kennt keine Spaltung, Liebe lehnt sich nicht au( Liebe tut alles in Eintracht. In der Liebe sind zur Vollendung geführt worden alle Auserwählten Gottes. Ohne Liebe ist nichts wohlgefällig bei Gott.

In Liebe hat uns angenommen der Herr; um der Liebe willen, die er zu uns hatte, hat Jesus Christus, unser Herr, sein Blut gegeben für uns nach dem Willen Gottes, und das Fleisch für unser Fleisch und die Seele für unsere Seelen.

Seht, Geliebte, wie etwas Großes und Wunderbares die Liebe ist, und von ihrer Vollendung gibt es keine Beschreibung. Wer ist würdig, in ihr erfunden zu werden außer denen, welche Gott für würdig erachtet? Erbitten wir also und erflehen wir von seinem Erbarmen, daß wir in der Liebe erfunden werden ohne menschliche Parteineigung, frei vom Tadel. Alle Geschlechter von Adam bis zum heutigen Tage sind vergangen; aber die, die in Liebe vollendet worden sind gemäß der Gnade Gottes, besitzen den Ort der Frommen.

Freitag, 21. Mai 2010

Adler - Dreikurs - Ermutigung

Alfred Adler und sein Schüler Rudolf Dreikurs betonten in der Erziehung die Ermutigung. In Österreich gibt es einen Verein, das PZW (Pädagogische Zentrum Weiz www.rudolf-dreikurs-institut.at) der sich zum Ziel gesetzt hat, die Idee der Ermutigung in Österreich zu verbreiten. Hier wurde auch ein "Ermutigungsspiel" für Familien und Schulklassen entwickelt; daraus eine Spielkarte:



"Betrachte den Menschen als ein Bergwerk, reich an Edelschätzen von unschätzbarem Wert."

Freitag, 14. Mai 2010

Eigene Wege

"Wer auf seinem eigenen Weg geht, kann von niemandem überholt werden"
(Marlon Brando)

Donnerstag, 13. Mai 2010

Augustinus

In seinem Grundriß der Dogmengeschichte preist Karlmann Beyschlag Augustinus als größten aller christlichen Theologen, als einziges Universalgenie und an Universalität auch Luther überragend, eine unvergleichliche Persönlichkeit. Nun ja. Beyschlag gelingt es, auf Augustinus Appetit zu machen. Im Folgenden einige Aussagen von Augustinus, die mich ansprechen:

"Nichts Gutes kann wahrhaft erkannt werden, wenn es nicht wahrhaft geliebt wird." (Nullum bonum perfecte noscitur, quod non perfecte amatur, De div. quaest.83.35.2)

"Denn zu dir hin hast du uns geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in dir" (Lobpreis zu Beginn der Confessiones).

"Herr, Gott, gib uns Frieden - alles hast du uns ja geschenkt -, den Frieden der Ruhe, den Frieden des Sabbats, den Frieden ohne Abend!" (Gebet zum Abschluss der Confessiones).

Montag, 26. April 2010

Was ist eine gute Religion (4) - der Gott des Friedens

Gute Religion spricht vom Frieden Gottes – die ambivalenten Seiten der Götter und des einen Gottes sind eindeutig geworden. Gott zeigte seinem Volk Israel im Alten Testament zwei Seiten: auf der einen Seite Liebe und Treue, auf der anderen Seite aber auch seinen Zorn, seine Strafgerichte, seine Enttäuschung über das Böse und Ungerechte, was trotz Bundesschluß geschah. Und es ist nicht immer ganz klar, welche Seite in Gott stärker ist. Letztlich ringt sich aber die Treue Gottes durch, sie ist stärker als der Zorn. Gott bleibt seinem Volk treu und will es zum Frieden führen.
Der christliche Glaube erzählt, dass sich Gott in der Menschwerdung des Sohnes, in dessen Hingabe, nicht nur seinem Volk, sondern allen Völkern, allen Menschen, versöhnend und friedvoll zugewendet hat. Das ist die große Gabe Gottes an uns. Seine Liebe ist auch für Nichtjuden stärker als sein Zorn. Er will ein Gott sein, der allen Menschen Frieden schenkt. Nicht der Zorn ist die Regel und die Liebe die Ausnahme, sondern umgekehrt. Gott hat sich auf seine Liebe festgelegt, der Zorn ist zu seinem Spielbein geworden. (Eine gute Religion ist aber keine „flache Religion“ mit einem rein gütigen Schöpfergott, der keinem etwas zu leide will).
Im Glauben binden sich Christen an die Jesus-Christus-Geschichte. Sich vertrauensvoll Jesus anzuvertrauen, Teil seiner Geschichte zu werden, ist auch Teil der Guten Religion. Sie bringt uns Gott ganz nah, verbindet uns mit dem Gott des Friedens (2 Kor 5,14-21, Röm 5,1, Epheser 2,14-20): „Der Gott des Friedens sei mit euch allen.“ (Röm 15,33; vgl. auch 2 Kor 13,11; Phil 4,9; 1 Thess 5,23).
Der Frieden Gottes macht Christen zu Friedensstiftern (Röm 12,18; 1 Thess 5,13).

Dienstag, 20. April 2010

Was ist eine gute Religion (3)

Schüleraussage (aus dem heutigen Unterricht): „Es gibt keine „gute Religion“, jeder hat etwas an einer anderen Religion auszusetzen.“ Aus dem Blick der einen Religion sind die anderen weniger gut oder gar schlecht. Summiert man das, bleibt an allen etwas hängen. Keine ist ausgenommen. Der Beobachter stellt fest: Reklamation! Makel allerorts!
Versuchen wir es anders: Ist der Monotheismus im Gegenüber zum Polytheismus eine gute Religion? Das Christentum im Gegenüber zum Judentum und zum Islam? Der Protestantismus im Gegenüber zu Orthodoxen und katholischen Kirchen? Die Freikirchen im Gegenüber zu den Volkskirchen? Meine Freikirche gegenüber anderen Freikirchen? Mein Verständnis des Glaubens gegenüber dem aller anderen, die es nicht ganz so gut wie ich verstanden haben? Aber wie kann eine Religion gut sein, die allein die meine ist und allein in meinen Augen gut ist? Da ist kein zweiter, der so glaubt wie ich!
Und genau das ist der Schlüssel!
Ja, eine Religion ist gut, wenn sie die Möglichkeit gibt, einen individuellen Zugang zu Glauben zu gewähren, zu erlauben, zu ermöglichen, zu fördern.
Eine Religion ist gut, die anerkennt, dass diese Möglichkeit nur in der modernen funktional differenzierten Gesellschaft offen steht. Die Grundrechte, die Menschenrechte geben mir den Raum, meine individuelle Religiosität oder Nichtreligiosität zu leben und zu pflegen. Wir sind allesamt Patchwork-Fromme. Jeder von uns könnte eine neue Kirche mit seinen Idealen von einer „guten Religion“ gründen.
Eine Religion, d.h. eine religiöse Organisation oder Kultur ist gut, wenn sie dies erkennt und innere Freiräume gewährt, wenn sie ins interkonfessionelle und interreligiöse Gespräch eintritt und sich lernfähig zeigt.
Eine Religion ist gut, wenn sie zwischen Staat und Religion differenzieren kann, weder religiöse Politik, noch politische Religion fördert.
Eine Religion ist gut, wenn sie Meinungsfreiheit gewährt, wenn sie zwischen Religion und Wissenschaft differenzieren kann, weder religiöse Wissenschaft noch Wissenschaftsreligion fördert.
Gute Religion ist reflexiv, differenziert, selbstkritisch. Sie sitzt nicht Verschwörungstheorien auf, sondern hilft, sie zu durchschauen.
Sie sagt nicht:
"Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein." sondern: "Und willst Du nicht mein Bruder sein, so schlag mir doch den Schädel ein".
Gute Religion ist pazifistisch (nicht unbedingt gute Politik!), gewaltfrei, schwach und arm. Sie hält nichts in den Händen. Sondern sie weiß sich gehalten. Ihr einiger Schatz ist, dass sie Räume, Zeiten, Liturgien, Personen, Texte, Worte bereit hält, die offen sind hin zum dem, was wir Modernen Transzendenz nennen, große Transzendenz, Öffnung hin zu dem, was die ganze Wirklichkeit trägt.
Monotheisten sagen: Gott spricht! Christen sagen: Gott spricht durch die Bibel, das Evangelium! Protestanten sagen: Gott spricht zu!

Samstag, 17. April 2010

Was ist eine gute Religion? (2)

Spontane Antworten von Personen, die ich befragt habe:

„Gute Religion
ist Religion, die gut tut!“
ist Religion, die mich glücklich macht.“
ist Religion, die lebensfördernd ist.“
hat eine geringe Machtdistanz zwischen Gott und Mensch.“


Merkmale guter Religion:

Triaden

Schön – wahr - gut
Schöpfung – Evangelium - Gericht
Liebe – Glaube - Hoffnung
Freude – Freiheit - Frieden

Gute Religion ist reflexiv und selbstkritisch und damit frei von Fundamentalismus.
Sie hat die Trennung von Staat und Kirche verinnerlicht (gegenseitige Selbstbegrenzung von Politik und Religion – keine politische Religion und keine religiöse Politik).

Montag, 12. April 2010

Einige vom Evangelium inspirierte Weisheiten bei Paulus in den Korintherbriefen

„In den Frieden hinein hat euch Gott berufen“ (1 Kor 7,15)

„Zu einem hohen Preis seid ihr (von Gott) freigekauft worden: Werdet nicht Knechte von Menschen.“ (1 Kor 7,22)

„Ich möchte, dass ihr ohne Sorge seid.“ (1 Kor 7,32)

„Die Erkenntnis bläht auf, aber die Liebe baut auf“ (1 Kor 8,1)

„Macht wird in Schwachheit vollendet“ (2 Kor 12,9)

„Es sollen nicht die Kinder den Eltern Schätze sammeln, sondern die Eltern den Kindern“ (2 Kor 12,14)

„Ich suche nicht das Eure, sondern euch“ (2 Kor 12,14)

„Schaut auf das, was vor Augen liegt“ (2 Kor 10,7)

„Wer ist schwach, und ich werde nicht schwach?“ (2 Kor 11,29)

„Der Herr ist der Geist, wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit“ (2 Kor 3,17)

„Wenn auch unserer äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag erneuert“ (2 Kor 4,16)

„Wer kärglich sät, wird auch kärglich ernten; wer reichlich sät, wird reichlich ernten“ (2 Kor 8,6)

Freitag, 9. April 2010

Malcolm McLaren gestorben

Was hat Malcolm McLaren, der englische Künstler, Manager und Musiker, der vor allem Punk und Postpunk geprägt und beeinflusst hat, und gestern im Alter von 64 Jahre leider verstorben ist, hier zu suchen? Ganz einfach! Er hat einige der fröhlichsten, lebensbejahenden Songs veröffentlicht, die ich kenne. Sie finden sich auf dem Jahrzehnt-Album "Duck Rock", das 1983 von Trevor Horn produziert und mitkomponiert wurde (er ist Produzent meiner Lieblingsplatte ABC: Lexicon of Love, 1982). Hier als Video "Double Dutch":

Was ändert sich?



"Sag mir nicht, was du glaubst! Sag mir, was sich ändert, wenn du es glaubst!"

(Bertold Brecht zugeschrieben)

Mittwoch, 7. April 2010

Wunderschöne Musik

Ich weiß nicht, ob es ein Trend ist, aber zur Zeit erscheinen mehrere Alben, die man mit dem Label "Orchesterpop" bezeichnen könnte. Voluminöse, vor allem mit Streichern und Orchester eingespielte cinemacsopebreite und -weite Popsongs, die in Melodien, Rhythmen und Erhabenheit schwelgen. Überschwengliche Musik wie die Gnade Gottes, die überfließt, überreich ist (Röm 5,15-18).
Ich nenne drei Titel, die mich zur Zeit begeistern

Jonsi: Go (träumerisch, verzaubernd, far out, "himmlisch"- Jonsi ist Leadsänger der Gruppe Sigur Ros aus Island, madrigalartiger Gesang)
Fanfarlo: Reservoir (am leidenschaftlichsten, erinnert u.a. an Arcade Fire und My Life Story)
The Irrepressibles: Mirror, Mirror (am kunstvollsten, kein Schlagzeug, aber Streicher, die es mit ihrer Wuchtigkeit voll ersetzen, Sänger ist klassisch ausgebildet)

Nachtrag am 13.4.:
Emanuel and the Fear: Listen (mit rockigem Einschlag und Tupfern von Folk)

Sonntag, 4. April 2010

Was ist eine gute Religion?

Vor einiger Zeit hat die NZZ diese Frage einigen "Intellektuellen" gestellt. Die Text wurden 2006/2007 publiziert und sind immer noch als Dossier zugänglich. Sie sind äußerst anregend zu lesen und fordern dazu heraus zu fragen: Was ist für mich "gute Religion"?
Diese Frage soll die Leitfrage meiner Predigt bei der nächsten AWA-Tagung sein, bei der es um neue Religiosität in säkularer Gesellschaft geht.
Hier schon einmal ein Text, den ich vor einiger Zeit geschrieben habe und für den Blog leicht überarbeitet habe.

Gute Religion gibt die Möglichkeit, reflektiert an Gott zu glauben

Reflektierter Glauben kann den Glauben an Gott stärken und vertiefen. Dieser Glaubensstil nimmt in der Moderne einen Platz zwischen Relativismus und Fundamentalismus ein.

Die" postmoderne" relativistische Weltsicht als offensive Reaktion auf die Komplexität der modernen Gesellschaft ist vom Zweifel als Grundform geprägt. Weil es keine absolute Perspektive gibt, ist auch von keiner absoluten Wahrheit auszugehen. Typisch für diese Position ist der sogenannte „radikale Konstruktivismus“. Der Relativist distanziert sich vornehm von allen letztgültigen Aussagen, er möchte nicht als intoleranter Eiferer auftreten. Er ereifert sich höchstens für seinen Relativismus und verachtet – meist verdeckt – all diejenigen, die leidenschaftlich Position beziehen. Die Stärke seiner Position besteht darin, dass er wirklich zu verstehen versucht. Er beobachtet bei den meisten Menschen eine Neigung zur vorschnellen Bewertungslust, die meist von ungenauen Informationen und schlechtem Zuhören begleitet ist. Ganz anders der Relativist: Er kann zuhören und genau wahrnehmen. Als intensiver Beobachter, der sich platten Urteilen enthält, fällt es ihm eher schwer, vom Verstehen auf das Beurteilen umzuschalten. Es könnte ja sein, dass seine Beurteilung auf falschen Beobachtungen beruht. Er zieht eher seine Beobachtungen in Zweifel, als einen Sachverhalt, z.B. das Verhalten bestimmter Personengruppen, zu verurteilen. So enthält er sich meist moralischer Bewertungen. Aber er hält lieber Distanz, als sich zu engagieren, er hält lieber an seinen gut begründeten Vorbehalten gegenüber jeder zu festen Bindung fest – nicht zuletzt auch, wenn es um Religion geht. Der Relativist strukturiert sich seine Wirklichkeit eher wie eine Talkshow, er versteht sich als Moderator unterschiedlicher, sich widerstreitender Standpunkte, ohne selbst eine autoritäre Position z.B. durch Beurteilungen einzunehmen. Er ist glücklich dabei, dass jeder zur Sprache kommen darf und alles offen bleibt. Auch in sich läßt der Relativist fast alles zu, er wirkt auf andere nicht selten als jemand, der nicht zu greifen ist, keinen Standpunkt hat, mal so und mal so denkt oder handelt. Er fühlt sich wohl in diesem Pluralismus.

Ganz anders die fundamentalistische Weltsicht als Reaktion auf die Komplexität der Moderne, die von der Sicherheit als Grundform geprägt ist. Weil es eine absolute Perspektive gibt – die Offenbarung Gottes – ist auch von einer absoluten Wahrheit auszugehen, der Wahrheit der eigenen Überzeugung, die sich ja völlig an der Offenbarung orientiert. Zweifel an dieser sicheren Wahrheit werden als Sünde gedeutet. Die Reflexion der eigenen Position verbietet sich der Fundamentalist, nichts scheut er mehr als eine Relativierung, z.B. durch Ironie und Humor. Der Fundamentalist ist leidenschaftlich, er liebt es sogar, als intoleranter Eiferer aufzutreten, denn die Anfeindungen, die ihm als Folge entgegenschlagen, bestätigen ja nur, dass sich die Wahrheit unbeliebt macht. Er sieht sich dann in einer Reihe mit Propheten und Gotteszeugen, die für die Wahrheit ins Martyrium gegangen sind. Als kompromißloser Zeuge der Wahrheit liegt ihm nicht daran, andere Wahrheitsvertreter zu verstehen; er pflegt lieber stereotype, ja verschwörungstheoretische Urteile über Positionen, die aus seiner Sicht von der Wahrheit abirren und ein bedrohliches Potential besitzen sollen, vor dem nicht genug gewarnt werden kann. Denn die Verführungskünste des Teufels lauern überall, ja selbst unter den Wahr-heitsfreunden. Der ausgeschlossene Zweifel schleicht sich mit der letzten Überlegung in Selbstzweifeln wieder ein, nämlich in der Angst, vom rechten Weg abzuirren. Der Fundamentalist strukturiert sich seine Realität hierarchisch, also mit einer obersten monarchischen Spitze, der er – wie bei einer Pyramide – alles weitere in guter Ordnung unterordnet. Er plädiert für straffe Hierarchien in der Kirche (z.B. für das Papsttum) und versucht sie auch im Privaten durchzusetzen (z.B. hat der Vater der Vorsteher der Familie zu sein). In seinem Inneren soll alles in gleicher Weise geordnet sein. Die Glaubensinhalte stehen an oberster Stelle, also Gott und die wahre Gemeinde. Ihrem Dienst wird alles untergeordnet, die Leidenschaften und Triebe werden weiter unten angesiedelt und oft nur mit starkem Druck unter Kontrolle gehalten. Der Zweifel wird ganz ausgeschlossen, er vegetiert in den tiefen Verließen der inneren „Staatssicherheit“ als gefährlicher Feind vor sich hin.

Der reflektierende Glaube läßt sich in einigen Aspekten (nicht in allen!) mit dem Bild eines demokratischen Parlaments veranschaulichen. Im Parlament sind verschiedene Parteien vertreten, von denen eine oder mehrere als Mehrheit die Regierung bilden. Der Regierung steht die Opposition gegenüber, die immer wieder das Denken und Handeln der Regierung kritisch hinterfragt. Übertragen auf den reflektierenden Glauben heißt das: Die verschiedenen Parteien stehen für die Wahrnehmung und Akzeptanz von Pluralismus, die Regierung für das Interesse, einen klaren Standpunkt bei Berücksichtigung der Vielfalt zu vertreten. Die Regierung ist der Gottesglaube, vermittelt durch eine bestimmte Konfession. Die innere Mehrheit plädiert für diesen Glauben und setzt ihn gegen die innere Opposition durch. Die Minderheit, die Opposition, besteht aus den Überzeugungen anderer Konfessionen, anderer Religionen oder des Atheismus. Es gibt auch eine Partei des Zweifels, die im inneren Parlament akzeptiert und für wichtige kritische Einwände geschätzt wird. Die Regierung ist – wie in einer guten Demokratie – an einer starken Opposition interessiert, die herausfordert und hilft, den eigenen Standpunkt zu reflektieren und gute Anregungen auch aufzunehmen. Es handelt sich um eine dialogfähige Regierung. Unter die 5%-Klausel fallen in diesem Parlament aggressive Fundamentalismen (religiöse Gruppen mit völlig verdrehten Feindbildern und der Tendenz, physische Gewalt gegenüber Andersdenkenden auszuüben) als auch Relativisten, die sich nicht einmal mehr die Mühe machen, zu verstehen (Null-Bock-Mentalität).

Montag, 29. März 2010

Im Namen Jesu beten

„Im Namen des Gesetzes“. Sie sind verhaftet!
„Im Namen des Volkes ergeht folgendes Urteil. Der Angeklagte wird freigesprochen!“
„In Namen der Freiheit“ hat jemand 1000 Filme kostenlos ins Internet gestellt.
Aktiv werden Menschen „im Namen der Kinder“, „im Namen der Menschlichkeit“, „im Namen der Tiere“, „im Namen der Gerechtigkeit“.
Im Namen von …. wird oft gesprochen.
Christen sprechen im „Namen des Herrn“ oder beten „im Namen Jesu.“.
Was verbirgt sich hinter der Wendung „im Namen Jesu“? Welche Bedeutung hat sie?
Was tun wir, wenn wir im Name Jesu beten?

Beten im Namen Jesu

Eph 5,20: „und sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für alles, im Namen unseres Herrn Jesus Christus.
Joh 14, 12-14: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, der wird die Werke auch tun, die ich tue, und er wird noch größere als diese tun; denn ich gehe zum Vater. Und was ihr bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun, damit der Vater verherrlicht werde im Sohn. Was ihr mich bitten werdet in meinem Namen, das will ich tun.
Joh 15, 16 Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, daß ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibt, damit, wenn ihr den Vater bittet in meinem Namen, er's euch gebe.
Joh 16, 23-26 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben. Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr nehmen, daß eure Freude vollkommen sei. Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Zeit, daß ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen.

Unser Bitten und Danken soll „im Namen Jesu“ geschehen. Gott erhört unsere Bitten „im Namen Jesu“ – also aufgrund dessen, was in Jesus für uns geschehen ist.
Der Name steht hier immer für eine Autorität, eine Kraft und Macht, die einer Handlung Gültigkeit und Verbindlichkeit gibt. Der Name Jesu gibt dem Gebet eine besondere Gültigkeit. Warum? Weil Gott sich in Jesus in aller Fülle offenbart hat und sich "im Namen Jesu" darauf freiwillig festgelegt hat, uns zu beschenken.

Von der unüberbietbaren Macht Jesu, die alle anbeten und anbeten werden, spricht
Phil 2,10: "daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind."
Die höchste Autorität, auch noch über politischer Macht, ist nach Philipper 2,10 Jesus als der Gekreuzigte und von Gott Erhöhte. Er hat den Namen, der über allen Namen ist. Dieser Jesus ist der Herr, durch den alle gerettet werden. Alle werden ihn anbeten und im Gebet ausdrücken, daß er der rettende Sohn Gottes ist, der zur Ehre des Vaters den Weg ganz nach unten gegangen ist.

Dienstag, 23. März 2010

Mutterliebe

Meine Mutter erzählt in ihren Kindererinnerungen vom Leben als Flüchtlinge im Rheinland. Besonders berührt mich, wie sie und ihre beiden Schwestern ihrer Mutter, meiner Großmutter, Geburtstagsgeschenke organisierten.

Wir fanden oft Blumen, im zeitigen Frühjahr "Hänsel und Gretel", eine Pflanze, die blaue und rote Blüten trägt. Dann Veilchen, Buschwindröschen, danach die gelben Himmelschlüssel, später Maiglöckchen. Es gab so viel Maiglöckchen, daß wir sie am Sonntagvormittag in Körben sammelten und daraus hübsche kleine Sträußchen machten, außen herum die grünen Blätter, dicht an dicht und in der Mitte die weißen Maiglöckchen. Wir waren immer sehr stolz, daß sie so schön gebunden waren und auch genug grüne Blättchen außen herum hatten. Diese Sträußchen verkauften wir dann am Nachmittag an Gäste im Hotel Margarethenkreuz, und wenn Leute in Bussen oder PKws auf den großen Parkplatz kamen, um in das Siebengebirge zu wandern, warteten wir, bis sie zurückkamen und boten ihnen dann bei der Abfahrt unsere Sträußchen an. Meine Schwester Sigrid erinnert sich daran, daß wir auch viele Maiglöckchen den Amerikanern verkauften, die das schöne Siebengebirge kennenlernen wollten.
In einem Jahr haben wir alles Geld, das wir dadurch einnahmen, für Muttis Geburtstag gespart. Sie hat ja zur Maiglöckchenzeit Geburtstag am 19. Mai. Wir bekamen 57 Mark zusammen. Und wir wußten auch, was wir davon kaufen würden. Ich staune heute nur, daß wir drei kleinen Mädchen das alles allein entschieden und auch besorgt haben. Wir haben als erstes einen neuen Brotkasten gekauft, das war am nötigsten, denn der alte aus Blech war schon an manchen Stellen rostig und hatte vor allem jede Farbe verloren. Dann kauften wir einen sehr hübschen Milchkrug, weil beim alten die Schnauze abgeschlagen war und auch sonst noch abgeschlagene Stellen waren. Ich kann den neuen Krug heute noch innerlich vor mir sehen, er war sehr hell (cremefarbig bis weiß) und hatte schöne glänzende blaue Punkte. Und als drittes kauften wir eine neue Tischdecke für den Küchentisch. Es gab ja früher die Tischdecken aus schwerem Wachstuch, die für damalige Verhältnisse sehr teuer waren. So ein gutes Stück hatten wir nun schon mehrere Jahre, und wenn man sich klarmacht, daß an diesem Küchentisch fast das ganze Leben ablief, die Mahlzeiten, Essen zubereiten, Handarbeiten, Hausaufgaben, Basteln, Briefe schreiben u. a. dann ist leicht vorzustellen, wieviel Risse und Schnitte so eine Decke haben kann. Eine neue mußte her, besonders weil wir bald Besuch erwarteten. Unsere Cousine Ursel, Krankenschwester in Düsseldorf, wollte kommen. Und wir wußten, wie sensibel unsere Mutti war, wenn nicht alles tipp-topp war. Aber sie hätte kein Geld gehabt, diese drei neuen Dinge kaufen zu können. So stellten wir uns schon vorher tagelang ihre Freude vor, wenn wir ihr die Geschenke überreichen.
Ursel sollte kurz vor Muttis Geburtstag kommen. Am Vorabend ihres Kommens kam es zu einer kleinen Szene, die mir nach 60 Jahren ganz lebendig vor Augen steht. Es war kurz vor dem Abendbrot. Unsere Mutti nimmt das Brot aus dem Brotkasten und stellt plötzlich erschrocken fest: "Der Brotkasten ist ja ganz verrostet. Wenn das die Ursel sieht! Was kann man da nur machen?" Wir drei Mädchen schauten uns an, und es war Übereinstimmung in unseren Augen zu lesen. Wir holten den neuen Brotkasten und übergaben ihn unserer Mutter. Und so ging es weiter. Sie wußte ja nichts von den anderen Geschenken, aber genauso wie beim Brotkasten stellte sie beim Milchkrug erschrocken fest, daß er nicht mehr zu gebrauchen sei.
Wir trugen den neuen Krug herbei. Nun saßen wir um den Tisch herum, und wieder kam so ein Schreckensruf (das konnte sie gut). Diesmal über die Tischdecke. "Daß mir das erst jetzt so richtig auffällt. Die Decke ist ja völlig hin!" Und wir holten die neue Decke. Das war eine Freude und ein Jubel, bei uns Kindern genauso wie bei unserer Mutti. "Daß Ihr gerade die drei Dinge geschenkt habt! Was wir am allermeisten brauchten!" Unsere Mutti konnte sich vor Staunen kaum beruhigen. Und die Freude hielt tagelang an.

Freitag, 19. März 2010

Glück

"Nie ist das menschliche Gemüt heiterer gestimmt, als wenn es seine richtige Arbeit gefunden hat."
Wilhelm von Humboldt zugeschrieben

Dienstag, 16. März 2010

Der Glaube: freie Entscheidung oder Gabe Gottes? Eine Spurensuche in der Apostelgeschichte

Wenn ich Paulus lese, fällt mir auf, wie stark er den Glauben als Geschenk und Gabe Gottes ansieht. An keiner Stelle betont Paulus die Entscheidung der Gläubigen, sondern er führt ihren Glauben immer auf das Wirken Gottes zurück.
Das steht in Widerspruch zum Denken vieler Christen, die betonen, dass Glaube ein Akt der freien Entscheidung sei: Gott biete uns das Heil an, wir können es bejahen oder ablehnen. Der Glaube sei doch kein Zwang, sondern etwas Freiwilliges, ein freies Ja zum Liebesangebot Gottes. Auch sei mit der Glaubensentscheidung eine große, ja entscheidende Verantwortung verbunden: Ich bin für Heil oder Unheil selbst verantwortlich, nicht Gott.
Warum aber legt Paulus auf diese ernstzunehmenden Überlegungen so wenig wert? Offensichtlich sah er die Gefahr, dass der Glaube Anlass zum Rühmen wird und so zur Überheblichkeit führt, wenn Menschen sich für ihren Glauben selbst verantwortlich fühlen. Glaube aber ist immer Verweis auf Christus, nie auf mich selbst. Er löst mich von mir selbst. Außerdem wollte Paulus die Verantwortlichkeit Gottes für den Glauben hervorheben. Gottes Wirken, seine Heilsmacht möchte er loben, erzählen und im Erleben seiner Gemeinden verankern.
Vertritt der Paulus, den Lukas in der Apostelgeschichte lebendig werden lässt, die gleiche Sichtweise? Sieht Lukas es wie Paulus?
Von Lydia heißt es in Apg 16,14: „Der Herr öffnete ihr das Herz, so daß sie den Worten des Paulus aufmerksam lauschte.“ Gott also bewirkte ihren Glauben, den sie dann selbst gleich bekennt (V.15). Apg 14,1 führt den Glauben auf die Verkündigung zurück: „Es geschah aber in Ikonion, dass sie wieder in die Synagoge der Juden gingen und so predigten, dass eine große Menge Juden und Griechen gläubig wurde.“ Die Haltung des Paulus war dabei: „ Sie lehrten frei und offen im Vertrauen auf den Herrn, der das Wort seiner Gnade bezeugte und ließ Zeichen und Wunder geschehen durch ihre Hände.“ (14,3)
Mehrmals sind es mächtige Taten, die Menschen dazu bewegen, der Lehre des Apostels zu glauben (Sergius Paulus in Apg 13,7-12; der Kerkermeister von Philippi, Apg 16).
Den Unglauben der Juden führt Lukas zwar einerseits auf ihr neidisches und verächtliches Denken zurück, dieses wiederum aber auf Prophezeiungen Gottes, in denen Gott selbst aktiv den Glauben verschließt (Hab 1,5 in Apg 13,41: „Denn ich tue ein Werk zu euren Zeiten, dass ihr nicht glauben werdet, wenn es euch jemand erzählt“; Jes 6,9f. in Apg 28,27: Denn das Herz dieses Volkes ist verstockt….“)
Der Glaube der Heiden wiederum verdankt sich dem Ratschluss Gottes: „Alle wurden gläubig, die zum ewigen Leben bestimmt waren.“ Lukas lässt Paulus berichten, wie Gott ihm zusagt: „Ich will dich erretten von deinem Volk und von den Heiden, zu denen ich dich sende, um ihnen die Augen aufzutun, daß sie sich bekehren von der Finsternis zum Licht“ (Apg 26,17-18)
Auch Lukas hebt also wie Paulus die Aktivität Gottes bei der Bekehrung der Menschen hervor. Immer wieder erzählt er vom aktiven Wirken des Heiligen Geistes.
Die Aktivität des Menschen im Glauben betont Lukas aber auch: Der Kerkermeister von Philippi fragte: „Was muß ich tun, daß ich gerettet werde? Sie sprachen: Glauben an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig.“ Dann aber seine Reaktion: „er freute sich mit seinem ganzen Hause, daß er zum Glauben an Gott gekommen war“. Die Freude ist Reaktion auf die Erfahrung der Gnade Gottes. In Apg 17,4 berichtet Lukas: „Einige von ihnen ließen sich überzeugen.“ Von Juden in Beröa heißt es: „Diese aber waren freundlicher als die in Thessalonich; sie nahmen das Wort bereitwillig auf und forschten täglich in der Schrift, ob sich´s so verhielte. So glaubten nun viele von ihnen…“(Apg 17,11-12)
Das der Glaube freie Entscheidung des Menschen sei, davon ist aber auch bei Lukas nichts zu lesen. Lukas ist wie Paulus davon überzeugt: „So breitete sich das Wort aus durch die Kraft des Herrn und wurde mächtig“ (19,20).
Das Evangelium ermöglicht mir ein Losgelöstsein von mir selbst, auch bezüglich der Frage, wie weit ich für meinen Glauben selbst verantwortlich bin. Das Evangelium stimmt uns in eine Haltung der Dankbarkeit und Freude ein, dass Gott befreiend an uns wirkt.

Sonntag, 14. März 2010

Eine schöne Schöpfung

Arbeitsauftrag in der Schule: den Text von 1. Mose 1 möglichst wörtlich in Zeichnungen umsetzten, die veranschaulichen, was der Text beschreibt. Nicht nur recht genau, sondern auch sehr ansprechend haben das Isabel und Vicky (12. Jahrgangstufe) umgesetzt. Eine Einladung, den Schöpfungebericht meditativ zu lesen und wahrzunehmen, wie Gott aus dem finsteren Chaos heraus eine geschützte, geschmückte und mit Leben bevölkerte Welt geschaffen hat.



Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. 4 Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis 5 und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.
6 Und Gott sprach: Es werde eine Feste zwischen den Wassern, die da scheide zwischen den Wassern. 7 Da machte Gott die Feste und schied das Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste. Und es geschah so. 8 Und Gott nannte die Feste Himmel. Da ward aus Abend und Morgen der zweite Tag.
9 Und Gott sprach: Es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an besondere Orte, dass man das Trockene sehe. Und es geschah so. 10 Und Gott nannte das Trockene Erde, und die Sammlung der Wasser nannte er Meer. Und Gott sah, dass es gut war. 11 Und Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringe, und fruchtbare Bäume auf Erden, die ein jeder nach seiner Art Früchte tragen, in denen ihr Same ist. Und es geschah so. 12 Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringt, ein jedes nach seiner Art, und Bäume, die da Früchte tragen, in denen ihr Same ist, ein jeder nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war. 13 Da ward aus Abend und Morgen der dritte Tag.
14 Und Gott sprach: Es werden Lichter an der Feste des Himmels, die da scheiden Tag und Nacht und geben Zeichen, Zeiten, Tage und Jahre 15 und seien Lichter an der Feste des Himmels, dass sie scheinen auf die Erde. Und es geschah so. 16 Und Gott machte zwei große Lichter: ein großes Licht, das den Tag regiere, und ein kleines Licht, das die Nacht regiere, dazu auch die Sterne. 17 Und Gott setzte sie an die Feste des Himmels, dass sie schienen auf die Erde 18 und den Tag und die Nacht regierten und schieden Licht und Finsternis. Und Gott sah, dass es gut war. 19 Da ward aus Abend und Morgen der vierte Tag.
20 Und Gott sprach: Es wimmle das Wasser von lebendigem Getier, und Vögel sollen fliegen auf Erden unter der Feste des Himmels. 21 Und Gott schuf große Walfische und alles Getier, das da lebt und webt, davon das Wasser wimmelt, ein jedes nach seiner Art, und alle gefiederten Vögel, einen jeden nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war. 22 Und Gott segnete sie und sprach: Seid fruchtbar und mehret euch und erfüllet das Wasser im Meer, und die Vögel sollen sich mehren auf Erden. 23 Da ward aus Abend und Morgen der fünfte Tag.
24 Und Gott sprach: Die Erde bringe hervor lebendiges Getier, ein jedes nach seiner Art: Vieh, Gewürm und Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art. Und es geschah so. 25 Und Gott machte die Tiere des Feldes, ein jedes nach seiner Art, und das Vieh nach seiner Art und alles Gewürm des Erdbodens nach seiner Art. Und Gott sah, dass es gut war. 26 Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alle Tiere des Feldes und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. 27 Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. 28 Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht. 29 Und Gott sprach: Sehet da, ich habe euch gegeben alle Pflanzen, die Samen bringen, auf der ganzen Erde, und alle Bäume mit Früchten, die Samen bringen, zu eurer Speise. 30 Aber allen Tieren auf Erden und allen Vögeln unter dem Himmel und allem Gewürm, das auf Erden lebt, habe ich alles grüne Kraut zur Nahrung gegeben. Und es geschah so. 31 Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Da ward aus Abend und Morgen der sechste Tag. (Lutherbibel)

Donnerstag, 11. März 2010

Das Kleine sehen



Das Kleine
nicht übersehen
sich kümmern
achtsam sein
sich hineinversetzen
sich daran freuen

Sonntag, 7. März 2010

Zusagen des Evangeliums

Im Evangelium begegnen wir zu allererst und zentral dem Gott der Liebe. Gott kam uns in Jesus Christus ganz nah, um uns, die wir von ihm und untereinander entfremdet sind, wieder in seine Gemeinschaft zurückzuführen. Denn wir Menschen sind Gottes große Liebe. Alles ist für uns geschehen. Er erfüllt damit das tiefste Sehnen aller Menschen: mit Gott verbunden zu sein. Das ist so einfach, weil seine Geschichte unsere Geschichte geworden ist: Wir haben an allem Anteil, was sein Eigen ist. Wir dürfen, mit ihm verbunden, Folgendes uns und allen Menschen zusprechen:

In Jesus Christus bist du ein Kind Gottes und damit in die Gemeinschaft der göttlichen Liebe aufgenommen. Diese Bestimmung ist unwiderruflich – auch wenn du zweifelst oder am Leben verzagst.
In Jesus Christus bist du mit dem Geist des Lebens, mit dem Geist der Liebe verbunden. Aus dieser Quelle trinkst du und aus dieser Quelle schöpfst du für andere.
In Jesus Christus bist du hineingenommen in seinen Leib, in die Gemeinde. Menschen sind dir als Schwestern und Brüder zu Seite gestellt, die dich begleiten und an denen du dich bewährst im Geben und Vergeben.
In Jesus Christus bist du frei von quälenden Ansprüchen, Gewissensstimmen oder Schamgefühlen: Dein Ich wird stark, weil es aus dem unbedingten Ja der Gnade Gottes lebt.
In Jesus Christus bist du frei von Maßstäben, nach denen du andere oder andere dich beurteilen. Du kannst sie anpassen und dich und andere aus der Perspektive der Liebe Gottes sehen.
In Jesus Christus bist du frei von allen menschlichen Autoritäten, die dich einschränken wollen oder unbedingten Gehorsam fordern, weil du im Leben und Sterben nur einer Autorität wirklich gehorchst, deinem Bruder und Herrn Jesus Christus.
In Jesus Christus bist du zu einem Leben für andere und mit anderen berufen; er schenkt Dir Deine besondere Berufung, die nur du und niemand anderes leben kann.
In Jesus Christus bist du bereit, zu leiden und zu sterben. Das Leben hier kann schmerzvoller, beengter werden und irgendwann wie ein Rinnsal im Sand versickern. Dein Leben in Christus bleibt heil und ganz.

Wir entdecken im Evangelium, dass sich Gott in Christus als der heilschaffende, treue und unter allen Umständen an uns festhaltende Gott offenbart hat. Das Evangelium schenkt darum Freude und ichstärkenden Lebensmut.

Dienstag, 2. März 2010

Bob Dylan singt Woody Guthrie

Do Re Mi from dagb on Vimeo.



Bob Dylan, begleitet von den großen Künstlern Ry Cooder und Van Dyke Parks, spielt einen Song von Woody Guthrie, der das Schicksal von Wanderarbeitern beschreibt, die in den 40er Jahren ihr Glück in Kalifornien suchten. Sehens- und hörenswert. Für mich hat diese beschwingte Musik eine ungemeine Lebendigkeit und Lebensfreude.

Sonntag, 28. Februar 2010

Johnny Cash - Lieder der Hoffnung


Seit eingen Tagen höre ich sehr berührt die letzten Songs, die Rick Rubin kurz vor dem Tod von Johnny Cash im Jahr 2003 mit ihm aufgenommen hat. Es sind ältere und neuere religiöse Lieder, die die Hoffnung auf das ewige Leben, auf eine neue Erde, auf ein Wiedersehen zur Sprache bringen. Seine Stimme ist sanft und doch immer noch majestätisch. Die Songs sind musikalisch sehr zurückhaltend, fast zärtlich arrangiert, schwerpunktmäßig mit klassischen Folk- und Country-Instrumenten (akustische Gitarren, Banjo, Bass, fast gar kein Schlagzeug, Klavier, Orgel) , aber ohne je ins Kitschige abzugleiten. Klar wie ein Gebirgsbach, der mal ruhiger, mal sprudelnder fließt. Musikalische Kunst und tiefe Spiritualität verbinden sich.
Über Stream noch einige Tage im Internet vollständig zu hören (aber dann bitte kaufen!)

Freitag, 26. Februar 2010

Interreligiöser Dialog

Der interreligiöse Vergleich zwischen Buddhismus und Christentum im vorletzten Post wurde so formuliert, dass möglichst keine der beiden Religionen gegenüber der anderen abgewertet wird. Das gehört sich für den wissenschaftlichen (hier: religionswissenschaftlichen) Vergleich. Wissenschaftler nehmen die Vielfalt (Pluralität) von Religionen wahr und versuchen, Gemeinsamkeiten und auch Besonderheiten der Religionen zu beobachten; dabei enthält sich der Religionswissenschftler weitgehend einem wertenden Urteil über die einzelnen Religionen (Pluralismus).

Wissenschaftler, die auch nach der Wahrheit der Religionen fragen, nehmen dagegegen eine philosophische Perspektive ein. Viele von ihnen bevorzugen diejenige Religion, die ihres Erachtens der Wahrheit am nächsten kommt, sie sehen aber auch in anderen Religionen Aspekte der Wahrheit. Diese Position nennt man Inklusivismus (ein typischer Vertreter dieser Position ist der katholische Philosoph Robert Spaemann).

Wenn jemand im Rahmen einer bestimmten Religion eine grundlegende Erleuchtungserfahrung erlebt hat („Bekehrung“, „Berufung“), dann wird er in der Regel zu einem Zeugen dieser religiösen Wahrheit. In der Rolle des Zeugen bleibt ihm nichts anderes übrig, als „exklusiv“ die Wahrheit zu bezeugen, die sich ihm offenbart hat. Zum Exklusivismus, möglicherweise auch zum Fundamentalismus, wird diese Haltung, wenn man dann auch mit philosophischen oder wissenschaftlichen Gründen beweisen will, dass die eigene religiöse Wahrheit die einzig mögliche Wahrheit ist.

In den Kirchen und Religionsgemeinschaften der Gegenwart liegen exklusivistische, inklusivistische und auch pluralistische Positionen im Streit miteinander.

Zu diskutieren wäre, ob die Position der Zeugenschaft, in der man im respektvollen Dialog mit anderen Religionen die von einem selber erkannte Glaubenswahrheit gewaltfrei bezeugt, eine Alternative zu diesen Positionen ist. Ich finde diese vierte Möglichkeit am attraktivsten.

Mittwoch, 24. Februar 2010

Rücktritt Margot Käßmann

Respekt. Margot Käßmann ist nach nur kurzer Bedenkzeit einige Tage nach ihrer Alkoholfahrt (1,54 Promille) von allen hohen Ämtern zurückgetreten (sie bleibt aber Pfarrerin).
Käßmann hat sich in ihren öffentlichen Ämtern nicht nur als Zeugin des Zuspruchs des Evangeliums, sondern auch des Anspruchs des Evangeliums verstanden. Sie wollte bewußt auch eine moralische Instanz sein. Moral aber wird nicht nur der Rolle, sondern auch der Person selbst zugerechnet. Integer moralisch kommunizieren kann eine Person im Amt nur,wenn auch die persönliche Lebensführung nicht in Widerspruch zur öffentlichen moralischen Kommunikation dieser Person gerät. Das aber ist im Fall von Käßmann passiert - sie hat eine Straftat begangen, weil sie nicht nur sich selbst, sondern potentiell auch andere gefährdet hat. Sie hätte - wie sie selbst in der Rücktrittserklärung deutlich gemacht hat - nicht mehr überzeugend moralisch kommunizieren können.
Respekt, weil Käßmann nicht an ihren Ämtern hängt. Diese Freiheit schenkt der Glaube. Das ist ja gerade eine der Freiheiten des Evangeliums, nicht an Ämtern, Statussymbolen, Anerkennungen hängen zu müssen. Sie selbst sagt: "Man kann nie tiefer fallen als in Gottes Hand." Sie bereut und weiß sich von Gott anerkannt (gerechtfertigt). Das ist der Zuspruch des Evangeliums. Von diesem her war sie so frei, zurückzutreten. Und ist gerade damit schon wieder ein Vorbild des Glaubens, nun aber nicht des Anspruchs, sondern des Zuspruchs des Evangeliums.

Sonntag, 21. Februar 2010

Religionen im Vergleich

Liegt allen Religionen etwas Gemeinsames zugrunde? Mit einer Kollegin habe ich mich heute darüber ausgetauscht. Ja, denn alle Religionen bezeugen gegenüber materialistischen, naturalistischen, atheistischen Positionen, dass die Welt ohne Transzendenz nicht in ihrer Tiefe verstanden werden kann. Auch die Transzendenzerfahrung selbst, die Gnade, etwas vom Göttlichen zu spüren, zu Liebe und Kreativität hin verwandelt zu werden, ist vielen Religionen gemeinsam. Ich neige dennoch dazu, eher die Differenzen zu sehen. Ich nehme als Beispiel den Vergleich zwischen Buddhismus und Christentum.

Faszinierend sind aus der Ferne beide: der buddhistische und der christliche Weg zur spirituellen Erleuchtung. Sie sind beide außergewöhnlich in der Tiefgründigkeit ihrer Realitätsanalyse und in ihren Visionen, wie der Weg zur Erlösung gefunden werden kann. Gemeinsam ist ihnen die Suche nach Erlösung und Befreiung. Gemeinsam ist ihnen die negative Einschätzung von Leiden und Gier. Gemeinsam ist ihnen die Idee, dass erleuchtete Menschen sich selbst zurücknehmen können, indem sie sich von ihrem Ego distanzieren können. Gemeinsam ist ihnen die Orientierung an einer zentralen Gründergestalt (Buddha, Jesus), die in einzigartiger Weise das Ideal gelebt hat. Gemeinsam ist ihnen ein Ethos der Rücksichtnahme, der Liebe und des Mitgefühls. Beide Wege haben sich in kritischer Auseinandersetzung mit einer ihr vorausgehenden Religion entwickelt (Hinduismus, Judentum) und bleiben dieser in vieler Hinsicht weiterhin verpflichtet (z.B. Karmakreislauf, Schöpfungsglaube). Beide sind ausgeprägt missionarische Religionen, die ihren Weg nicht im Verborgenen halten.

Bei näherem Hinsehen fallen dann doch markante Unterschiede auf. Es ist auf einige wichtige Differenzen aufmerksam zu machen. Buddha ist das Urbild des Erleuchteten, der unter dem Bodhibaum die „Leere“, aber nicht Gott entdeckt; Jesus ist Urbild des Gottvertrauens und mehr noch, Gott für uns, der den Menschen nahe ist und sein Schicksal mit dem der Menschen verbindet. Buddha ist das große Vorbild für den, der den Weg zur Erleuchtung geht; Jesus ist der Weg selbst, weil er das getan hat, was der Gläubige gerade nicht kann, nämlich den Tod überwinden und neues Leben schenken. Dem Buddhisten ist sein Ego nicht wichtig, weil er keiner Illusion nachlaufen will; der Christ tritt aus seinem Ego heraus, weil er sich selbst in Gott findet und in dieser Hingabe an Gott eine unangemessene Ichbezogenheit hinter sich läßt. Buddhisten suchen die große unaussprechliche Ruhe und Gelassenheit; Christen suchen den Frieden, die Freude und die Freiheit von religiösen Zwängen. Buddhisten nehmen ihre Zuflucht zur Gemeinschaft der Meditierenden, um sich gegenseitig auf dem Weg zur Erleuchtung beizustehen; Christen finden sich zu Gemeinden zusammen, weil sie so dem gemeinschaftlichen Gott entsprechen und als Leib Christi eine Gemeinschaft gegenseitiger Wertschätzung zu bilden versuchen, in der es keine Über- oder Unterordnungen geben soll. Buddhisten gehen einen konzentrierten, aber auch strengen Weg zur Erleuchtung in großer Gelassenheit; Christen wissen sich „in Christus“ am Ziel angekommen und wirken, von Heilsunsicherheit entlastet, aktiv und befreit in der Welt, um Recht und Barmherzigkeit zu mehren. Buddhisten suchen die illusionäre Welt des Samsara durch die Erleuchtung zu überwinden (Theravada-Buddismus) oder ganz anders wahrzunehmen (Mahayana-Buddhismus); Christen leben in einer Welt, die sie als von Sünde und Tod beeinträchtigte Schöpfung Gottes erleben, die aber durch den Tod und die Auferstehung Jesu Christi auf dem Weg zur endgültigen Erneuerung und Vollendung ist.