Donnerstag, 31. Dezember 2009

Schon wieder ein Jahrzehnt vorbei

In meinem Alter fängt man an, die Jahrzehnte zu zählen, die man bereits erlebt hat.

In den zukunftsplanerischen- und optimistischen 60er Jahren geboren, zu jung, ein 68er zu sein, aber in der Lage zu fühlen, was es bedeutete, Teil dieser gegenkulturellen Jugend- und Studentenbewegung zu sein (vor allem, wenn ich die Musik der 60er Jahre höre).
In den 70er Jahren in einem Jahrzehnt erwachsen geworden, das von Resignation gegenüber gesellschaftlichen Utopien geprägt war und stattdessen dem Weg in die reflektierte Innerlichkeit empfahl.
In den 80ern Studienzeit, begleitet von Weltkriegsangst (Kalter Krieg mit neuem Höhepunkt 1980-1985), befürchtetes Waldsterben und zugleich forcierter Modernisierung mit einem wunderbaren Happy-End 89 für Deutschland (Fall der Mauer) und die Welt (Ende des Kalten Krieges).
In den 90ern berufstätig in einem hedonistischen Jahrzehnt (vgl. nur die Love Parade in Berlin) voller neuer Möglichkeiten (Internet, verstärkte Globalisierung).
In den 00ern vielfältig aktiv angesichts der Zunahme der Krisen und des Krisenalarmismus, was einem im Unklaren darüber läßt, wie die Lage tatsächlich ist, denn das alltägliche Leben läuft insgesamt geregelt und überwiegend undramatisch ab und die Welt vernetzt sich global immer dichter. Es bleibt spannend.

Der durch das Evangelium entzündete und mal brennende und mal glimmende, aber nicht auszulöschende Glaube hat mich durch all diese Jahre geprägt. Die Geborgenheit in Gott, vermittelt durch Jesus Christus, ist für mich wie das Netz der Hochseiltänzer. Du kannst nicht ins Bodenlose abstürzen. Und das schenkt Vertrauen, etwas zu wagen, mutig zu sein, nicht ängstlich stehen zu bleiben.

Neben der immer wieder intensiven Beschäftigung mit den Grundlagen meines Glaubens, vor allem mit dem neutestamentlichen, und hier dem paulinischen Zeugnis des Evangeliums, spielt für mich auch Musik, die den Alltag untermalt und farbiger machen kann, eine wichtige Rolle.
Ich kann allen miterlebten Jahrzehnten Hörerfahrungen zuordnen, Soundtracks, Musik zur Zeit. Ich denke, dass geht vielen Menschen so.
Hier aus meiner Sicht einige wirklich zu empfehlende Alben, die mich in den 00er Jahren emotional und musikalisch besonders bewegt haben. Allen Alben ist gemeinsam: eingängig und zugleich komplex, melodiös einfallsreich, farbig, romantisch, leidenschaftlich, rhythmisch und voller ideenreicher Soundideen.


Maximilian Hecker: “Infinite Love Songs” 2001
März „Love Streams“ 2002
Pet Shop Boys: „Release“ 2002
Justus Köhncke: "Was ist Musik" 2002
The Cardigans: “Long Gone Before Daylight” 2003
Stars: “Heart” 2003
Interpol: "Antics" 2004
Klee: “Jelängerjelieber” 2004
Tele: “Wovon sollen wir leben“ 2004
Maximo Park „ A Certain Trigger“ 2005
Clap Your Hand Say Yeah: “Clap your Hand say Yeah” 2005
Kelley Polar: “Love Songs of the Hanging Gardens” 2005
Nada Surf: “The Weight is a gift", 2005
Midlake: “The Trials of Van Occupanther”2006
Ben Kweller: „Ben Kweller“ 2006
Final Fantasy: „He poos clouds“ 2006
Wilco: "Sky Blue Sky" 2007
Leisure Society: "Sleeper" 2009

Mittwoch, 30. Dezember 2009

Freundschaft

Freundschaft ist eine wichtige Dimension menschlicher Beziehungsfähigkeit. Ich habe dieses Jahr wieder erleben dürfen, was dieses Geschenk bedeutet und bin zutiefst dankbar für diejenigen Menschen, die mir Freundschaft schenken.
Viel ist schon über Freundschaft geschrieben worden, ich möchte drei Punkte nennen, die mir zu guten, stabilen Freundschaften sofort einfallen:

1. Freundschaft ist geprägt von Offenheit, vom Sich-Anvertrauen, dass man davon erzählt, was einen innerlich beschäftigt, sowohl die Glückserfahrungen, aber auch das, was einen belastet, und auch diejenigen Themen, die man guten Bekannten nicht anvertrauen würde.
2. Freunde/Freundinnen schenken sich Wertschätzung. Sie ermutigen einander. Freunde sehen im anderen vielleicht sogar mehr, als er/sie in sich selber sieht, aber nicht weniger. Sie werten den Freund innerlich nie ab. Sie verstehen ihn.
3. Freundschaften vertragen Unterbrechungen. Sie sind nicht so intensiv wie eine Partnerschaft, von der man stärker eine "Komplettzugänglichkeit des anderen" (P. Fuchs) erwartet und daher auch stärker enttäuscht werden kann. Freundschaften sind unterbrechungsverträglich. Die Frequenz der Begegnungen kann recht hoch, kann aber auch niedrig sein - der Qualität der Offenheit und Wertschätzung tut das keinen Abbruch.
Freunde erwarten nicht alles von einem Freund, sondern können ihre Freundschaftserwartungen auf mehrere Freunde verteilen.

"Freundschaft mit Gott" - "Freundschaft von Gott": Ich denke, es ist ein Versuch wert, die Erfahrung von Freundschaft auch in Bezug zu Gott einmal durchzuspielen. Immerhin sagt Jesus: "Euch habe ich Freunde genannt, weil ich euch alles kundgetan habe, was ich von meinem Vater gehört habe." (Johannes-Evangelium 15,15). In jedem Fall ist Freundschaft eine Lebensqualität, die von Jesus stark gewürdigt wird und damit in den inneren Bereich christlicher Spiritualität fällt.

Freitag, 25. Dezember 2009

Weihnachten 1944 - Fluchterfahrungen eines Mädchens - Teil 2

Konnten Bedürfnisse, wie Nahrung und Kleidung zu dieser Zeit gestillt werden?„Die Bedürfnisse waren zu dieser Zeit ganz schlecht. Wir haben nichts bekommen, weder genug Nahrung für alle, noch warme Kleidung über den Winter. (...)“

Haben sie sich als kleines Kind nicht gefragt wieso Juden in KZs gebracht wurden?
„Alles was ich noch davon weiß, ist dass wir nicht darüber sprechen durften. Ich und mein kleinerer Bruder gingen damals noch nicht zur Schule (...) und niemand brachte uns somit bei, wieso das alles passierte, warum Krieg herrschte und was die Nationalsozialisten mit den Juden alles anstellten. (...) Ich denke mal die Leute waren damals so verängstigt, dass niemand sich traute nachzufragen oder darüber zu sprechen. Nicht einmal mein Onkel, der ein großer Nazi war, klärte uns damals auf. Er redete, so weit ich mich erinnern kann, kaum über dieses Thema. (...)“

War der Ort Mauthausen in Österreich, in dem sie lebten stark vom Krieg beschädigt?
„Nein gar nicht. Nur unser Haus, unter dem KZ, in dem wir lebten, war sehr alt und fast schon baufällig. Wir mussten immer aufpassen, dass wir uns beim Spielen nicht weh taten. (...)“

Wohin sind sie und ihre Familie von Mauthausen aus, nachdem sie dort ein halbes Jahr gelebt hatten?
„(...) Als wir Mauthausen verließen war es Winter. Es war kurz nach Weihnachten und überall lag noch Schnee. (...)
Über die Tschechei kamen wir als erstes nach Dresden. Das war noch vor dem Angriff auf Dresden. Dort lebte mein Onkel, der ein großer Nazi war. Wir lebten dort ein paar Wochen in seinem riesigen Haus. (...)
Von Dresden sind wir weitergezogen nach Mecklenburg. Ein paar Tage nach unserem Aufbruch hörten wir von der Bombardierung auf Dresden. (...)
Von Mecklenburg mussten wir jedoch wieder flüchten, weil die Russen kamen. (...) Kurz darauf hörten wir, dass wir wieder nach Jugoslawien in unser Heimatdorf Neusiwatz zurück könnten. Also zogen wir weiter bis an die ungarische Grenze. Kurz darauf brach zu dieser Zeit Typhus aus. Meine Mutter und mein Bruder erkrankten beide daran. Meine Mutter starb aufgrund der Folgen des Kopftyphus und mein Bruder, der Bauchtyphus hatte, überlebte schwer. (...) Das ist das Schlimmste was ich aus dieser Zeit berichten kann. Als kleines Kind seine Mutter zu verlieren, ist so schrecklich und furchtbar. (...) Kurz nachdem das passierte, starb noch meine Oma, weil sie die ganzen Strapazen und Geschehnisse nicht verarbeiten konnte. (...) An der ungarischen Grenze wurden wir jedoch nicht weiter gelassen und mussten umkehren. Die Jugoslawen hatten unser Heimatdorf vollständig besetzt. (...)
Mit den Viehwägen sind wir dann von Kaisersteinbruch in Österreich zurück nach Deutschland (...) und ich weiß noch, dass meine Mutter damals im Stroh auf diesem Viehwagen mit einer Decke zugedeckt lag. Ihre Lippen und Fingernägel waren ganz blau angelaufen. (...)
Unterwegs bekamen alle nur trockenes Brot zum Essen (...) und wenn der Zug anhielt, rannten alle Leute auf die Toiletten.
Meine Tante und mein Onkel passten nachdem meine Mutter starb auf mich und meinen kleineren Bruder auf. (...)“

Was war der nächste Halt auf ihrer Flucht?
„Von Kaisersteinbruch ging es dann also wieder zurück nach Deutschland. Da mein größerer Bruder in Darmstadt studierte und in Pfungstadt lebte, beschloss meine Tante und mein Onkel dort zu gehen und uns eine Unterkunft zu suchen. (...)
Hätten wir nicht mit den Nationalsozialisten von Jugoslawien nach Mecklenburg gemusst, wären wir sofort zu meinem Bruder nach Pfungstadt. Da ich aber noch so klein war, weiß ich heute auch nur noch das Grobe. (...)
In Pfungstadt kamen wir im Jahr 1947 an, (...) waren also gute 2 Jahre auf der Flucht. Dort kam dann auch mein Vater von Finnland zurück und sorgte für uns, da meine Mutter verstorben war.
Ab da begann unser richtiges Leben. (...)“

Donnerstag, 24. Dezember 2009

Weihnachten 1944 - Fluchterfahrungen eines Mädchens zwischen Verbrechen und Fürsorge: Teil 1

Die SchülerInnen meines Geschichtsgrundkurses in der 13. Klasse erhielten die Aufgabe, einen selbst ausgewählten Zeitzeugen zur Nachkriegszeit 1945-49 zu interviewen, dieses Interview auschnittsweise zu transkribieren und dann auszuwerten. Viele bewegende Geschichten hörten und dokumentierten sie. Ein Auschnitt ist besonders verstörend in der Mischung von Erlebnissen der Grausamkeit und Fürsorge; die Zeitzeugin (die ich selber persönlich nicht kenne) ist damit einverstanden, dass ich ihn anonym hier publizieren darf, sie war insgesamt von 1944-1946 zwei Jahre auf der Flucht, bis sie 8-jährig in Pfungstadt bei Darmstadt endlich eingeschult wurde.

Frage: An welchen Stationen machten sie auf ihrer Flucht von Neusiwatz (Jugoslawien) nach Mecklenburg in Deutschland halt?
„Von Jugoslawien sind wir als allererstes nach Österreich. (...) Ich kann mich, obwohl ich erst 7 Jahre alt war, noch genau an damals erinnern. Wir durften damals nur das Nötigste mitnehmen, da es nicht viel Platz gab, was als kleines Kind für mich ganz furchtbar war. (...) Ich habe ganz schrecklich geweint, weil ich nicht weg wollte, nicht weg von meinen Freunden und all meinen Sachen, die ich damals besaß. Erst als wir schon weg waren, kamen die Jugoslawen zurück nach Jugoslawien und besetzten das deutsche Dorf, in dem wir lebten, weil sie uns Deutsche raus haben wollten. (...)
Bevor wir das Dorf verließen, gruben wir im Garten ein großes Loch aus und verbuddelten eine Badewanne mit unserem Hab und Gut, um es nach ein paar Jahren wieder zu holen. (...) In dieser Badewanne befand sich feinstes Porzellan, der Schmuck meiner Mutter und viele Ballen von guten Stoffen. (...)
Am Anfang der Flucht war es Sommer und wir saßen alle auf Planwagen. Vor uns wurden die Juden aus Jugoslawien von den deutschen Nationalsozialisten getrieben. Die Juden mussten laufen und wer nicht mehr konnte, dem wurde ein Gewehrkolben über den Kopf gezogen. Wer flüchten wollte, wurde sogar erschossen. (...) Als Kind war das so schlimm für mich, diese toten Juden auf dem Boden liegen zu sehen, das ist unvorstellbar. (...) Ich weiß noch, dass ich mal einen toten Juden im Straßengraben liegen gesehen habe, dem das halbe Gehirn heraushing. (...)
Von Neusiwatz sind wir als allererstes nach Mauthausen in Österreich gekommen. Dort haben wir etwa ein halbes Jahr, oder auch etwas länger, unterhalb eines KZs in einer alten Mühle gewohnt. (...) In dieses KZ wurden alle Juden, die noch am Leben waren, gebracht und ermordet. Meine Cousine, die ein paar Jahre älter war als ich, konnte sich noch daran erinnern, dass die Juden im KZ nachts immer geschrien haben, wenn sie vergast wurden. (...)
Nach ein paar Wochen bekam ich aufgrund des vielen Laufens ganz dicke Beine, sodass meine Mutter mich zu einem Arzt im KZ brachte. Ich weiß noch, dass wir dafür an einem hohen Zaun vorbeimussten und alle Juden sehen konnten, (...) die gestreifte Anzüge trugen und dort nur auf ihren Tod warteten. Diese Menschen waren nur Haut und Knochen. Das sah so furchtbar aus. (...) Meine Mutter sagte damals zu mir, dass ich nicht sprechen und ganz leise sein soll. (...) Von diesem Arzt bekam ich dann Tabletten gegen die Wassereinlagerungen in den Beinen. (...)
Über Weihnachten wohnten wir damals noch in diesem Haus in Mauthausen. Eines Tages machte ich morgens die Türe auf und fand dort einen Teller mit einer Kerze in einem Apfel und vielen Plätzchen auf den Stufen unserer Eingangstür. Das hatte uns alle so gefreut.
(...) Wir wussten jedoch nie, wer uns diesen Teller hingestellt hatte, da wir noch neu und fremd waren, doch dieser Teller machte uns alle so glücklich (...) und lies uns sogar in der Nachkriegszeit noch an die Gutmütigkeit und die Nächstenliebe der Menschen glauben.“

Dienstag, 22. Dezember 2009

Paulusoratorium

Was ich erhofft hatte, ist eingetreten. Durch das Live-Erlebnis des Paulusoratoriums in Bamberg und ein Gespräch darüber am Tag danach höre ich das Werk zu Hause anders, es erschließt sich mir besser und viel tiefer.
Ich höre die "Hooklines", die "Ohrwürmer", die Mendelsohn-Bartholdy eingebaut hat, die Wiederholung von musikalischen Motiven, die Vielfalt des eingesetzten Instrumentariums, die Stimmungswechsel, die Dramatik. Ich bemerke mittlerweile auch, dass ich eine sehr gute Interpretation besitze (Helmut Rilling als Dirigent, Gächinger Kantorei, Tschechisches Philharmonisches Orcherster....November 1994), die Solostimmen gefallen mir besser als diejenigen, die ich im Livekonzert gehört habe (klarer, voller) und insgesamt ist mehr Power in dieser Aufführung.
Inhaltlich wird mir klar, dass es M.-B. nicht um eine Lebensgeschichte des Paulus geht, auch nicht um ein Persönlichkeitsbild oder ein scharfes Bild seiner Theologie, sondern um die exemplarische Bekehrung vom Christusfeind zum Christusfreund, um den mutigen Verkündiger des Evangeliums bis hin zum Martyrium. Wenn man das akzeptiert und die doch recht massive Negativzeichnung der Juden (M.-B. war jüdischer Herkunft, aber selbst überzeugter Christ), die mir unangenehm aufgefallen ist, aushält, können einen viele Textpassagen auch innerlich ansprechen.

Samstag, 19. Dezember 2009

Gottesnähe - Spiritualität

Seit einiger Zeit schreibe ich an einer längeren Ausarbeitung zum Thema: "Gottesnähe erfahren. Urchristliche Spiritualität im Kontext ihrer Zeit." Auch in diesem Blog sind schon Bausteine dazu erschienen.
Kürzlich erneut ermutigt, diese Zugangsweise zu neutestamentlichen Texten zu beschreiten, hat mich die Lektüre einiger Seiten in Hans Weders "Neutestamentlichen Hermeneutik" aus dem Jahr 1986, S. 288-293:

"Die Nähe Gottes war grundlegend für das gesamte Wirken und Reden Jesu. Das Gebet in Getsemane reagiert auf die Nähe Gottes, statt sie erst herstellen zu wollen" ("Abba, mein Vater, alles ist dir möglich. Nimm diesen Kelch fort von mir! Aber nicht was ich will, sondern was du willst, soll sein." Markus 14,36).

"Das Gebet Jesu verdankt sich der Nähe Gottes. "

Man könnte das Gebet verstehen als konzentrierte Spiritualität des Menschen, als Gebärde, wo sich die Spiritualität sozusagen verdichtet. Spiritualität ist ein anderes Wort für Gottesbezug. Mann könnte auch sagen: Spiritualität ist die Erscheinungsform des Glaubens. Dazu ist das Gebet der Ort, wo der Glaube zugleich Gestalt annimmt und möglich wird."

"Das Beten Jesu scheint von der völligen Gewißheit auszugehen, daß es sich an den ganz nahen Gott wendet - an den Vater, über den Tisch hinweggesprochen. Von dieser Nähe lebt sein Gebet. Und diese Nähe schließt ein Beten aus, das meint, Gott erst noch bewegen zu müssen."

"In der Bitte findet der Beter Schutz davor, seiner Eigenmacht alles zuzutrauen."

Montag, 14. Dezember 2009

Paulusoratorium von Mendelssohn-Bartholdy

Am Wochenende war ich in Bamberg, um eine Aufführung des Paulus-Oratoriums von Mendelssohn-Bartholdy unter der Leitung von Herbert Blomstedt zu erleben. Die Garderobenschlange war so lang, dass wir erst in letzter Minute den Saal betreten konnten und dann unsere Plätze nicht fanden, zum Glück aber noch zwei nicht besetzte Sessel ziemlich weit hinten. Leider kein guter Klang, vergleichbar mit dem Hören einer zu leise abgespielten, mitteltonlastigen CD ohne Höhen und Bässe. Text zudem nicht verständlich. So war der Eindruck sehr blass. In der Pause Textheft gekauft und dann die richtigen Plätze gefunden, an der Seite zwischen Orchester und Chor. Klarer Stereoklang (allerdings etwas gewöhnungsbedürfig mit Orchester links und Chor rechts) und fast jedes Instrument individuell hörbar. Ein Genuß! Endlich genug Lautstärke, um das Ganze auch emotional mitzuerleben.




Zum Inhalt und zum Paulusbild Mendelssohns in einem nächsten Blog mehr. Hier schon einmal ein Absatz aus dem Wikipedia-Artikel über das Oratorium:
"Mendelssohn traf eine gezielte Auswahl darüber, welche Szenen er in seinen Paulus hinein nehmen wollte. Das Oratorium, in zwei Teile gegliedert, beschreibt den Werdegang vom Saulus zum Paulus, wobei der erste Teil seine Verfolgung der Christen (Märtyrertod des Stephanus durch Steinigung) schildert und das Damaskuserlebnis der Erscheinung Christi. Der zweite Teil erzählt von seiner Arbeit als Missionar und von den damit verbundenen Gefahren. Dass Mendelssohn dramatisch besonders wertvolle Szenen, wie die im Kerker von Philippi und die des Tribunals von Caesarea, nicht verwendet hat, wurde oft bedauert, doch ging es ihm wahrscheinlich eher um die Umsetzung und Erzählung der Apostelgeschichte, als um die Darstellung von Paulus als Persönlichkeit. Im zweiten Teil kommt der Ton dem einer Predigt sehr nahe. Im Schlusschor zieht Mendelssohn das Fazit, dass nicht nur Paulus die Gerechtigkeit Gottes durch seine Standhaftigkeit erfährt, „sondern alle, die seine Erscheinung lieben“. Somit stellt das Oratorium auch eine Aufforderung zur Bekehrung dar."

Freitag, 11. Dezember 2009

Gebet im Lukasevangelium

Bei ihrer Darstellung der Geschichte Jesu setzten die vier Evangelisten je eigene Akzente. Dietrich Rusam (in: M. Ebner und S. Schreiber [Hrsg.], Einleitung in das Neue Testament, Stuttgart 2008, S.204) macht darauf aufmerksam, dass Lukas uns das Beten Jesu als Vorbild darstellt. Gerade in schwierigen Situationen als Stärkung! Eine spirituelle Grundpraxis, an die ich immer wieder denken und sie praktizieren möchte.

"Jesus ist in seinem Verhalten als Vorbild...dargestellt. Immer wieder - so berichtet Lukas - habe Jesus gebetet: 3,21; 5,16; 6,12; 9,18.28-29; 11,1. Und auch das letzte Wort Jesu am Kreuz ist ein Gebet und zeugt von der innigen Verbindung zwischen Gott und seinem Sohn (23,46): 'Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände'...Darüber hinaus ist das Gleichnis vom Richter und der Witwe (Lk 18,1-8) zufolge V.1 als Aufforderung zum anhaltenden Gebet zu verstehen. Vergleicht man Lk 11,13 mit Mt 7,11, so stellt man fest, dass den Bittenden bei Lukas nicht (irdische) Gaben in Aussicht gestellt werden, sondern der Heilige Geist....Schließlich lässt sich die Wirkung des Gebets auch an Jesus selbst ablesen: Der im Garten Getsemani Furchtsame erfährt nach seinem Gebet auf wunderbare Weise Stärkung durch einen Engel (22,43). Diese Stärkung ermöglicht ihm ein mutiges Auftreten gegenüber seinen Häschern (22,47-53). Ja im Grund ist Jesus derjenige, der bei seiner Gefangennahme handelt. Er stellt Judas zur Rede, beschwichtigt seine Jünger (22,51a) und heilt das Ohr des Hohenpriesterknechtes wieder an (22,51b). Und folgerichtig bekennt er sich - entsprechend seiner eigenen Forderung (12,812) - sowohl vor dem Hohen Rat zu seiner Gottessohnschaft (22,70) als auch vor Pilatus zu seinem Königtum (23,3). Am Kreuz hängend bittet er noch für seine Henker (23,34) - ähnlich wie in seiner Nachfolge Stephanus (Apg 7,60). "

Mittwoch, 9. Dezember 2009

Vernünftige Argumente für die Realität Gottes

Glaube ist wesentlich ein Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch. Gott offenbart sich mir, er spricht mich an, er trifft mich ins Herz, in mein Existenz-Zentrum. Was aber, wenn ich aufgrund bestimmter Vorannahmen bezüglich Rationalität und Vernünftigkeit die Realität Gottes für grundsätzlich irrational, für denkunmöglich halte? Wenn es in meinem Denken gar kein Tor zu einer größeren Wirklichkeit gibt oder offen gehalten wird? Darum ist es von religiöser Seite her wichtig, zu zeigen, dass das Denken, die Rationalität des Menschen zwar Gott nicht beweisen, aber zumindest für denkmöglich halten kann. Das reicht für den Glauben nicht aus, aber es weitet das Denken.
Was die Realität Gottes anbetrifft, so haben Philosophen und Theologen in den letzten 2500 Jahren nämlich durchaus mehrere starke Argumente gefunden, die zur Kenntnis genommen werden sollten.

1. Mit guten Gründen läßt sich im Kosmos eine Zielgerichtetheit, durch Raum und Zeit bestimmt, erkennen. Der Kosmos wird durch über 30 Naturkonstanten gesteuert (z.B. durch die Plancksche Mauer), die auf einen Grund schließen lassen, der sie eingerichtet hat und der der Entfaltung des Universums ein Ziel gegeben hat. Das Universum scheint genauestens reguliert worden zu sein. Wären die physikalischen Gesetze nicht genau so, wie sie es sind, dann gäbe es kein Universum, kein Sonnensystem, keine Erde und keine Menschen auf ihr, um darüber zu sprechen. Jean Guitton fragt staunend: „Ist diese schwindelerregende präzise Regulierung schierer ‚Zufall‘, oder entspringt sie dem Willen einer ersten Ursache, einer organisierenden Intelligenz, die unsere Realität transzendiert?“
2. Weiterhin läßt sich beobachten, daß alle Vorgänge im Universum Folge vorheriger Ursachen sind. Am Anfang dieser extrem komplexen Kausalkette könnte der unbewegte Beweger stehen, der Grund aller Ursachen. Gott kann so als das Sein bestimmt werden, daß alles Bestehende zusammenhält.
3. Gott ist der Umfassende, der alles umfaßt. Es ist durchaus vernünftig, vom Kosmos, der sich selbst nicht umfaßt, sonst wäre er ja selbst Gott, auf etwas zu schließen, das den Kosmos umfaßt. So ist denn das, was das Endliche umgreift, das Umgreifende. Die menschliche Vernunft nennt dann das, was Materie, Raum und Zeit umgreift „Gott“. Gott ist somit der Unbedingte, der alles Bedingte ermöglicht.
4. Gott läßt sich mit der Vernunft schließlich als derjenige erkennen, über den hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Gott ist dann die Wirklichkeit, über die man nicht hinausdenken kann. Gott als der Umgreifende läßt sich nicht mit dem endlichen Verstand ergreifen, weil diese immer nur das Endliche zu begreifen vermag. Gott lässt sich nur mit der Gabe der Vernunft erahnen, die das Umgreifende schauen, wenn auch nicht begreifen kann. Sonst wäre sie Gott selbst.
5. Wer sich dieser Weisheit öffnet, macht die Erfahrung, dass sinnliche Erfahrungen in ihrer Tiefe einen unendlichen Wert erhalten können, und damit einen Blick in die göttliche Wirklichkeit ermöglichen. So scheint das Göttliche im Weltlichen auf, nicht zuletzt auch im Schönen und Erhabenen. Viele Menschen machen diese Erfahrung in der Liebe, in der Freundschaft, in kreativen Aktivitäten (musizieren, malen, dichten) oder in tiefen Naturerlebnissen. Schönheit ergreift, macht staunen und lässt das wahre, das bleibende Wesen der Dinge erahnen.

Es gibt natürlich viele Wissenschaftler wie z.B. der prominente Biologe Richard Dawkins oder der von mir hochgeschätzte Niklas Luhmann, die darauf verzichten, von der Vielfalt auf die Einheit zurückzuschließen. Ihnen reicht es, mit dem Verstand die Welt als ein spannendes Spiel von Atomen, Genen und Systemen (um nur mal drei Mitspieler zu nennen) zu begreifen. Die Frage, wer dieses Spiel eingerichtet hat, ersetzen sie durch den schillernden Hinweis: „Ich sehe nur Zufall und Notwendigkeit" (J. Monod). Andere Wissenschaftler sehen allerdings die Grenzen empirischer Forschung und stimmen mit der oben vorgetragenen These überein: Wer erst einmal auf die Erkenntnis der Vernunft zurückgreift, dem erschließt sich die Plausibilität der Argumente für Gott, und sie können einen tief ergreifen. Sie vermitteln die Erkenntnis, dass es zumindest nicht unvernünftig ist, an Gott zu glauben, ja dass die Vernunft als Weisheit sich selber als Spiegel der göttlichen Vernunft begreifen kann. Die Bibel spricht von der „Ebenbildlichkeit Gottes“, die der Mensch von Gott verliehen bekam: Zu dieser gehört auch das Erlebnis, mit Hilfe der Vernunft Gottes Dasein und die Anwesenheit Gottes in der Welt erahnen zu können.

Sonntag, 6. Dezember 2009

Beziehungsreichtum - Beziehungslosigkeit

Um wieder tiefer zu verstehen, wie der Tod Jesus am Kreuz zu verstehen ist, habe ich das Lexikon RGG (Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Auflage) zu Rate gezogen und einen sehr gehaltvollen Artikel von Eberhard Jüngel zum Stichwort "Rechtfertigung" gefunden. Daraus zwei Zitate, die man ruhig mehrmals lesen sollte, weil sie Vieles auf wenig Platz, typisch für Lexikonartikel, sagen möchten. Besonders gut gefallen hat mir die Verwendung der Worte "Beziehungsreichtum" und "Beziehungslosigkeit", weil sie so gut geeignet sind, das zu beschreiben, worum es bei Sünde und Heil geht, um ein Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch:

"Unter Gerechtigkeit ist diejenige Ordnung des Beziehungsreichtums des Lebens zu verstehen, durch die die grundlegenden Lebensverhältnisse (das Verhältnis des Menschen zu Gott, zu seiner sozialen und natürlichen Umwelt und zu sich selbst) so zu ihrem Recht kommen, daß sie sich gegenseitig begünstigen. Ungerechtigkeit tritt dann ein, wenn eines dieser fundamentalen Lebensverhältnisse sich auf Kosten anderer durchzusetzen versucht, beispielsweise dann, wenn das Selbstverhältnis des Menschen zu rücksichtsloser Selbstverwirklichung verkommt und Gottesverhältnis wie Weltverhältnis dieser rücksichtslosen Selbstverwirklichung dienstbar gemacht und instrumentalisiert werden...in der Welt ist nichts mehr um seiner selbst willen interessant. Interessant ist nur noch, was man damit oder daraus machen kann. An die Stelle von Beziehungsreichtum tritt wachsende Beziehungslosigkeit. Die Bibel nennt diesen Drang in die Beziehungslosigkeit Sünde. "

"Gottes den Gottlosen rechtfertigende Gerechtigkeit wird im Evangelium offenbar, das als Wort vom Kreuz (1Kor 1,18) den Tod Jesu Christi als dasjenige Heilsereignis proklamiert, in dem der Gott, der sich hingebende Liebe ist, die selbstverschuldete tödliche Beziehungslosigkeit des Sünders an unserer Stelle erlitten und kraft seiner schöpferischen Liebe mitten im Tode neue Beziehungen und neues Leben geschafffen hat.
Indem er, von seiner hingebungsvollen Liebe bewegt, den als 'der Sünde Sold' (Röm 6,23) in die Welt gekommenen (Röm 5,12), über den Sünder verhängten Fluchtod erleidet, wird die Sünde zum Vergehen verurteilt und zum Vergehen gebracht.
Indem er, von seiner schöpferischen Liebe bewegt, mitten im Tode den Beziehungsreichtum des göttlichen Lebens durchsetzt, entstehen im geschöpflichen Raum neue Beziehungen und Lebensverhältnisse, in die der gerechtfertigte Sünder einbezogen wird: der aus Glauben Gerechte wird leben (Röm 1,17), weil er mit Gott zusammenleben kann und wird. "

Samstag, 5. Dezember 2009

Gottes Nähe erfahren - Hinweise des Matthäusevangeliums

Wie erfährt man - nach Vorstellung von Matthäus - schon heute Gottes Nähe?
1. Hier kommt zunächst einmal der Glaube an Jesus als Christus ins Spiel (Theologen sprechen von der „Christologie“). Jesus selbst ist „Gott mit uns“ (Immanuel, Mt 1,22). Gott ist also in Gestalt von Jesus in seinem Volk präsent, sichtbar und berührbar. Schon die Weisen aus dem Morgenland verehren den neugeborenen König der Juden, den Messias. Nach Kreuzigung und Auferstehung verheißt Jesus seinen Jüngern und allen, die sich von ihnen das Evangelium sagen lassen, sich taufen lassen und alles halten, was Jesus gesagt hat: „Ich bin bei euch (oder: „mit euch“) alle Tage bis zum (zeitlichen) Ende der Welt.“ (28,20). Diese begleitende Nähe gilt auch für das gemeinsame Gebet und den Gottesdienst: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich in ihrer Mitte (griech.: en meso autou).“ (18,20)
2. Der im Himmel inthronisierte Christus, der sagt: „Mir wurde (vom Vater) alle Macht im Himmel und auf der Erde gegeben“, er spricht zu den Menschen durch seine Lehre. Er ist gegenwärtig durch seine Lehre, an vorderster Stelle durch die Bergpredigt. Er ist der einzige Lehrer der Gemeinde: „Ihr sollt euch nicht Lehrer nennen lassen, denn einer ist euer Lehrer: Christus.“
3. Weil aber diese Lehrer, Jesus, der Christus, zu seinem Vater „mein Vater“ spricht, darum sind alle, die seinen Worten folgen ermächtigt, Gottes Vaternähe zu erleben, indem sie „mein Vater“ oder „unser Vater“ zu ihm sagen. Die Nähe Gottes wird Realität, sobald so zu Gott gesprochen wird. Darum heißt es aber auch: "Ihr sollt niemanden unter euch Vater nennen auf Erden; denn einer ist euer Vater, der im Himmel!"
4. Dieser durch Jesus und seine Worte nahe Vater, der doch im fernen Himmel „wohnt“, ist gleichwohl auch auf Erden anwesend: die Erde ist der „Schemel seiner Füße“ (Mt, 5,35) Jerusalem ist seine Stadt (5,35) und der Tempel „sein Haus“ (21,14). Ja, selbst im im Verborgenen ist er präsent und er sieht in das Verborgene. Gott ist zwar nicht einfach abstrakt oder grundsätzlich allgegenwärtig, aber sein Möglichkeitspielraum ist uneingeschränkt. Es gibt "Orte“ auf der Erde, die er bevorzugt: den Tempel in Jerusalem, aber auch einsame Orte, das Herz des Menschen in aller Abgeschiedenheit (Mt. 6,4; 6,6; 6.18). Gott ist vor allem auch dort, wo Männer auf ihre Männlichkeitsrituale verzichten müssen: im eigenen Stüblein, in der auf sich selbst zurückgeworfenen Seele.

Donnerstag, 3. Dezember 2009

Entdeckungen

Meine Leidenschaft ist weiterhin die Neutestamentliche Wissenschaft. Gerade lese ich das Buch "Neutestamentliche Wissenschaft nach 1945. Hauptvertreter der deutschsprachigen Exegese in der Darstellung ihrer Schüler" (Neukirchener Verlag 2009), herausgegeben von C. Breytenbach und R. Hoppe. Es handelt sich um Exegeten (leider keine einzige Exegetin), die um 1900 herum geboren sind, bis spätestens in die 1980er Jahre publiziert haben und mittlerweile verstorben sind. Besonders hat mich die theologische Biographie von Joachim Jeremias interessiert, der Lehrer meines wichtigsten Lehrers Otfried Hofius. Neu entdeckt habe ich Eduard Schweizer, der in packender Weise von Ulrich Luz vorgestellt wird. Ich habe seinen Kolosserbriefkommentar mit ganz neuen Augen gelesen, ebenso einen umfangreichen Artikel zu "Jesus Christus" in der TRE. Eine Entdeckung ist für mich auch Hans Conzelmann, den ich - auch aufgrund seines Kommentars zum 1. Korintherbrief - als übertrieben knapp und nüchtern in Erinnerung hatte. Ein echter Tipp von Andreas Lindemann, der ihn vorstellt, ist daher sein Artikel in der 3. Auflage der RGG zu Jesus Christus. Da steckt Leidenschaft drin und es finden sich prägnante Formulierungen.
Hier ein paar Zitate zur Verkündigung Jesu:

"Die Einsicht, daß Gott direkt herrscht, führt zum Überstieg über die Sorge (Mt 6,25ff)."

"Daß Gott alles tut, daß er mein Tun beansprucht (und zugleich ermöglicht) und daß er sich von mir bitten läßt, für mich oder einen anderen etwas Besonderes zu tun, was er ohne mein Gebet nicht tun würde, das ist die in sich einheitliche Konzeption des Glaubens, die in der Situation des Gebets unmittelbar verständlich wird. Gerade weil er allmächtig ist, kann man sich ohne Scheu an ihn wenden. Weil er regiert, kann man mit Zuversicht bitten, im Vertrauen darauf, daß er im voraus weiß, was wir brauchen (Mt 6,7; 7,7ff). Der Beter ist von Gott selbst aufgefordert, sich an ihn zu wenden und um das Unwahrscheinliche zu bitten."

"In alledem ist das Gottesverhältnis als einseitig von Gott hergestellt (und durch Jesus vermittelt) verstanden."
Glaube "ist der völlige Verzicht auf Berechnung, auf das Einschieben von Leistungen als Mittelinstanz (Lk 17,1ff); er ist die 'einfältige' Einstellung auf Gottes Schenken, und seine Struktur entspricht diesem. Gott schenkt ja vorbehaltlos. Er läßt seine Sonne scheinen und läßt regnen über Gute und Böse (Mt 5,45). Er ist - vom Standpunkt der Leistung und rechnenden 'Gerechtigkeit' aus - ärgerlich gütig."

"Die Ethik Jesu zeigt also, wie Gottes begegnende Güte in heutige Verwirklichung umzusetzen ist."

"Wenn ich Gott verstehe - und das kann ich -, dann verstehe ich auch die Absolutheit seines Gebotes: daß er nicht nur etwas von mir will, sondern daß er mich will."

(Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Auflage, Band 3, 1959, Sp. 635-638)

Dienstag, 1. Dezember 2009

Glauben verstehen

Theologie hat nicht die Aufgabe, den durch die Verkündigung geweckten Glauben an Jesus Christus durch Wissenschaft zu beweisen, sondern vielmehr diesen Glauben durch differenzierendes Nachdenken tiefer zu verstehen. Theologie führt daher früher oder später immer wieder zur Ergriffenheit zurück, die mit dem begreifenden Hören des Evangeliums verbunden ist und damit existenzbewegenden Charakter hat.

Sonntag, 29. November 2009

Angstfrei glauben

Ich bin dankbar, dass ich durch meine Eltern eine religiöse Erziehung erleben konnte, die in mir keine Ängste bezüglich Gott und Religion hervorrief (ich bin mir jedenfalls keiner bewußt - unbewußt gibt es vielleicht doch welche, aber im Unbewußten sind sie zur Zeit gut aufgehoben :))
Angst kenne ich natürlich - vor anderen Menschen, in unsicheren Situationen, in einer steilen Bergwand, vor Ablehnung durch andere, vor Einsamkeit, vor "Autoritäten" - Angst kann mich schon hin und wieder mutlos machen.
"In der Welt habt ihr Angst", so verständnisvoll spricht Jesus zu seinen Jüngern (Johannes 16,33). Wäre es da nicht widersinnig, wenn Gott ein weiterer Angstfaktor im Leben wäre? Angst dann zusätzlich noch vor Gott und seinen Ansprüchen? Angst, verloren zu gehen? Ihm nicht zu genügen? Angst vor seiner Allmacht? Weg damit!
"Habt Mut! Ich habe die Welt besiegt". Der Glaube, den Jesus Christus durch das Evangelium erweckt, führt aus der Angst heraus und ermutigt! Mit Christus verbunden sein, an ihn glauben, der mich mehr liebt als ich mich selbst, der die schönen und problematischen Merkmale meiner Persönlichkeit umfassend angenommen hat und mir seine Gutheit und Schönheit ganz geschenkt hat, der sich aufgrund seiner Liebe nie mehr von mir lossagen wird - das ist das Gegenmittel gegen allerlei Ängste, die das Leben in der Welt auslöst.
Gott in Christus nimmt uns Angst, begleitet uns in der Angst, trägt uns durch die Angst, aber er macht uns nicht Angst.
Denn um die Angst zu vertreiben durch die vollkommene Liebe, dazu ist Gott in Christus Mensch geworden.

Zusage im Matthäusevangelium

Niemand, der das Matthäusevangelium liest, kann sich des Eindrucks erwehren, dass die Ansprüche, die Jesus an seine NachfolgerInnen stellt, hoch sind, und nicht wenige Warnungen aufgesprochen werden, die eine kritische Selbstreflexion bei den LeserInnen auslösen sollen.
Dieser Anspruch aber ist eingeklammert in einen großartigen Zuspruch der Nähe Gottes in Jesus:
1,20-23: "Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden. Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Jesaja 7,14): »Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns.
28,20: "Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt".
Schließlich noch in der Mitte des Evangeliums (18,20): "Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen."

Donnerstag, 26. November 2009

Geborgenheit

Für die sogenannte "Positive Psychologie" ist Geborgenheit ein wesentlicher Leitbegriff. In der Zeitschrift "Psychologie heute" (12/2009) wird Hans Mogel interviewt, der sich seit vielen Jahren mit dem Gefühl der Geborgenheit beschäftigt. Er stellt Geborgenheit in den Kontext von Behaglichkeit, Wohlbefinden, Wärme, Zuneigung, Nähe, Liebe, Akzeptanz, Verständnis, Schutz, innerer Ruhe und Sicherheit.
Bemerkenswert finde ich folgenden Hinweis: "Die Griechen bezeichneten Geborgenheit übrigens als oikos, gleichzusetzen mit unserem Wort 'Haus', was bedeutet, bei sich zu Hause zu sein, Halt zu finden und eine sicheres, bergendes Dach über sich zu wissen. Wer sich, wo auch immer, zu Hause fühlt, erlebt sich zugleich geborgen." (S. 78)
Dieser Satz hat mir bewusst gemacht, dass viele biblische Bilder, Metaphern und Symbole das Gefühl der Geborgenheit vermitteln wollen, z.B. im "Haus Gottes" sein, im Tempel oder dann in der Gemeinde, oder "in Christus sein". Der ganze Psalm 23, oft "Vertrauenspsalm" benannt, malt Bilder der Geborgenheit in unterschiedlichen, auch gefährlichen Situationen. Die Anrede Gottes als "mein Vater" vermittelt Jesus und seinen NachfolgerInnen Geborgenheit, ebenso die Gewissheit, dass dieser "himmlische Vater" jederzeit für sie sorgt, auch wenn sie kein zu Hause während ihrer abenteuerlichen missionarischen Wanderschaft haben. Sorglosigkeit, weil man sich bei aller Ausgesetztheit der Situation ganz geborgen weiß.
Es lohnt sich, Glaube und Geborgenheit in Beziehung zueinander zu setzen und gezielt nach biblischen Aussagen zu suchen, die Ausdruck von Geborgenheit in Bezug auf Gott sind.

Dienstag, 24. November 2009

Jeden Tag bewußt leben - der Rat Senecas

Seneca schreibt in seiner Rolle als philosophischer Berater an seinen jugendlichen Freund Lucilius:
"Das ganze Leben besteht aus Abschnitten in Form von größeren und kleineren konzentrischen Kreisen: einer ist es, der alle übrigen umfasst und umringt; dieser reicht vom Geburts- bis zum Todestag; es gibt einen zweiten, der die Jugendjahre einschließt; ein weiterer umspannt mit seinem Umfang die ganze Kindheit; hierauf folgt das Jahr als solches, welches alle Zeitabschnitte beinhaltet, aus deren Vervielfachung sich das Leben zusammensetzt; der Monat wird von einem engeren Kreis umgeben; den engsten Zirkel hat der Tag, doch auch dieser kommt vom Anfang zum Ende, vom Aufgang zum Untergang. [...] Daher ist jeder Tag so einzurichten, als würde er die Reihe der Tage beschließen und das Leben vollenden und erfüllen. Das… wollen wir aus gutem (Gewissen) tun und vor dem Schlafengehen fröhlich und heiter sagen: Ich hab' gelebt, und den Lauf, den das Schicksal gegeben, vollendet'. Den morgigen Tag, wenn der Gott ihn hinzufügt, wollen wir freudig annehmen. Derjenige ist ein über-glücklicher und sorgloser Besitzer seiner selbst, der das Morgen ohne ängstliche Unruhe erwartet. Jeder, der abends gesagt hat: Ich habe gelebt, steht täglich zu seinem Gewinn auf."
(Briefe 12,6-9; Übersetzung nach F. Loretto)

Sonntag, 22. November 2009

Das Matthäusevangelium - eine spannende Erzählung

Die Bergpredigt ist Teil des Matthäusevangeliums. Die Forschung an den synoptischen Evangelien (Markus, Matthäus, Lukas) hat in den letzten Jahren deutlich machen können, dass ihreAutoren nicht einfach einzelne Geschichten aneinanderreihten, sondern einen Plot entwickelten. Mit "Plot" ist der Spannungsbogen einer Erzählung gemeint, die beim Leser Interesse und Neugier erweckt, weiterzulesen oder weiterzuhören. Die Evangelien wollen daher nicht nur ausschnittsartig (perikopenweise) gelesen werden, wie es in Predigten, in der persönlichen Andacht oder auch im Religionsunterricht üblich ist. Sie sind so entworfen, dass sie auch in einem Zug von Anfang bis Schluss gelesen werden können. Ein "Plot" entwickelt Spannung vor allem dadurch, dass eine Hauptfigur, der Held, von einem eher stabilen Anfang her in Konflikte hineingerät bis hin zu einem dramatischen Höhepunkt, dem dann als Lösung ein kurzes Happy-End (oder ein tragisches Ende) der Erzählung folgt.
Welcher "Plot" macht das Matthäusevangelium spannend?

Martin Ebner skizziert ihn so:
"Obwohl Jesus durch seine Genealogie als Nachkomme des Königs Davids ausgewiesen ist (1,1-25) und mit seiner Geburt ein neuer Höhepunkt der Geschichte Israels erwartet werden darf (1,17), stößt er, als er in Israel öffentlich auftritt, auf erbitterte Ablehnung: allerdings nur bei den religiösen und politischen Autoritäten, den Schriftgelehrten und Pharisäern, den Hohenpriestern und Ältesten. Im Gegensatz dazu beginnen die Volksmengen, Jesus als „Sohn Davids" anzuerkennen (9,27.33f.; 12,23f.; 21,9.15), einzelne Notleidende rufen ihn mit diesem Titel um Hilfe an (9,27; 15,22; 20,30f.). Da ziehen die Hohenpriester und Ältesten einen Schlussstrich: Mit der Stimme des Volkes von Jerusalem fordern sie seinen Tod (27,20.25). Er wird gekreuzigt. Aber: Von Gott auferweckt, stellt sich Jesus auf dem Berg in Galiläa, auf dem er bereits seine programmatische Rede, die Bergpredigt (5-7), gehalten hat, seinen Schülern als Universalherrscher vor, dem von Gott „alle Vollmacht über Himmel und Erde gegeben worden ist" (28,18). Er fordert seine Schüler dazu auf, was er ihnen zu Lebzeiten streng verboten hat: zu allen Völkern, also auch zu den Heiden zu gehen und sie ebenfalls zu seinen Schülern zu machen, d. h. sie zu taufen und sie zu lehren, „alles zu befolgen, was ich euch aufgetragen habe" (28,19f.). Damit wird das „Evangelium vom Königtum", wie es Jesus selbst verkündet hat (4,23-9,35) weiterverkündet, allerdings über die Grenzen Israels hinaus, aber streng entlang der Ethik, wie sie Jesus zu Lebzeiten gelehrt hat und wie sie das MtEv in fünf Reden präsentiert."

in: Einleitung in das Neue Testament, hrsg. von Martin Ebner/Stefan Schreiber, Stuttgart: Kohlhammer, 2008, S. 125.

Ähnlich, aber analytischer und viel ausführlicher beschreibt Uta Poplutz den Plot des Evangeliums in: "Erzählte Welt. Narratologische Studien zum Matthäusevangelium, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 2008, S. 32-56.
Wie Ebner verweist sie auf zwei Stellen, die für den Erzählfaden wichtig sind: Mt 4,17 und 16,21. Im Konflikt mit den Feinden Jesu lassen sich drei Phasen unterscheiden: Kapitel 9-12, 15-20 und 21-27 mit eskalierender Dramatik.

Sind diese Hinweise nicht Anreiz genug, das Matthäusevangelium tatsächlich einmal in einem Rutsch durchzulesen und sich auf den Plot einzulassen? Ich werde es gleich tun.

Freitag, 20. November 2009

Van Dyke Parks - Frankfurt 17.11.

Ja, wer kennt ihn? In Frankfurt kamen 180 treue Fans zusammen, unter denen ich noch einer der jüngsten war. Dabei sind viele Songs von Parks Musik, die auch Kindern gefallen könnte - Songs, die an Musicals erinnern, verspielt und gleichzeitig voller überraschender Tonart- und Rhythmuswechsel, groovig, melodiös. Sein Meisterwerk ist für mich das 1984 erschienene "Jump", orchestral instrumentiert mit Hits, die damals und auch heute kaum einer hören möchte. Außer eben den Fans, die ihn als Geheimtipp weiterreichen, auch wenn er schon 66 Jahre alt ist und die Aura eines gemütlichen Onkels ausstrahlt, die alsbald verschwindet, sobald er tüchtig in die Tasten greift wie ein klassischer Musiker - filigran von E-Gitarre begleitet und massiv von einem akustische Bass unterstützt. Es war ein Fest für die Fans, die in Berlin und Frankfurt seine ersten beiden Solo-Konzerte auf deutschem Boden erleben durften. Er tritt nur sporadisch auf und ist doch ein begnadeter Entertainer, spielfreudig, ganz der Sache hingegeben, zwischen den Songs Pointen plaudernd, und von der Zuneigung demütig beeindruckt, die ihm vom Publikum zugetragen wird. Einer, der es genießt, nicht berühmt zu sein und eher bemitleidend Stars beobachtet, die immer beobachten müssen, ob sie ja auch beobachtet werden, wenn sie einen Raum betreten und dann ganz betreten sind, falls sie nicht erkannt werden.
Van Dyke Parks hören heißt, sich auf die Tiefen der amerikanischen populären Musik einzulassen; ja das Spektrum der präsentierten Songs reichte über Woody Guthrie und einem deutsch-jüdisch-amerikanischen Songwriter aus dem 19. Jahrhundert bis 1600 zurück - ein Enzyklopädist, der mit Brian Wilson (Beach Boys, "Smile"!!), Lowell George (Little Feat), Ry Cooder, Joana Newsom, Inara George und unzähligen anderen musizierte und sie produzierte.
Nächstes Jahr will er wiederkommen und er forderte die Dabeigewesenen auf, ihre Geschwister mitzubringen. Ja, mit meiner Schwester habe ich 1984 oftmals "Jump" gehört, auf diese Musik konnten wir uns einigen.

Wer ihn kennenlernen möchte, hier 5 Alben für eine lange und herzliche Freundschaft
"Song Cycle" 1968
"Discover America" 1972
"Jump" 1984
"Tokyo Rose" 1989
"Orange Crate Art" (zusammen mit Brian Wilson) 1995

Auf Youtube finden sich Ausschnitte aus einem Konzert 1989 in Japan, in dem er Songs von "Jump" und "Tokyo Rose" mit Orchester spielte.

Mittwoch, 18. November 2009

Tugenden in der Bergpredigt

Angeregt von Moises Mayordomo (siehe Blog vom 30.10), lese ich die Bergpredigt verstärkt als Einladung zu einer Tugendethik - der Lehrer Jesus malt in vielstimmiger Weise die Tugenden vor Augen, die Menschen in seinem Kraftfeld charakterlich in sich tragen und ausleben können.
Heute habe ich die SchülerInnen eines Leistungskurses (13. Jahrgangsstufe) die Bergpredigt in dieser Hinsicht analysieren lassen. Das Ergebnis ist aufschlußreich und beeindruckend:



Lassen sich diese Tugenden systematisieren?
1. Menschen, die von diesen Tugenden geprägt sind, orientieren sich am Wohl anderer.
2. In Bezug auf sich selbst verzichten sie auf Selbstdarstellung und Geltungsstreben; sie verhalten sich "authentisch" und klar.
3. Sie vertrauen in "naiver" Weise auf Gott ("naiv" im Sinne einer "2. Naivität", die von eigenständigen, erwachsenen Menschen bewußt und gegen die typisch erwachsene Sorge praktiziert wird).
4. Die Stimmung, aus der heraus diese Tugenden gelebt werden, läßt sich insgesamt durchaus als "fröhliche Zuversicht" beschreiben. Trübsinn und Verkrampftheit hat Jesus überhaupt nicht im Blick.

Sonntag, 15. November 2009

Gebet und Revolution

Dem 9. November 1989 wurde dieses Jahr zum "20. Jubiläum" besonders gedacht. Nicht vergessen werden sollte, dass ein Schlüsseldatum der friedlichen Revolution der 9. Oktober 1989 war.

Diesmal wollte der Demonstrationszug den ganzen Innenstadtring herummarschieren, auch am Gebäude der MfS (Stasi)-Bezirksverwaltung vorbei. Vor der Demonstration fanden in allen vier Leipziger Kirchen Friedengebete statt, in denen zu unbedingter Gewaltlosigkeit aufgerufen wurde. Es war "ein Aufbruch im Raum des Gebets." (R. Mau)

An diesem Tag wollte die Staatsführung der DDR den immer größer werdenden Montagsdemonstrationen in Leipzig Paroli bieten. Wasserwerfer [nicht Panzer, wie ich ursprünglich geschrieben habe: siehe Kommentar!] standen in den Seitenstraßen. Wie man sich verhalten sollte, wurde allerdings nicht entschieden, man wartete ab, war unsicher.



Zu Beginn der Demonstration erfuhr man über Lautsprechersäule am Leipziger Ring, dass engagierte Leipziger Bürger (u.a. Kurt Masur) mit der SED-Führung von Leipzig einen Aufruf zum freien Meinungsaustausch verfasst hatten und zur Besonnenheit aufriefen. Die Demonstranten hatte Kerzen in ihren Händen und riefen immer stärker und mutiger "Wir sind das Volk". Die Soldaten und die Polizei wagten/brauchten nicht einzugreifen.
Egon Krenz war für die Leipziger Funktionäre nicht zu erreichen, und so entschied man in Leipzig selbst, nicht einzugreifen, sofern keine Angriffe von Seiten der Demonstranten erfolgten, eine knappe Stunde später rief Krenz aus Berlin an und bejahte nachträglich die Entscheidung vor Ort.

Horst Sindermann, Präsident der Volkskammer, meinte später: "Mit allem haben wir gerechnet, nur nicht mit Kerzen und Gebeten. Sie haben uns wehrlos gemacht."

Angeregt durch: Rudolf Mau: Kirche als Raum der Befreiung zum eigenen Wort, in: Theologische Literaturzeitung 134/10 (2009), Sp.1025 und Sp. 1038f.
Bildquelle: http://www.welt.de/multimedia/archive/1223634339000/00679/leipzig_13_11__DW_R_679662g.jpg

Ergänzung aufgrund einer Richtigstellung (siehe Kommentar):


In der SED-Führung und NVA wurde in den Tagen zuvor zwar eine militärische Lösung diskutiert, aber eben nicht entschieden; die Hemmung, Todesopfer in der eigenen Bevölkerung zu riskieren, war groß; man beließ es bei polizeilich harten Durchgriffen am 6. und 7. Oktober gegenüber Demonstranten und plante so auch für den 9. Oktober in Leipzig. Auf Bezirksebene (Leipzig) und Stadt-Ebene (Plauen, Dresden: Bergmann) wollten die SED-Verantwortlichen ebenso keine militärische Gewalt ausüben und versuchten mit den demonstrierenden Bürgern ins Gespräch zu kommen.
Die erhöhte Einsatzbereitschaft von NVA und Stasi-Einsatzkommandos sprach sich allerdings herum und ließ auf Seiten der Bevölkerung (und auch bei vielen Soldaten/Polizisten) das Schlimmste befürchten. Es war klar, dass nur absolute Gewaltlosigkeit eingreifhemmend sein konnte. Die deshalb praktizierte Gewaltlosigkeit der Bürger hat es auch den politisch Verantwortlichen und den mobilisierten Soldaten/Polizisten ermöglicht, auf Gewalt zu verzichten.
So sieht im Moment meine geschichtliche Erkenntnis rund um den 9. Oktober 1989 aus, ich lasse mich aber gerne weiter eines Besseren belehren!

Ich habe vertiefend und für die Korrektur zu Rate gezogen: Ilko-Sascha Kowalczuk, Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR, München: Beck 2009, S. 386-404.

Samstag, 14. November 2009

Anlass der Bergpredigt

Im Kontext des Erzählplots (Erzählfadens) des Evangelisten Matthäus ist die Bergpredigt die große Antrittsrede Jesu, die bei seinen Zuhörern, den Jüngern und dem versammelten Volk, Erstaunen und Erschrecken hervorruft. In dieser Rede offenbart er sich als vollmächtiger Lehrer einer spirituellen und sittlichen Lebensführung. Für die matthäische Darstellung der Jesuserinnerung ist es ganz wesentlich, Jesus als Lehrer des neuen, endzeitlichen Israel darzustellen. Nicht nur sein Leben, sondern auch seine Lehre wird als Gabe an die Seinen und für die ganze Welt begriffen, was der Schlußvers des Evangeliums hervorhebt: „Lehret sie halten alles, was ich euch gesagt habe“ (Matthäus 28,20) .

Die Bergrede als Lehr-Ouvertüre wurde vom Autor des Evangeliums zusammengestellt. Einen Teil der Jesusüberlieferung fand er in der Spruchsammlung (Q) vor, die auch Lukas für seinen „Feldrede“ verwendet hat. Matthäus hat diese Zusammenstellung von Jesusworten mit weiteren Überlieferungen angereichert und diese redaktionell so bearbeitet, dass sie seinem Verständnis von Christusnachfolge entsprachen, das sich in Kontinuität zum Gesetzesgehorsam des jüdischen Volkes verstand.

Wenn man die Signale im Text genau analysiert, dann ergibt sich ein recht deutliches Bild der Adressaten, die sich der Autor des Evangeliums vorstellt – sie sind ein Spiegelbild seiner selbst. Im Blick sind erwachsene Männer, die im jüdischen Toragehorsam (Leben nach dem Gesetz des Mose) fest verankert sind, aber als Kern ihrer spirituellen Identität Jesus von Nazareth als den Christus Israels und der anderen Völker angenommen haben.

Der Evangelist möchte helfen, den an Jesus gebundenen Messiasglauben als wahren jüdischen Glauben zu begreifen, der seit Jesu Auferstehung und Himmelfahrt auch den nichtjüdischen Völkern zugänglich gemacht werden soll. Das jüdische Volk musste nach der Zerstörung des Tempels (70 n.Chr.) intensiv darüber reflektieren, welche religiöse Lebensform vor Gott wohlgefällig ist und wie es mit dem Volk ohne Staat weitergehen kann. Das Matthäusevangelium, vermutlich um 80-90 n.Chr. publiziert, schaltet sich in dieses Ringen mit dem Ruf ein, auf die Stimme Jesu zu hören. Der Gott Israels möchte, dass sein Volk auf ihn hört und von ihm lernt, wie eine „vollkommene“ Lebensführung aussieht. Der Autor des Matthäusevangeliums steht im engen konfliktträchtigen Kontakt mit pharisäischer, frührabbinischer jüdischer Lebenspraxis und bietet in Bezug darauf Orientierung, wie man als Jude Jesusnachfolger sein kann. Dieser Kontext ist der Grund dafür, warum Jesus besonders im Matthäusevangelium als Lehrer des vollkommenen Gesetzesgehorsam charakterisiert wird. Matthäus läßt Jesus darum eine ganz einzigartige Tugendethik verkündigen, die besonders in der Unterweisung am Berg hervorsticht.

Der Kampf der Wölfe

Die Navajo-Indianer erzählen sich einen sehr einleuchtenden Dialog zwischen Großvater und Enkel, um zum tugendhaften Verhalten einzuladen (die Authentizität ist m.E. recht unsicher, was dem tiefsinnigen Inhalt jedoch keinen Abbruch tut)



Der Großvater öffnet seinem Enkel das Herz:
„Manchmal habe ich das Gefühl, dass in mir ein Kampf tobt – ein Kampf zwischen zwei Wölfen.
Der eine Wolf ist böse. Er ist der Wolf des Zorns und Neids, der Sorge, des Vorwurfs, der Gier und der Arroganz, des Selbstmitleids, der Schuld, der Ablehnung, der Minderwertigkeit oder Überlegenheit; der Angst vor der Heilwerdung von Körper und Seele, vor dem Erfolg und davor, dass das, was die anderen gesagt haben, wahr sein könnte; der Angst, in den Mokassins eines anderen zu laufen, um nicht mit seinen Augen sehen und seinem Herzen fühlen zu müssen, wie sich die Wirklichkeit aus seiner Sicht darstellt, so dass ich an hohlen Ausreden festhalten kann, die ich im Inneren längst als falsch erkannt habe.
Der andere Wolf ist gut. Er ist der Wolf der Freude, des Friedens, der Liebe und Hoffnung, der Gelassenheit, Bescheidenheit und Güte, des Mitgefühls für jene, die mir geholfen haben, wenngleich ihre Bemühungen nicht immer perfekt waren, der Bereitschaft, mir selbst und anderen zu vergeben und zu erkennen, dass ich mein Schicksal selbst in der Hand habe.“

Nachdem der Enkel eine Weile über die Worte seines Großvaters nachgedacht hatte, fragte er: „Sag mir, Großvater, welcher der beiden Wölfe wird nun gewinnen?“ Der weise, alte Mann antwortete: „Der Wolf, den ich zu füttern beschließe.“


Bildnachweis:
http://www.wolfspark-wernerfreund.de/03wolfspark/03AnlageC/GehegeC.html
Textnachweis:
Fundort: John Izzo, "Die fünf Geheimnisse, die sie entdecken sollten, bevor sie sterben", München: Riemann, 2008, Kapitel 5.

Freitag, 13. November 2009

Bergpredigt - zukünftige Gottesnähe

Die zukünftige (eschatische) Gottesnähe wird mit unterschiedlichen Bildern in den Glückselig-preisungen (Matthäus 5,3-11) sichtbar gemacht, die stark in der Anschauungswelt der Schriften Israels (AT) verwurzelt sind:

- „das Reich der Himmel besitzen“: Der Himmel ist der unbestrittene Machtbereich Gottes, er gehört ganz Gott, und so auch ganz den Seliggepriesenen. Damit gibt Gott an seinem Besitz völligen Anteil, verheißen wird eine engste „Besitzgemeinschaft“, d.h. „Machtteilhabe“, also „Throngemeinschaft“. Die räumliche Nähe zu Gott, konkret: neben ihm sitzen, sollte man sich hier vorstellen, eine nicht zu überbietende Statuserhöhung.

- „getröstet werden“, d.h. von Gott getröstet werden. Trösten ist eine Geste der zärtlichen Berührung, man wird in den Arm genommen, Tränen werden abgewischt, Worte der Beruhigung werden gesprochen.

- „die Erde ererben“: Das Reich Gottes umfasst nicht nur den Himmel, sondern auch die Erde, als Raum ist es der „neue Himmel und die neue Erde“, also eine Sphäre der Einheit von Geistlichkeit und Leiblichkeit. Darum kann man dort auch

- „satt werden“: Jesus vergleicht das Himmelreich oft mit einem edlen Festmahl, an dem man tatsächlich satt wird. Psalm 23,5: "Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein."

- „Barmherzigkeit erlangen“: Barmherzigkeit zeigt sich in Gesten Zuwendung, der Berührung und des Versorgens.

- „Gott schauen“. Dies ist die direkteste Aussage der heilvollen Gottesnähe, Gottes Angesicht sehen, die Schönheit der Schönheiten anblicken und dabei nicht sterben, sondern ewig leben – ein Genuß, keine Qual. Die Beter im alten Israel finden Gottes Angesicht in seinem Tempel: Psalm 27,8-10: "Mein Herz hält dir vor dein Wort: »Ihr sollt mein Antlitz suchen.« Darum suche ich auch, HERR, dein Antlitz. Verbirg dein Antlitz nicht vor mir, verstoße nicht im Zorn deinen Knecht! Denn du bist meine Hilfe; verlass mich nicht und tu die Hand nicht von mir ab, Gott, mein Heil! Denn mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber der HERR nimmt mich auf."

- „Gottes Kinder heißen“: Dies ist die Geste der Anerkennung durch Gott, die Annahme als Kinder, als Söhne Gottes. Hosea 2,1: "Doch die Zahl der Söhne Israel wird wie Sand am Meer werden, den man nicht messen und nicht zählen kann. Und es wird geschehen, an der Stelle, an der zu ihnen gesagt wurde: Ihr seid nicht mein Volk!, wird zu ihnen gesagt werden: Söhne des lebendigen Gottes." Die Söhne wiederum regieren mit Gott, sind also zum höchstmöglichen Status erhöht.

Donnerstag, 12. November 2009

Robert Enke

Ich bin positiv beeindruckt vom Umgang der Angehörigen und der Öffentlichkeit mit dem Suizid von Robert Enke.

Die engsten Vertrauten, seine Frau und sein Therapeut, legen den Hauptgrund offen: Robert Enke litt an einer schweren seelischen Krankheit, an einer besonderen Form der Depression.

Die Medien klären sehr bald mit Hilfe von Experten (Leitern von psychiatrischen Kliniken) über die Krankheit auf und schaffen so ein wenig Sensibilität für den schwierigen Umgang mit lebensbedrohlichen seelischen Krankheiten. Schwieriger, weil nicht nur der Körper (wie z.B. bei Krebs), sondern die Seele des Betroffenen selbst "krank" ist. Damit umzugehen, ist für den Kranken selbst wie auch für die "Mitwissenden" extrem schwierig, weil man nicht einfach "über" die Krankheit reden kann. Denn jede Kommunikation des Kranken wird als Ausdruck der Krankheit wahrgenommen. Das weiß auch der Betroffene und er fürchtet um die "Stigmatisierung", die damit einher geht, ganz anders als bei einer Verletzung oder einer rein körperlichen Erkrankung. Viele versuchen deshalb, unter Aufbringung großer Kräfte, so zu kommunizieren, dass der Verdacht auf seelische Erkrankung gar nicht in der Kommunikation aufkommt.

Die Kirchen organisieren schon am Abend nach der Tat eine ökumenische Andacht, in der dem Toten, aber auch derer gedacht wurde, die mitbetroffen und traumatisiert sind (z.B. der Zugfahrer). Kein Vorwurf, keine schnellen Antworten, vielmehr wird dem Schock, der Trauer durch Kerzen, durch Predigt, Gebet, durch das Vater-Unser und den aaronitischen Segen ein "Halt" gegeben, eine religiöse Sprache und Geborgenheit.

Der deutsche Fußballbund sagt das anstehende Länderspiel ab und gibt Zeit zum Trauern.

Ich habe heute im Religionsunterricht mit einer Klasse über das Geschehen gesprochen und wir haben dann gemeinsam überlegt, was uns dieses tragische Ereignis bewusst machen kann. Dabei ist u.a. deutlich geworden, dass weiterhin Aufklärung darüber notwendig ist, in welchem seelischen Zustand sich Menschen befinden, die an einer Depression leiden, auch wenn das für Nichtbetroffene nicht völlig nachvollziehbar ist. Verständnis führt zu Akzeptanz und Akzeptanz erleichtert es Betroffenen, "gut" mit ihrer Krankheit umzugehen und sich richtig behandeln zu lassen.

Montag, 9. November 2009

Neunte November

Freude und Trauer, Stolz und Scham - Höhen und Tiefen der deutschen Geschichte an 9. Novembern

9. November 1848: Robert Blum, Paulskirchenteilnehmer, Republikaner, Kämpfer für ein freiheitliches und einheitliches Deutschland, wird in Wien knapp 41-jährig hingerichtet (die Aufhebung des unrechtmäßigen Todesurteils erreicht das Hinrichtungskommando nicht mehr). Er hinterlässt einen wunderbaren Abschiedsbrief an seine Frau.
9. November 1918: Kaiser Wilhelm II. tritt zurück, Philipp Scheidemann ruft die Republik aus, Stunden später ruft Karl Liebknecht die sozialistische Republik aus. Deutschland schlittert in eine leider ungeliebte Republik hinein...
9. November 1923: Krisenjahr der Republik, Inflation...Der Hitler-Ludendorff-Putsch wird niedergeschlagen, aber der Rechtsextremismus wird in der Folge nicht entschieden bekämpft.
9. November 1938: Reichspogromnacht - in der Nacht vom 9. auf den 10. November werden auf Befehl der nationalsozialistischen Führung die meisten deutschen Synagogen in Brand gesteckt, tausende von jüdischen Geschäften und Warenhäusern geplündert, ca. 40 000 deutsche Juden werden verhaftet, misshandelt und in Konzentrationslager verschleppt. Die Entwürdigungen z.B. in der Jahrhunderthalle Frankfurt als "Sammelstelle" nach den Verhaftungen sind brutal und sadistisch.
9. November 1989: Die Mauer ist offen. Die immer kräftiger und mutiger werdende Freiheitssehnsucht eines Großteils der DDR-Bevölkerung findet Erfüllung. Die anwachsende Protestwelle führte vom Slogan "Wir sind das Volk" (9.10. Montagsdemo in Leipzig mit 70 000 Demonstranten, von denen viele vorher Gottesdienste besucht hatten, die die Gewaltlosigkeit Jesu vor Augen malten) zur Feststellung "Wir sind ein Volk" und damit zur wiedergewonnen Einheit Deutschlands in Freiheit.

Tugenden (1): Geduld



"Ich harre aus und zertrete niemanden."

So spricht die Geduld nach Auskunft von Hildegard von Bingen.

Quelle: Christine Büchner, Hildegard von Bingen. Eine Lebensgeschichte, Frankfurt am Main und Leipzig: Inselverlag, 2009, S. 86.

Samstag, 7. November 2009

Interreligiöse Begegnungen

In der letzten Woche konnte ich an zwei interreligiösen Begegnungen teilnehmen.

Yuval Lapide, der Sohn des bekannten Ehepaars Pinchas und Ruth Lapide, stellte sein Verständnis von Paulus vor. Er lud die ZuhörerInnen dazu ein, seinen Vortrag durch Fragen und Kommentare zu unterbrechen, damit die Atmosphäre eines jüdischen Lehrhauses entstehe. Von diesem Angebote macht ich öfters Gebrauch.
Lapide bewundert Paulus und möchte ihn als hochgebildeten Toralehrer und Pharisäer deuten, dessen Denken und Handeln durchaus im Rahmen des damaligen zeitgenössischen Judentums zu verstehen sei, er wollte die Tora stärker von der Gnade Gottes her verstehen. Der Jesusverehrung des Paulus (Jesus als menschgewordener Gott und als zum Herrn der Welt Erhöhte) kann Lapide allerdings wenig abgewinnen - er sprach sogar davon, dass hier Phantastereien des Paulus vorlägen, die als Ausdruck des Traumatas, dass er nie Jesus wirklich in Galiläa leibhaftig nachfolgen konnte, zu interpretieren seien.
Ich möchte diese gewagte These hier gar nicht kommentieren, sondern nur festhalten, dass offensichtlich die existentielle Bindung an Jesus Christus als gekreuzigten und auferstandenen göttlichen Herrn das ist, was jüdische Identität von christlicher Identität unterscheidet. Und dass dieses christliche Proprium gar nicht so einfach zu begreifen ist, obwohl es m.E. das Herz, der Dreh- und Angelpunkt des Lebens als Nachfolger Christi ist.
Die Begegnung mit Lapide hat mir aber auch wieder bewusst gemacht, wie stark Juden und Christusgläubige aller Völker miteinander verbunden sind: durch die Schrift, durch Jesus und durch die ersten Apostel, die alle Juden waren.

Einige Tage später war ich Ko-Referent einer Veranstaltung mit dem Titel: "Gewaltlosigkeit in der buddhistischen Spiritualität und in der Lehre Jesu". Im Gespräch nach den Kurzreferaten äußerte der von mir sehr geschätzte Referent Alfred Weil die Überzeugung, dass der christliche Glaube stark von der Angst vor der Strafe Gottes im Gericht geprägt sei, eine Angst, die im buddhistischen Karmaglaube ganz wegfalle. Auch diese Äußerung machte mir bewusst, dass der Kern christlichen Glaubens schnell aus die Blick geraten kann. Mein Glaube an Christus ist das Überwältigtsein von der Liebe Gottes, die sich in Christus offenbart hat. Meine Nachfolge beruht auf am Angestecktsein von der faszinierenden Lehre Jesu.
Angst vor dem Gericht? Nein, sondern die Hoffnung, dass Gott als Garant des Tun-Ergehen-Zusammenhangs den Opfern der Weltgeschichte, dir und mir, Recht schaffen wird; die Täter, du und ich, sollen schon jetzt zur Erkenntnis kommen, dass Gott selbst die Folgen des Unrechts am Kreuz auf sich genommen hat, und darüber ins Staunen geraten, wie groß die Liebe Gottes ist. Lesetipp: Römer 5,1-11, ach, eigentlich das ganze Kapitel 5, oder gleich den ganzen Römerbrief, den auch Yuval Lapide so stark findet, dass er von ihm nicht lassen kann.

Freitag, 6. November 2009

Selig sind die Sanftmütigen



Selig/Glücklich (griech. makarios) sind die Sanftmütigen/Freundlichen (griech. praeis), denn sie werden das Land/die Erde besitzen.

Die „Sanftmütigen“ können sich mit ihrer Freundlichkeit in andere Menschen einfühlen und ihnen nahe sein, ohne in den anderen gewaltsam einzudringen. Sie achten die Grenzen der anderen.
Obwohl es ein Tierbild ist, finde ich die Geste der Orang-Utan-Mutter so beispielhaft zärtlich. Zärtlichkeit ist eine Schwestertugend der Sanftmut und Freundlichkeit.

Quelle: http://knutisweekly.com/2009/09/sanftmut-ist-keine-waffe/comment-page-1/

Mittwoch, 4. November 2009

Geistliche Übungen - Beichte

Für Katholiken selbstverständlich, für Protestanten jedoch, sowohl in den Volkskirchen wie auch in den Freikirchen, überwiegend kein wesentlicher Bestandteil der spirituellen Praxis. Luther übte an der katholischen Bußpraxis Kritik, behielt sie aber bei, während die Reformierten (Zwingli, Calvin) sie als nichtbiblisch ablehnten. Luther behielt sie übrigens nicht nur bei, sie war in Krisenzeiten für ihn fast täglich wichtig. Der evangelische Theologe Oswald Bayer (bei ihm habe ich 1988 an der Universität Tübingen die 1. Staatsexamensprüfung abgelegt) hat sogar plausibel gemacht, dass der eigentliche reformatorische Durchbruch Luthers mit der Erkenntnis einherging, dass die Zusage der Sündenvergebung in der Beichte eine echte und vollständig gewisse Zusage Gottes selbst ist, die befreienden Charakter hat (O. Bayer: Promissio. Geschichte der reformatorischen Wende in Luthers Theologie). Erhellend dazu ist ein Auszug aus dem Kleinen Katechismus von Dr. Martin Luther zum Thema Beichte:

"Was ist die Beichte?
Die Beichte begreift zwei Stücke in sich: eins, dass man die Sünden bekenne; das andere, dass man die Absolution oder Vergebung vom Beichtiger (Pfarrer) empfange als von Gott selbst, und ja nicht daran zweifele, sondern fest glaube, die Sünden seien dadurch vergeben vor Gott im Himmel.
Welche Sünden soll man denn Beichten?
Vor Gott soll man aller Sünden sich schuldig geben, auch die wir nicht erkennen, wie wir im Vaterunser tun. Aber vor dem Beichtiger (Pfarrer) sollen wir allein die Sünden bekennen, die wir wissen und fühlen im Herzen."


Ich selbst habe die Beichte bisher nur gegenüber Gott selbst praktiziert, aber nicht vor einem Beichtvater. Diese geistliche Übung ist mir bewusst geworden, weil ich vor kurzem selbst überraschenderweise zu einem Beichtvater wurde und dann ganz im Sinne von Luther die Zusage der Sündenvergebung ausgesprochen habe.
Die biblischen Bezugstexte für die Beichte vor Gott sind an erster Stelle die sogenannten Bußpsalmen Psalm 6, 32, 38, 51, 130 und 143, unter denen besonders Psalm 51 hervorragt.
Ein wichtiger biblischer Bezugstext für die Beichte vor einem anderen Gläubigen ist Jakobus 5,16: "Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, damit ihr gesund werdet."
Beichte im Sinne des Evangeliums ist keine Leistung, auch keine Selbsterniedrigung, sondern eine ehrliche, authentische Auseinandersetzung mit den zerstörerischen Anteilen des eigenen Seelenlebens (die das Verhalten negativ prägen und einem selbst und anderen Schaden zufügen).

Dienstag, 3. November 2009

Gott in der Bergpredigt

Gott ist ganz überwiegend der „Vater“, meistens der „Vater, der in den Himmels ist (wohnt)“, aber auch ein Vater, der „im Verborgenen ist“. Ich habe eine Liste aller Texte in der Bergpredigt zusammengestellt, die diesen Befund eindrücklich dokumentieren. Die Aussagen geben Aufschluss über wesentliche Charakterzüge Gottes als Vater.

5,16: „So soll euer Licht leuchten vor den Menschen, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater, der in den Himmeln ist, verherrlichen.
5, 44-45: „Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde, und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters seid, der in den Himmeln ist! Denn er lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute und lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.
5,48: Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.
6,1: Habt acht auf eure Gerechtigkeit, dass ihr sie nicht vor den Menschen übt, um von ihnen gesehen zu werden! Sonst habt ihr keinen Lohn bei eurem Vater, der in den Himmeln ist.
6,6: Wenn du aber betest, so geh in deine Kammer, und wenn du deine Tür geschlossen hast, bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist! Und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird dir vergelten.
6,8: Denn euer Vater weiß, was ihr benötigt, ehe ihr ihn bittet
6,9: Unser Vater, der du bist in den Himmeln, geheiligt werde dein Name;
6,14-15: Denn wenn ihr den Menschen ihre Vergehungen vergebt, so wird euer himmlischer Vater auch euch vergeben; wenn ihr aber den Menschen nicht vergebt, so wird euer Vater eure Vergehungen auch nicht vergeben.
6,17-18: Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht, damit du nicht den Men-schen als ein Fastender erscheinst, sondern deinem Vater, der im Verborgenen ist! Und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird dir vergelten.
6,26: Seht hin auf die Vögel des Himmels, dass sie weder säen noch ernten noch in Scheunen sammeln, und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.
6,31-32: So seid nun nicht besorgt, indem ihr sagt: Was sollen wir essen? Oder: Was sollen wir trinken? Oder: Was sollen wir anziehen? Denn nach diesem allen trachten die Nationen; denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr dies alles benötigt
7,11: Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben wisst, wie viel mehr wird euer Vater, der in den Himmeln ist, Gutes geben denen, die ihn bitten!
7,21: Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr, Herr!, wird in das Reich der Himmel hineinkommen, sondern wer den Willen meines Vaters tut, der in den Himmeln ist.

Als Vater sorgt Gott für alle Menschen, Tiere und Pflanzen. Die Schüler Jesu erkennen Gott durch ihn ("mein Vater") als ihren Vater ("euer Vater", "dein Vater"); sie rufen ihn als Vater an ("Unser Vater") und befinden sich somit in einem ganz familiär-intimen Verhältnis zu ihm, der sich um sie, aber auch um alle anderen in seiner vorsorgenden Allwissenheit kümmert, ja alle seine Geschöpfe liebt und versorgt. Gott ist im Himmel, aber gleichzeitig auch im „Verborgenen“, er ist also in der Welt anwesend, dort aber nicht in der Öffentlichkeit, auch nicht im Tempel, sondern an Orten, die Menschen alleine aufsuchen (die eigene Kammer) und im Inneren der Menschen. Dieser Vater lehnt das Posing (Sich-in-Szene-Setzen, Sich-zur-Schau-stellen-Wollen, Imponiergehabe) und Rechthaberei ab.

Montag, 2. November 2009

Kohelet als Philosoph

Noch ein Nachtrag zum Buch Kohelet, zu dem ich in den letzten Wochen eine Reihe von Texten gepostet habe. Ein regelmäßiger Leser des Blogs (Christian Wannenmacher) hat mich auf einen lesenswerten Artikel aufmerksam gemacht, der die auch von mir herausgestellte philosophische Dimension des Buches Kohelet (Prediger Salomo) betont und den Text als "Klassiker" jüdischer Philosophie bezeichnet. Hier ein Zitat:

"Sollte sich herausstellen, dass Kohelet »auch unter den Philosophen ist«, wie Saul unter den Propheten, sollte sich ergeben, dass das Buch Kohelet nicht nur zum biblischen Kanon, sondern zum Kanon der klassischen jüdischen Philosophie gehört, dann würde sich vom philosophischen Standpunkt die Frage erheben, welche Reflexionsressourcen in ihm verborgen liegen und wir müßten das Buch in der gleichen Weise abhandeln wie irgend einen Klassiker der Philosophie, nämlich als das Werk eines nach wie vor ernstzunehmenden Denkers. So wurde es zumeist in der Geschichte der jüdischen Philosophie rezipiert. Salomon galt schon im Altertum als eine Art Philosophenkönig und jüdische Philosophen fühlten sich durch seine »heiligen Schriften« immer angesprochen. Insbesondere das Buch Kohelet kam mit seinen allgemeinen Aussagen einem philosophischen Traktat am nächsten. Zugleich war es wegen seiner Skepsis hinsichtlich Unsterblichkeit und der Vergeltung für die jüdischen Philosophen, wie zuvor schon für die Rabbinen, ein dauernder Anstoß.
Ehe wir auf die Frage antworten können: »Ist auch Kohelet unter den Philosophen?« müssen wir deshalb grundsätzlich feststellen, was ein philosophischer Text sei. Uns drängen sich sieben Kriterien auf:
1. Die Philosophie fragt von Anfang an nach dem Ganzen des Seins und dem Nichts (Totalität)
2. und zwar vom fragenden Ich aus, das zugleich seinen Ort und das Ziel seines Daseins im Ganzen des Seins sucht (Subjektivität).
3. Dabei wird der Erkennende zugleich auf die Selbsterkenntnis und die Möglichkeiten und Grenzen der Erkenntnis zurückgeworfen (Reflexivität)
4. und stellt alle herkömmlichen Sinngebungen in Frage (Kritik)
5. Hierbei befreit es sich aus den beschränkten sozialen, nationalen und religiösen Grenzen (Universalität),
6. anerkennt aber zugleich auch die unhinterfragbaren Gegebenheiten des Bewußtseins und Seins (Positivität).
7. Die Philosophie entwickelt diese Gedanken in zusammenhängender Weise, auch wenn sie in sentenziöser oder aphoristischer Form daherkommt (System).
Von diesen Kriterien erfüllt das Buch Kohelet die sechs ersten beinahe in Reihenfolge und das siebte nach wohlwollender Prüfung."

aus: D. Krochmalnik, "Ist auch Kohelet unter den Philosophen?", in: Daniel Krochmalnik/Magdalena Schultz (Hrsg.), Ma-Tow Chelkenu. Wie gut ist unser Anteil. Gedenkschrift für Jehuda Radday, Heidelberg 2004, S. 87-104.

Sonntag, 1. November 2009

Gottesnähe in der Taufe

Andere Menschen auf ihrem Weg des Glaubens zu begleiten, ist auch für mich selbst eine wesentliche spirituelle Erfahrung. Besonders intensiv wird es, wenn jemand sich ganz eng mit Gott in Christus verbinden will - in der Taufe. Hier erhält die Begleitung zur Taufe hin einen konzentriert-ernsten, aber auch fröhlichen Charakter. Im Vordergrund steht die Freude am Glauben, am Entdecken dessen, was das Leben wesentlich macht.
Taufe umfasst für mich vier Dimensionen des Glaubens
1. Sündenvergebung, Versöhnung.
2. Neues Leben in Christus - Neuanfang, ewiges Leben, das jetzt beginnt.
3. Leben in Christus für Gott: Heiligung als Lebensführung, die sich allen Aspekten der Agape-Liebe öffnet.
4. Berufung: Berufung zu einer Aufgabe, für die man der rechte Mann oder die rechte Frau ist.
Gestern durfte ich Daniel taufen, der mich im August besucht hat - es war ein Wiedersehen nach längerer Zeit, denn wir hatten uns schon vor 2 Jahren öfters getroffen und über das Leben und den Glauben gesprochen. Diesmal sagte er: Ich möchte mich gerne taufen lassen. Dieser Wunsch hat mich sehr bewegt, denn es ist immer ein heiliger Moment, wenn jemand sich ganz eng mit Christus verbinden lassen will und in diesem Symbol (Zeichen, Sakrament) dann die Nähe Gottes auch leiblich spürt.






Daniel hat vor der Taufe Folgendes gesagt:
"In den letzten Jahren habe ich viel nachgedacht über alles Mögliche und versucht, den Sinn zu erkennen der Dinge. Ich habe Vieles hinterfragt und war auch oft erfüllt von Zweifel. Ich bin an einem Punkt angekommen, an dem ich sagen möchte: Mit der Gewissheit nicht alles unter Kontrolle haben zu können, keinen Einfluss auf alles zu haben, sowie die Unvermeidbarkeit Abschied nehmen zu müssen von Menschen, die wir lieben, und zuletzt die Gewissheit, dass unsere irdische Zeit beschränkt ist, möchte ich mein Leben jemandem anvertrauen, der auf alles eine Antwort hat. Diese Erkenntnis hat mich in meiner Entscheidung gefestigt. Ich möchte mein Leben Jesus anvertrauen, der alle Menschen retten kann, uns Hoffnung schenkt und uns den richtigen Weg weist, wenn wir es zulassen. Er kennt alle meine Sorgen und kann sie mir nehmen. Liebe kann keine Laune der Natur oder Evolution sein, ebenfalls nicht die Schönheit und Komplettheit der Natur. Hoffnung auf ein neues Leben ohne Sorgen, Trauer und Schmerz ist besser, als an nichts zu glauben. Diese Hoffnung wünsche ich allen Menschen, die vielleicht noch Zweifel haben."