Wenn ich das Wort
Freiheit höre, dann weckt dieses Wort in mir positive Gefühle. Ich selbst bin
Kind tief gläubiger Eltern und meine Kindheit war von intensiver Religiosität
geprägt, also von einer starken Bindung an Gott und Verantwortung meiner Eltern
für ihre Kirche. Niemals aber – so glaube ich – habe ich mich unfrei, unmündig
gemacht, abhängig oder fremdbestimmt gefühlt. Bis heute erfahre ich Glauben als
einen Lebensstil, der Freiheit und Bindung, Mündigkeit und Solidarität,
Selbstbestimmung und Verantwortung für andere miteinander verknüpft. Als Christ
ist Freiheit für mich nicht die Einladung zu Bindungslosigkeit, zur Selbstverabsolutierung
oder gar zur Willkür. Meine Bindung an Gott, meine Zugehörigkeit zu Jesus
Christus und seiner Kirche hat aber auch nichts mit Versklavung, Unmündigkeit
oder Fremdbestimmung zu tun.
Anders das Bild von Kirche und
Christsein, das in der Öffentlichkeit weit verbreitet ist: Die Kirchengemeinden
seien eher konservativ, ihre Mitglieder wollten mit Glaubensvorstellungen und
Organisationsstrukturen leben, die stark traditionsgebunden sind und auf
Gehorsam, Einschränkung setzen. Wer Kirchgänger ist, sei eher an
Verbindlichkeit, Gehorsam, Weisung orientiert als an Freiheit, Liberalität,
Flexibilität, Wagnis. Das ganze „Setting“ von Kirche habe etwas Ordnendes,
Vorgegebenes, ja auch Bevormundendes. Aber auch die Gemeindeglieder erleben
ihre Kirche oder Gemeinde oft fordernd und die individuelle Freiheit einschränkend.[1]
Dass betrifft auch Mitglieder der sogenannten Freikirchen und selbst der
Evangelischen Kirche, die sich als „Kirche der Freiheit“ versteht.[2]
Die westliche Gesellschaft
versteht sich als eine offene und experimentierende, sich ständig reformierende
und andauend modernisierende Gesellschaft. Sie lobt sich für ihren
Liberalismus, für wirtschaftliche, rechtliche, wissenschaftliche, künstlerische
Freiheiten, für ihre Fähigkeit zu Humor und Satire und für die Erwartung, daß
der Beleidigte sich in seiner Ehre gerade nicht gekränkt fühlt. Sie proklamiert
neoliberal „Mehr Freiheit wagen“ oder „Flexibilität“, sie verspricht dem
Einzelnen „Autonomie“, „Chancen“, „Mobilität“ und „Entscheidungsfreiheit“. In
den Medien inszeniert sie sich aber auch selbstkritisch, deckt Skandale und Ungerechtigkeiten
auf vor dem Hintergrund der für jedes Individuum geltenden Menschenrechte und
seiner Menschenwürde.
Engagierte Christen sind Menschen
beider Welten: sowohl Bürger der Kirche/Gemeinde wie auch Bürger in der
westlichen Gesellschaft. Wo erfahren wir mehr Freiheit: In der Gesellschaft
oder in der Kirche? Oder in beiden? Oder: Weder da noch dort?
Freiheit verstehe ich im Folgenden als Öffnungserfahrung zu mehr Erlebnis-
und Handlungsspielräumen sowohl von Einzelnen als auch von sozialen Gruppen
(Klassen, Minderheiten, Milieus). Im persönlichen Bereich können das
differenzierte Einsichten sein, erweiterte Kompetenzen durch Ausbildung,
Studium oder Weiterbildung, ein Arbeitsplatz mit wachsender Eigenverantwortung
und Mitbestimmung, aber auch der Gebrauch von technischen Mitteln, die mehr
Bewegungsfreiheit ermöglichen. Freiheit
distanziert von Zuständen, die den Charakter der Mühle, des Hamsterrades und
der vollständigen Anpassung haben.
Genau das ist Unfreiheit: es ist die Erfahrung von Einschließung, also gefangen,
eingeschränkt, entmündigt, begrenzt, gegängelt oder bevormundet zu sein.
Freiheit ist daher nur zu gewinnen, wenn das Risiko unangepassten Verhaltens
eingegangen wird, das sich repressiven Vorgaben widersetzt.
Im zwischenmenschlichen Bereich
können Öffnungserfahrungen den Charakter von Anerkennungserfahrungen haben: Jemand öffnet sich mir, ich mich
einer Person oder einer Gruppe – das geht nur bei gegenseiter Anerkennung.[3]
Individuelle Freiheit und soziale Freiheit als Anerkennung in Form von Liebe,
Wertschätzung und Rechtsgleichheit bedingen einander und stehen in einem
gegenseitigen Steigerungsverhältnis.
[1]
R. Schieder, Wieviel Religion verträgt
Deutschland?, Frankfurt am Main 2001, S. 57: „Ein religiöses Leben, in dem
nie die autonomiefördernde Funktion von Religion erfahren wurde, ist ein
Unglück.“
[2]
Vgl. Kirche der Freiheit. Perspektiven für die Evangelische Kirche im 21.
Jahrhundert, hrsg. von der EKD 2006 (http://www.ekd.de/download/kirche-der-freiheit.pdf).
Eine der wirkmächtigsten Schriften Luthers trägt den Namen: „Von der Freiheit
eines Christenmenschen“. Vgl. auch J. Moltmann (Hg.), Religion der Freiheit. Protestantismus in der Moderne, München
1990.
[3]
Zur Philosophie der Anerkennung vgl. A. Honneth, Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte,
Frankfurt am Main 1992; ders., Das Ich im
Wir. Studien zur Anerkennungstheorie, Frankfurt am Main 2010.
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