Dienstag, 23. März 2010

Mutterliebe

Meine Mutter erzählt in ihren Kindererinnerungen vom Leben als Flüchtlinge im Rheinland. Besonders berührt mich, wie sie und ihre beiden Schwestern ihrer Mutter, meiner Großmutter, Geburtstagsgeschenke organisierten.

Wir fanden oft Blumen, im zeitigen Frühjahr "Hänsel und Gretel", eine Pflanze, die blaue und rote Blüten trägt. Dann Veilchen, Buschwindröschen, danach die gelben Himmelschlüssel, später Maiglöckchen. Es gab so viel Maiglöckchen, daß wir sie am Sonntagvormittag in Körben sammelten und daraus hübsche kleine Sträußchen machten, außen herum die grünen Blätter, dicht an dicht und in der Mitte die weißen Maiglöckchen. Wir waren immer sehr stolz, daß sie so schön gebunden waren und auch genug grüne Blättchen außen herum hatten. Diese Sträußchen verkauften wir dann am Nachmittag an Gäste im Hotel Margarethenkreuz, und wenn Leute in Bussen oder PKws auf den großen Parkplatz kamen, um in das Siebengebirge zu wandern, warteten wir, bis sie zurückkamen und boten ihnen dann bei der Abfahrt unsere Sträußchen an. Meine Schwester Sigrid erinnert sich daran, daß wir auch viele Maiglöckchen den Amerikanern verkauften, die das schöne Siebengebirge kennenlernen wollten.
In einem Jahr haben wir alles Geld, das wir dadurch einnahmen, für Muttis Geburtstag gespart. Sie hat ja zur Maiglöckchenzeit Geburtstag am 19. Mai. Wir bekamen 57 Mark zusammen. Und wir wußten auch, was wir davon kaufen würden. Ich staune heute nur, daß wir drei kleinen Mädchen das alles allein entschieden und auch besorgt haben. Wir haben als erstes einen neuen Brotkasten gekauft, das war am nötigsten, denn der alte aus Blech war schon an manchen Stellen rostig und hatte vor allem jede Farbe verloren. Dann kauften wir einen sehr hübschen Milchkrug, weil beim alten die Schnauze abgeschlagen war und auch sonst noch abgeschlagene Stellen waren. Ich kann den neuen Krug heute noch innerlich vor mir sehen, er war sehr hell (cremefarbig bis weiß) und hatte schöne glänzende blaue Punkte. Und als drittes kauften wir eine neue Tischdecke für den Küchentisch. Es gab ja früher die Tischdecken aus schwerem Wachstuch, die für damalige Verhältnisse sehr teuer waren. So ein gutes Stück hatten wir nun schon mehrere Jahre, und wenn man sich klarmacht, daß an diesem Küchentisch fast das ganze Leben ablief, die Mahlzeiten, Essen zubereiten, Handarbeiten, Hausaufgaben, Basteln, Briefe schreiben u. a. dann ist leicht vorzustellen, wieviel Risse und Schnitte so eine Decke haben kann. Eine neue mußte her, besonders weil wir bald Besuch erwarteten. Unsere Cousine Ursel, Krankenschwester in Düsseldorf, wollte kommen. Und wir wußten, wie sensibel unsere Mutti war, wenn nicht alles tipp-topp war. Aber sie hätte kein Geld gehabt, diese drei neuen Dinge kaufen zu können. So stellten wir uns schon vorher tagelang ihre Freude vor, wenn wir ihr die Geschenke überreichen.
Ursel sollte kurz vor Muttis Geburtstag kommen. Am Vorabend ihres Kommens kam es zu einer kleinen Szene, die mir nach 60 Jahren ganz lebendig vor Augen steht. Es war kurz vor dem Abendbrot. Unsere Mutti nimmt das Brot aus dem Brotkasten und stellt plötzlich erschrocken fest: "Der Brotkasten ist ja ganz verrostet. Wenn das die Ursel sieht! Was kann man da nur machen?" Wir drei Mädchen schauten uns an, und es war Übereinstimmung in unseren Augen zu lesen. Wir holten den neuen Brotkasten und übergaben ihn unserer Mutter. Und so ging es weiter. Sie wußte ja nichts von den anderen Geschenken, aber genauso wie beim Brotkasten stellte sie beim Milchkrug erschrocken fest, daß er nicht mehr zu gebrauchen sei.
Wir trugen den neuen Krug herbei. Nun saßen wir um den Tisch herum, und wieder kam so ein Schreckensruf (das konnte sie gut). Diesmal über die Tischdecke. "Daß mir das erst jetzt so richtig auffällt. Die Decke ist ja völlig hin!" Und wir holten die neue Decke. Das war eine Freude und ein Jubel, bei uns Kindern genauso wie bei unserer Mutti. "Daß Ihr gerade die drei Dinge geschenkt habt! Was wir am allermeisten brauchten!" Unsere Mutti konnte sich vor Staunen kaum beruhigen. Und die Freude hielt tagelang an.

2 Kommentare:

  1. Als ich die Geschichte las, hörte ich Renate.
    Grüße sie herzlich von mir. Eva

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  2. Das mache ich! Sie wohnt seit letzter Woche wieder ganz in der Nähe!

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