Wenn wir heute von Liebe sprechen, haben wir zunächst Intimität und emotional intensive Beziehungen im Blick. Diese Vorstellung verstellt uns aber eine Verständnis dessen, was Liebe im neutestamentlichen Sinne meint.
Paulus schrieb den Hymnus der Liebe in 1.Kor 13 in eine Situation hinein, in der die Gemeinde Korinth von Status- und Anerkennungskämpfen absorbiert war: Wer hat den höchsten Rang, das höchste Ansehen: Paulus, oder diejenigen, die in Zungen reden, die Wundertäter, die Lehrer der Gemeinde? Der Möglichkeitsgrund, so zu fragen, war ein Denken in Hierarchien, in Über- und Abwertungen.
Das Konzept Liebe unterläuft nun dieses Denken. Liebe ist die Durchsetzung wechselseitiger vollständiger Anerkennung. Sie setzt an die Stelle asymmetrischer, hierarchischer Verhältnisse untereinander ein symmetrisches Verhältnis. Jeder hat eine einzigartige Würde. Jeder ist in seiner Eigentümlichkeit, Eigensinnigkeit, Andersartigkeit, Seltsamkeit, Begabung, Könnerschaft vollständig anerkannt.
Diese Liebe hat Gott in Jesus Christus gelebt. Gott anerkennt uns, und das eben nicht "von oben her", sondern von Angesicht zu Angesicht, als Bruder, als Freund. Gott nimmt uns im Glauben in seine Liebesgemeinschaft, in die Trinität hinein, die ein Symbol für absolute gegenseitige Anerkennung ist (Vater, Sohn, Heiliger Geist). In dieser Anerkennung werde ich frei und voller Frieden. In die Freiheit gestellt, bin ich in der Lage, wechselseitig-symmetrische Anerkennungsverhältnisse einzugehen, d.h. zu lieben und geliebt zu werden, und zu leiden, wenn meine Anerkennung nicht auf Gegenanerkennung stößt. Aber diese Liebe lässt sich nicht enttäuschen: Sie hofft alles, sie duldet alles. Sie weiß, sie hat den längeren Atem. Denn diese Liebe ist das Fundament aller Wirklichkeit.
Angeregt durch: Falk Wagner, Selbstdarstellung, in: Henning, Christian/Lehmkühler, Karsten (Hrsg.), Systematische Theologie der Gegenwart in Selbstdarstellungen, Tübingen 1998, S. 276-299.
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