Mittwoch, 27. März 2013

Christliche Freiheit Teil 7 - das Modell der freikirchlichen Gemeinde


Im 12. und 13. Jahrhundert entwickelte sich in Europa eine faszinierende kulturelle Dynamik. Städte entstanden, die ersten Hochschulen wurden gegründet, der interkulturelle Austausch und damit auch der Handel intensivierte sich, neue Erfindungen, zumal in der Landwirtschaft, setzten sich durch. Gab es bis etwa 1150 fast nur Bauern (ca. 95 % der Bevölkerung), die auf dem Lande lebten, grundbesitzende Adelige, von denen die Bauern abhängig waren und die Geistlichen, die überwiegend in Klöstern lebten, so wachsen jetzt immer mehr Städte heran, in denen ein neuer Menschentypus entsteht, der „Stadtbürger“. Von der Verweltlichung der Kirche abgestoßen, suchten manche Städter neue Glaubensformen. Franziskus z.B. war der Sohn eines reichen Bürgers, eines Tuchhändlers. Mit seinem Lebensstil absoluter Armut, Jesus als Vorbild, war er ein Provokateur, der aber im Schoß der Kirche bleiben wollte. Woanders entstanden selbstorganisierte Brüdergemeinschaften und „Frauenhäuser“ (Beginen). Petrus Waldes war ein reicher Kaufmann aus Lyon, der eine Generation vor Franziskus ab 1176 die apostolische Armut in der Nachfolge Christi predigte. Die Bibel, in die Volkssprache übersetzt, war ihm und seinen „Brüdern“ die einzige Richtschnur des Handelns. Zunächst geduldet, wurden die Waldenser 1184 exkommuniziert. Sie verstanden sich aufgrund ihrer Armut als wahre Nachfolger der Urchristen und sprachen dem Hochklerus (Papst, Erzbischöfe, Bischöfe) eine besondere Autorität ab. Die trotz Verfolgung missionsfreudigen Waldenser entwickelten sich in Europa zur ersten „freikirchlichen“ Gruppierung, die ein gemeindliches Christentum in genossenschaftlicher, aber nicht klösterlicher Form lebte – unabhängig von staatlicher oder päpstlicher Aufsicht.

Ein Waldenser unterstützte im 15. Jahrhundert die „Böhmisch-mährische Brüderunität“ bei ihrer Gemeindeorganisation. Diese „Brüdergemeinschaft“ legte Wert darauf, das christliche Leben ganz an der Bibel auszurichten und von jeglicher weltlichen Gewalt getrennt zu sein. Der Laienpriester wurde von der Gemeinde selbst gewählt, Entscheidungen immer von einem Rat oder einer Synode gefällt. Im 16. Jahrhundert schlossen sich beide Bewegungen der Reformation an. Die Brüdergemeinschaft blieb gegen den Trend der Zeit freie Gemeindekirche, bis sie bei der gewaltsamen Rekatholisierung Böhmens und Mährens während des Dreißigjährigen Krieges fast beseitigt wurde. Im polnischen Exil konnte der außergewöhnliche Pädagoge Comenius wirken, der sich für einen europäischen Frieden einsetzte. Die Brüdergemeinde wurde durch Graf Zinzendorf (1700–1760) erneuert. Die „Herrenhuter“ waren ein quicklebendige, von „Jesusliebe“ geprägte Gemeinde, in der christliches Gemeinschaftsleben freiwillig, also ohne Zwang, gelebt wurde und Frauen als gleichwertige Mitglieder im Gemeindeleben anerkannt waren. Auch diese Freikirche gab sich eine kollegiale Gemeindeordnung (Rat, Synode), die der Geschwisterliebe entsprechen sollte

Zu den frühen Freikirchen gehörten auch die „Täufer“ (später „Baptisten“), die Luthers Ruf zurück zur Heiligen Schrift besonders ernst nahmen und daher die Kindertaufe – anders als Luther selbst – ablehnten. Sie konnten sich Gemeinde nur als freiwilligen Zusammenschluss all derjenigen vorstellen, die sich bewusst dem Evangelium zugewendet haben: „Christus selber sagt, dass man vorher glauben solle, ehe man die Taufe empfange, oder man handelt gegen seine Worte, Lehre und Einsetzung; und das ist eine greuliche Abgötterei, nicht gehorsam gegenüber den Worten des Herrn zu sein.“[1] Die Orientierung allein an der Schrift ist deutlich herauszuhören.

Die „Reformierten“ (Zwingli, Calvin) entwickelten eine  presbyterial-synodale Kirchenordnung, die sich deutlich vom lutherischen „landesherrlichen Kirchenregiment“ unterschied. Calvin legte Wert darauf, dass die Kirche sich selbst organisiert. Sie soll ihre Ältesten (Presbyter) selbst wählen und alle wichtigen Fragen nicht durch einen Einzelnen, sondern durch Gremien (Synoden) entscheiden lassen. So wurde der Mitbestimmungsgedanke der modernen Demokratien nicht unerheblich in den calvinistischen Gemeinden vorbereitet.

Besonders in England und in den englischen Kolonien in Nordamerika wirkte die calvinistische Kirchenorganisation weiter. Viele in Europa verfolgte Christen, Protestanten und Katholiken fanden in Amerika eine neue Heimat. Sie hielten an ihren Konfessionen fest, aber nach recht kurzer Zeit setzte sich bei fast allen Siedlern die Idee der Toleranz durch: Roger Williams schrieb 1647: Als Konstantin die Grenzen seiner eige­nen Gebote und der Gebote Gottes durchbrach und das Schwert der zivilen Macht zog, um die Gewissen anderer zum Vorteil der Christen zu unterdrücken, begann das große Mysterium des Schlafes der Kir­che: die Gärten der Kirchen wurden zur Wüste der nationalen Religion, und die Welt wurde zur antichristlichen Christenheit. ... Gott will nicht, dass im bürgerlichen Staate ein einheitlicher Glaube zum Gesetz erhoben und erzwungen wird. Solche erzwungene Einheit wird früher oder später zu Bürgerkrieg und Gewissensknechtung führen ... Es ist Gottes Wille und Gebot, dass alle Menschen in allen Nationen und Ländern das Recht haben, den heidnischsten, jüdischsten, türkischsten oder antichristlichsten Glauben zu bekennen und den entsprechenden Gottesdienst zu halten. Echte bürgerliche Gemeinschaft und christlicher Glaube können beide zusammen in einem Staate gedeihen, auch wenn man andere oder konträre Auffassungen duldet, mögen sie nun jüdisch oder heidnisch sein.[2] Bis auf die Katholiken wählten alle Kirchen in Nordamerika (die sich gegenseitig als „Denominationen“ anerkannten) kollegiale Gemeindeordnungen mit starken Mitbestimmungselementen. Diese kirchliche Praxis wirkte dann auch auf die politische Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) ein: die repräsentative Demokratie. Die freie Religionsausübung und gegenseitige Toleranz wurde in den Bill of Rights (1776) geregelt: „Religion oder die Pflicht, die wir unserem Schöpfer schulden, und die Art, wie wir ihr nachkommen, kann lediglich durch Vernunft oder Überzeugung geleitet werden, nicht durch Zwang oder Gewalt, und deshalb haben alle Menschen gleichen Anspruch auf freie Ausübung der Religion gemäß den Geboten des Gewissens; es ist eine gegenseitige Pflicht aller, christliche Geduld, Liebe und Güte im Verkehr untereinander zu üben.[3] In der Verfassung (1787) wird festgelegt, dass die Übernahme von politischen Ämtern nicht von irgendeiner Religionszugehörigkeit abhängig gemacht werden darf – Religion wird zur Privatsache erklärt. Kirchensteuern werden nicht erhoben. Diese Denominationen werden vielmehr von freiwilligen Spenden ihrer Mitglieder finanziert. Der Staat mischt sich in die inneren Angelegenheiten der Freikirchen nicht ein – solange sie nicht den Staat selbst bekämpfen.

Im Laufe des 19. und 20. Jahrhundert haben die freikirchlich organisierten Religionsgemeinschaften in allen westlichen Demokratien die rechtliche Anerkennung erhalten. In Deutschland konnten sich die Freikirchen seit der Reichsgründung 1871 entfalten. Sie wurden als Minderheiten von den Volkskirchen oft als „Sektierer“ beurteilt, aber ihr Rechtsstatus war ungefährdet. Deutsche Freikirchen waren von nationalistischen Tendenzen leider nicht frei. Im Dritten Reich passten sie sich dann oft über das nötige Maß hinaus ängstlich an, um nicht verboten zu werden. Die Aufarbeitung des Verhaltens während des Dritten Reiches steht in manchen Freikirchen noch in den Anfängen, weil ein Problembewusstsein nur ansatzweise vorliegt.[4] Freikirchen müssen lernen, dass das Recht, vom Staat unabhängig zu sein, auch die Pflicht einschließt, nicht nur in bejahender, sondern auch in kritischer Weise die politischen Entwicklungen in dem Staat zu begleiten, in dem sie leben. Dann können sie ihre eigentliche Stärke, eine mittelgroße Lebens-, Lern- und Sinngemeinschaft zwischen Individuum einerseits und Großinstitutionen wie dem Nationalstaat andererseits zu sein, voll ausspielen. Freikirchen als freiwillige Gesinnungsgemeinschaften können heutigen Menschen ein stützendes und förderndes soziales Netzwerk bereitstellen, das sie zu Sinnvertrauen in einer pluralisierten Gesellschaft ermutigt.[5]

„Freiheit“ entsteht dort, wo das Evangelium in seinem eigentlichen Wesen verkündigt wird. Die Gemeinde wird dann eine Gemeinschaft von freien Menschen, herausgerufen aus der Unmündigkeit und Abhängigkeit von belastenden Bindungen. Man atmet auf in einer Gemeinde, die sich vom Geist der „Freiheit“ durchwehen lässt, die in Christus besteht. Die Gemeinde sollte eine freie Vereinigung von Menschen sein, die mit dem Gott verbunden sind, der selbst in sich eine Liebesgemeinschaft bildet (die Trinität von Vater, Sohn und Heiligem Geist). Aufgrund der „Freiheit“ sind vielfältige, vom Geist des „allgemeinen Priestertums“ geprägte Aktivitäten in der Gemeinde möglich: unterschiedliche Lebensformen, mannigfaltige soziale und kulturelle Aktivitäten, vielfältige Gottesdienste, die unterschiedliche Bedürfnisse ansprechen. Zur „Freiheit“ gehört auch die Freiheit von staatlicher Bevormundung. Die freie Gemeinde wird vom Staat nicht bevormundet, sie bevormundet aber auch nicht den Staat. Allerdings sind ihre Mitglieder frei zum Engagement für andere, zum Aufbau tragfähiger Bindungen nicht nur im privaten und religiösen, sondern auch im gesellschaftlichen Bereich (Recht, Wissenschaft, Politik, Medien…). Denn je größer die innere Freiheit, desto größer ist auch der Wunsch, die menschliche Gesellschaft und  Kultur gestalten und sich auf ihre Probleme und Herausforderungen einzulassen.



[1] Text (leicht umgestellt) in: Heiko A. Obermann, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Band III, Die Kirche im Zeitalter der Reformation, 2. Auflage 1985, S. 124.
[2] Texte in: Walter Eberhardt, Aufklärung und Pietismus 1648–1800, Hamburg 1978, S. 413f.
[3] Text in: Hans-Walter Krumwiede u.a., Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen, Band IV/2, Neuzeit, 1. Auflage 1980, S. 154
[4] Von den Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland und Österreich liegt seit 2005 ein sehr offenes und klares Schuldbekenntnis zum Versagen im 3. Reich vor.
[5] Peter Berger und Thomas Luckmann nennen in ihrem Buch „Modernität, Pluralismus und Sinnkrise“ solche mittelgroßen Solidaritätsräume und Netzwerke „intermediäre Institutionen“ (S. 59). Dazu gehören neben Kirchengemeinden auch Vereine, Bürgerinitiativen, örtliche politische Parteiorganisationen u.a.

Samstag, 23. März 2013

Die Mitte finden - Glaube, Gnade, Evangelium

Der Alltag bringt in Beruf und Privatleben immer wieder Konflikte mit sich, die belastend sind und in denen man sich wie gefangen fühlt. Gespräche und Klärungen helfen natürlich, Lösungen zu finden und die gemeinsame Sache weiter aber auch nun anders verstanden verändert anzugehen.
Für mich ist darüber hinaus das Finden meiner geistlichen Mitte hilfreich und entlastend. Folgendes Zitat des Theologen Ingolf Dalferth spricht mich an:
"Glaube ist das alles bestimmende Konkretwerden des Evangeliums in einem menschlichen Leben. Dieses Konkretwerden vollzieht sich als die effektive Um- und Neuorientierung des Lebens, indem es durch Gottes wirksame Gegenwart auf Gott und seinen Gegenwart hin geöffnet, in ihr verankert und für so sensibilisiert wird, das es seine Verhältnisse zu anderen, zur Um- und Mitwelt und zu sich selbst nicht mehr unter Absehung von ihr vollziehen und gestalten kann und will. Mit Evangelium ist daher die Kraft der Veränderung eines Lebens durch Gottes Gegenwart gemeint, durch die ein Leben neu, offen für Gott und für die Nächsten, eben: zum Glaubensleben wird."
(Malum, 2008, S. 335).
Vergebungsbereit macht mich auch folgendes Zitat:
"Ist Gott aber überhaupt gnädig, und von dieser Erfahrung der unverdienten Überfülle lebt die Wirklichkeit des Glaubens, dann ist Gott immer gnädig (denn seine Gnade gründet ja allein in seinem eigenen gütigen Verhalten zum Menschen und nicht in irgendeiner Güte dessen, zu dem er sich gnädig verhält), und verhält sich Gott einem Menschen gegenüber so, dann tut er das auch jedem anderen gegenüber. Deshalb sind nach Einsicht des christlichen Glaubens nicht nur die Glaubenden, sondern alle Menschen dazu bestimmt und ausersehen, im Glauben zu leben. Denn Glauben heißt nichts anderes, als aus der Überfülle von Gottes Gnade zu leben, also durch das bestimmt zu werden, was Gott in einem Leben Gutes wirkt." (Malum, 2008, S. 332).

Sonntag, 17. März 2013

Christliche Freiheit Teil 6 - Kirche und Politik


Die frühchristlichen Hausgemeinden waren Religion praktizierende Gruppen, die sich allein aufgrund von religiöser Erfahrung und Kommunikation (durch das Bekenntnis zu Jesus Christus als Herrn) bildeten, ohne Einbindung/Einbettung in vorgängige Strukturen oder Anlehnungskontexte[1] wie ethnische Herkunft, Standesherkunft oder Staat (res publica). Die „Gemeinde“ (ekklesia) wurde universal auf den „Herrn“ (kyrios) Jesus Christus hin konzipiert, ließ sich also nicht auf irgendwelche partikularen Strukturen begrenzen (auch nicht auf die Idee einer „alternativen“, „idealen“ Stadt). Sie bildete als Gesamtheit eine überregionale, „global“ orientierte Subkultur in der römisch-hellenistischen Gesellschaft. Religion wird im frühen Christentum zu einer sich selbst erhaltenden autonomen Ordnung, die keines externen Haltes bedarf noch darauf angewiesen sein will.[2] Der Freiheitsbegriff in Galater 5 ist soziologisch beobachtet genau darauf bezogen: Freiheit als Autonomie der Religion, unabhängig von Stützen oder Anlehnungen, deren Bremswirkung nun als Beschränkung, ja Gefahr für die Universalität des Glaubens angesehen werden musste (das ethnisch begrenzte Gesetz des Mose oder kosmisch geprägte polytheistische Riten, vgl. Gal 4,1-11). Dass genau diese Abkopplung eine Provokation für die dominanten Mächte der Epoche war, ist klar. Dies änderte sich dann wieder im 4. Jh., als zunächst Konstantin die Leistungen der christlichen Religion für die Selbsterhaltung des spätantiken römischen Reiches in Anspruch nahm und später dann die an diesen Status gewöhnte Kirche nach Zusammenbruch des weströmischen Reiches die politische Symbolik des Römischen Reiches in die Ausgestaltung der kirchlichen Hierarchie und in das Papstamt einfließen ließ.

Momente der im Urchristentum entdeckten christlichen Freiheit konnten aber im Verlauf der abendländischen Geschichte wieder aktiviert werden; im mittelalterlichen Investiturstreit (Freiheit der Kirche von der Vormundschaft des christlichen Kaisers), in der Reformation (Freiheit der Verkündigung des Evangeliums von der Hierarchie der Kirche), in der freikirchlichen Tendenz der Täuferbewegung (Trennung von Staat und Kirche) und in der Zeit der Aufklärung mit der Entdeckung von Gewaltenteilung und Menschenrechten (Freiheit des Einzelnen von der Vormundschaft durch Herrschaft). Es lässt sich in diesen Vorgängen eine Säkularisierung des urchristlichen Freiheitsimpulses beobachten.

In der durchgeführten Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative, und Judikative, die sich mittlerweile in funktionierenden Demokratien aber auch auf die großen Funktionssysteme der Gesellschaft erstreckt, auf Religion, Wissenschaft, Medien und Kunst, findet ein gegenseitiges Freisetzen und eine gegenseitige Selbstrelativierung statt. Die Freiheit der Politik von der Religion bedeutet, dass die Religion nicht vorgibt, was politisch umzusetzen ist; die Freiheit der Religion von der Politik meint Religionsfreiheit als Freiheit zur Wahl derjenigen Religion, die einen anspricht (keine Staatsreligion). Ebenso ist die Wissenschaft sowohl frei von kirchlichen Dogmen wie auch von politischen Ideologien. Pressefreiheit realisiert sich in der Freiheit von politischer oder religiöser Zensur. Die Mächte halten sich in einem kritischen Miteinander (checks and balances) gegenseitig in Schach und akzeptieren sich nach dem Motto: „Freiheitlich denkt nicht, wer sich vor anderen schützt, sondern andere vor sich.“

Grundlegender noch als die Gewaltenteilung sind die Menschenrechte und die Menschenwürde in vielen Verfassungen verankert. Der Staat und die anderen Gewalten sind kein Selbstzweck, sondern verteilen Macht so, dass die Rechte des Einzelnen nicht nur geschützt, sondern auch gefördert werden. Die Präambel des Grundgesetzes kennt sogar einen sogenannten „Gottesbezug“. Die Freiheit und Würde, die wir uns untereinander geben wollen, gründet in der Bindung auch des Grundgesetzes an Gott als Letztinstanz: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“ Hier wirkt die Überzeugung nach, dass menschlicher Machtmissbrauch, wie er unter nationalsozialistischer Herrschaft ins perverse Extrem ausgedehnt wurde, nur durch eine letzte Selbstrelativierung des Staates vor Gott verhindert werden kann.

Vom urchristlichen Freiheitsverständnis her ist es richtig, wenn Kirchen und Gemeinden sowohl das politische Modell der Gewaltenteilung wie auch den ethischen Diskurs zu den grundlegenden Menschenrechten  kraftvoll unterstützen, fördern und in Gang halten. Einen wesentlichen Beitrag dazu können auch die freikirchlich organisierten Gemeinden leisten.



[1] Zum Begriff „Anlehnungskontext“ vgl. Niklas Luhmann, Schriften zur Kunst und Literatur, 402.
[2] Vgl. G. Theißen, Die Jesusbewegung. Sozialgeschichte einer Revolution der Werte, Gütersloh 2004,  136: „Mochten die anderen antiken Kulte embedded religions sein, die weitgehend als Funktion von Familie und Staat existierten, so war das Urchristentum (in Verlängerung von Tendenzen im Judentum) eine Religion mit Autonomieanspruch, der in Spannung zu Familie und Staat treten konnte, aber auch im Urchristentum eng ans Haus gebunden blieb: Hausgemeinden waren Keimzellen der neuen Religion. Als Kult ohne Tradition und Volksbindung war es damals ein neues kulturelles Phänomen.“

Donnerstag, 14. März 2013

Lob der Schöpfung durch Franz von Assisi: Laudato si, mi signore - Gelobt seist Du, mein Herr

Das bekannteste Gebet des Franziskus ist ein Lobgesang auf Gott, den Herrn (Jesus Christus ist also mit angeredet), der durch Sonne, Mond und Sterne, Wind und Wetter, Wasser und Feuer, Erde und barmherzige Menschen und schließlich auch den leiblichen (aber nicht den ewigen) Tod als Schöpfer an uns handelt. Das Gebet wird geradezu sinnentstellend "Sonnengesang" genannt; besser ist der alternative Titel "Lob der Schöpfung", der auch in den ältesten Handschriften im Einleitungssatz zum Gebet zu finden ist. Eine genaue Lektüre oder ein Mitbeten zeigt, dass Franziskus in der Tradition der biblischen Psalmen Gott als Schöpfer im Blick hat und von ihm her ein Lob der Schöpfung betet.


Es beginnt das Lob der Schöpfung, das der selige Franziskus
zu Lob und Ehre Gottes dichtete, als er krank bei St. Damianus lag


Höchster, allmächtiger, guter Herr,
dein sind der Lobpreis, die Herrlichkeit und Ehre und jeglicher Segen.
Dir allein, Höchster, gebühren sie,
und kein Mensch ist würdig, dich zu nennen.

Gelobt seist du, mein Herr, mit allen deinen Geschöpfen,
zumal dem Herrn Bruder Sonne;
er ist der Tag, und du spendest uns das Licht durch ihn.
Und schön ist er und strahlend in großem Glanz,
dein Sinnbild, o Höchster.

Gelobt seist du, mein Herr, durch Schwester Mond und die Sterne;
am Himmel hast du sie gebildet, hell leuchtend und kostbar und schön.

Gelobt seist du, mein Herr, durch Bruder Wind und durch Luft
und Wolken und heiteren Himmel und jegliches Wetter, durch das du deinen Geschöpfen den Unterhalt gibst.

Gelobt seist du, mein Herr, durch Schwester Wasser,
gar nützlich ist es und demütig und kostbar und keusch.

Gelobt seist du, mein Herr, durch Bruder Feuer,
durch das du die Nacht erleuchtest;
und schön ist es und liebenswürdig und kraftvoll und stark.

Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, Mutter Erde,
die uns ernähret und lenkt (trägt)
und vielfältige Früchte hervorbringt und bunte Blumen und Kräuter.

Gelobt seist du, mein Herr, durch jene, die verzeihen um deiner Liebe willen
und Krankheit ertragen und Drangsal.
Selig jene, die solches ertragen in Frieden, denn von dir, Höchster, werden sie gekrönt werden.

Gelobt seist du, mein Herr, durch unsere Schwester, den leiblichen Tod;
ihm kann kein lebender Mensch entrinnen.
Wehe jenen, die in schwerer Sünde sterben.
Selig jene, die sich in deinem heiligsten Willen finden,
denn der zweite Tod wird ihnen kein Leid antun.

Lobt und preist meinen Herrn
und sagt ihm Dank und dient ihm mit großer Demut."



Textquelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Sonnengesang_(Franz_von_Assisi)

Mittwoch, 13. März 2013

Papst Franziskus

Jorge Bergoglio ist der erste Papst aus Lateinamerika. Er wurde schon länger "Kardinal der Armen" genannt und nimmt diese Fremdzuschreibung jetzt in seinen Papstnamen auf. Er nennt sich Franziskus nach Franz von Assisi (1181/82 - 3.10.1226). Damit stellt er sich in die Tradition der radikalen wortwörtlich genommenen Jesusnachfolge. Franz von Assisi verlies sein adeliges Vaterhaus und ging mit etwa 25 Jahren auf Distanz zu seinem leiblichen Vater. Er wollte wie Jesus freiwillig in besitzloser Armut leben und den Kranken und Verachteten beistehen. Er zog als Buß- und Wanderprediger durch Mittelitalien, später bis nach Ägypten. Dabei war er papsttreu - das Papsttum stand damals mit Innozenz III. auf dem Höhepunkt seiner politischen Macht. Franziskus erhielt zunächst 1209/10 und dann 1223 die Anerkennung seines Ordens durch den Papst.
Dass sich ein Inhaber des Papstamtes, und damit das religiöse Oberhaupt der Katholiken und der Quasi-Monarch eines Staates, des Vatikanstaates, in die Tradition von Franz von Assisi stellt, kann zunächst nur als Paradoxie wahrgenommen werden.  
     wikipedia (früheste Darstellung noch zu Lebzeiten)

Gute Laune Block

Vor einigen Wochen habe ich den "Gute-Laune-Block" entdeckt, quadratische kleine Karten mit schönen Fotos und Weisheitssprüchen (auf der Mehrzahl der Fotos). Der Magdalenen Verlag hat mittlerweile schon 9 dieser Blöcke herausgegeben.
Einige Sinnsprüche:

"Am kostbarsten sind die kleinen Dinge, die keinen Preis haben." (Luise Rinser)

"Das Füreinander da sein macht uns stark."

"Der Mensch wird am DU zum ICH" (Martin Buber)

"Der hat immer zu geben, dessen Herz voll Liebe ist." (Aurelius Augustinus)

Donnerstag, 7. März 2013

Christliche Freiheit Teil 5 - Hebräerbrief


Menschen können sich ändern. Menschen können sich durch die Erfahrung der Liebe verändern. Der Geist Gottes führt in die Freiheit, neu anfangen zu können, eine belastende Vergangenheit zu verlassen und sich dem Guten zuzuwenden, das in der Frucht des Geistes sichtbar wird (Gal 5,22-23). Die sittliche Lebensführung weiß sich vom „vollkommenen Gesetz der Freiheit“ (Jak 2,12) motiviert, dem Liebesgebot (Jak 2,8), das allen Menschen ungeachtet ihres sozialen Status Anerkennung und Würde verleiht (Jak 2,1-12).

Mögen wir unser Leben im Geist Gottes noch so befreit führen, die Befristung der Lebenszeit und die damit verbundene Furcht vor dem Tod ist eine der grundlegendsten Existenzbedingungen. Der Hebräerbrief nimmt dieses einengende Gefühl der Angst vor dem Tod auf und öffnet die befreiende Perspektive auf das ewige Leben in Verbindung mit Christus: „Weil nun die Kinder von Fleisch und Blut sind, hat auch er's gleichermaßen angenommen, damit er durch seinen Tod die Macht nähme dem, der Gewalt über den Tod hatte, nämlich dem Teufel,[1] und die erlöste, die durch Furcht vor dem Tod im ganzen Leben Knechte sein mussten.“ (2,14-15). Der menschgewordene Gottessohn hat den Tod besiegt und damit auch die Furcht vor dem Tod. Die christliche Freiheit verspricht nicht die Fülle des Lebens in der Gegenwart. Sie verspricht nicht Leidfreiheit, ewige Gesundheit, Stärke, Unverwundbarkeit. In Hoffnung sind Gläubige vielmehr mit einem verbunden, der die Endlichkeit des geschöpflichen Lebens überwunden hat. Die Verheißung ewigen Lebens, die mit seiner Auferstehung und Inthronisation in den Himmel verbürgt ist, befreit den Glaubenden grundlegend von der Angst, die mit der bisherigen Befristung der Lebenszeit verbunden war. Denn die Lebenszeit entgrenzt sich zur Teilhabe am ewigen Leben Gottes. Schon auf Kinder wirkt dieser Zuspruch befreiend. Meine Schwester Stefanie hat im Alter von fünf Jahren gemeint: „Mutti, wenn man gläubig ist, ist man wirklich frei.“ Erstaunte Nachfrage ob dieser tiefgründigen Einsicht: „Wie meinst du das?“ Antwort des gläubigen Kindes: „Weil man keine Angst mehr zu haben braucht.“ Befreiung von einer untergründigen, das Leben tief belastenden Todesangst ist eine nicht zu unterschätzende zentrale Erfahrung, die christliche Seelsorge situationssensibel ermöglichen und unterstützen sollte.

Der Autor des Hebräerbriefes lädt in seinen predigtähnlichen Ausführungen die Leser dazu ein, Jesus als „Anführer“ des Glaubens zu folgen und zwar so, dass man ihm in der Gegenwart geistlich in den Himmel folgt und mit ihm freimütig in das Allerheiligste der himmlischen Welt hineintritt, in den Thronsaal Gottes, und so schon jetzt am unvergänglichen Leben Gottes partizipiert. Die geheimsten Türen sind nicht verschlossen, sondern offen (4,14-16; 6,18-20; 8,1). Die Gläubigen sind eingeladen, frei und zuversichtlich vor Gott zu treten: „Weil wir denn nun, liebe Brüder, durch das Blut Jesu die Freiheit [parrhesia][2] haben zum Eingang in das Heiligtum, den er uns aufgetan hat als neuen und lebendigen Weg durch den Vorhang, das ist: durch das Opfer seines Leibes, und haben einen Hohenpriester über das Haus Gottes, so lasst uns hinzutreten mit wahrhaftigem Herzen in vollkommenem Glauben, besprengt in unsern Herzen und los von dem bösen Gewissen und gewaschen am Leib mit reinem Wasser.“ (Hebr 10,19-22).[3]



[1] Die Freiheit des Bösen zeigt sich darin, dass er zu sich selbst spricht: „Ich tue, was ich will“ und der seine willfährigen Knechte böse Pläne verwirklichen lässt. Der Böse handelt aus dem Geist absoluter Willkür heraus und versklavt unter seine Pläne unmündige und verführte Menschen: Verführung bedeutet immer, sich in Unterwerfung zu begeben. Der Böse hat letztlich Lust an Zerstörung und Tod. Seine Macht ist die Korruption und Destruktion.
[2] Das griechische Wort bezeichnet ein Verhalten, dass frei von Angst und Unterwürfigkeit ist. Freunde zum Besipiel begegnen sich in parrhesia, d.h erhobenen Hauptes, offen, frei, freudig und in tiefer gegenseitiger Anerkennung.
[3] Vgl. dazu auch Epheser 3,13: Die Gläubigen haben durch Christus den „freien Zugang“ (oder: „Freimut und Zugang“).

Dienstag, 5. März 2013

Freu(n)de, Hoffnung, Malzkaffee. Tischgespräche über Gott und die Welt

Ich möchte ein wenig auch hier auf dem Blog die Werbetrommel rühren für ein kleines Buch, das nächste Woche beim Adventverlag erscheint. Alles Nähere dazu könnt ihr im vimeo-Video erfahren, das auf der Verlagsseite eingestellt ist.

Die schönste christliche Musik ever?

Seit Monaten höre ich immer wieder das erste Album von Lazarus aus dem Jahr 1971. 3 Christen machen einen Folkpop, der in meinen Ohren schöner und künsterlisch reifer ist als das, was andere Folk- und Country-Rockbands der damaligen Epoche veröffentlicht haben.
Auf youtube kann man in einige Songs reinhören.
Zum Beispiel in "Eastward".
Oder in "Warmth of your eyes".
Ermutigende, tiefgehende Texte dazu.

Montag, 4. März 2013

Christliche Freiheit Teil 4 - Paulus


Paulus nimmt das Wort “Freiheit” (eleutheria) aus dem griechisch-hellenistischen Zusammenhang auf und gibt ihm im Rahmen seiner Theologie einen neuen Sinn. Das Neue in der christlichen Interpretation liegt vor allem darin, dass Freiheit mit einem geschichtlichen Ereignis in Verbindung gebracht wird: Jesus Christus ist der Ursprung der Freiheit. In seiner Geschichte ist die Freiheit Ereignis geworden. Es ist eine Freiheit, die im völligen Statusverzicht des Mächtigsten begründet liegt (Phil 2,6-11).

Die Zugehörigkeit zu Jesus Christus führt zu einer Perspektive, in der sich Freiheit und Beziehung/Bindung in einem gegenseitigen Steigerungsverhältnis befinden: Je intensiver die Bindung an Gott und Christus und den Geist, desto größer die Öffnungserfahrungen, die sich den Menschen erschließen, sowohl in Bezug auf sich selbst wie auch in Bezug auf den Anderen. Das Evangelium hat eine lösende, befreiende Wirkung, indem es an Christus bindet. So befreit es von gängelnder und angstbesetzter kultischer Religiosität. Es stellt solche Traditionen in Frage. Mehrmals betont Paulus den Freiheitsgewinn, der in dieser Anerkennungserfahrung im Blick auf Christus verankert ist: „Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit. Nun aber schauen wir alle mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn.“ (2 Kor 3,17-18) Der Geist Gottes, die Vernunft Gottes klärt über uns selbst und über Gott, wie er wirklich ist, auf. In dieser geistgewirkten Aufklärung liegt für Paulus ein immenser Freiheitsgewinn, der in einem bis in die Ewigkeit andauernden Prozess den Glaubenden verwandelt: „Wir werden verklärt in sein Bild von einer Herrlichkeit zur andern von dem Herrn, der der Geist ist“ (2 Kor 3,18).

Der über Gott und uns selbst aufklärende Geist schenkt den Gläubigen eine kritische Orientierung, die die Überschreitung von ethnischen und rituellen Grenzsetzungen ermöglicht. In Galater 5 ruft Paulus die Gemeinde zweimal in diese Freiheit hinein: „Für die Freiheit hat Christus uns freigemacht. Steht nun fest und lasst euch nicht wieder durch ein Joch der Sklaverei belasten“ (5,1). – „Ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder!“ (5,13). Paulus verpflichtet hier geradezu die Gemeinde auf eine gewonnene Mündigkeit, die sie nicht wieder verspielen soll. Durch Teilhabe an Jesus Christus gewinnen Menschen Freiheit von sozialen Festschreibungen und Autoritarismus, von gesellschaftlicher Fremdsteuerung oder ethnischen Partikularismen. Mündige, im Glauben erwachsen gewordene Christen leben nach Paulus in der Freiheit, die sich in der Liebe verwirklicht: „Gebraucht nicht die Freiheit als Anlass für das Fleisch [d.h. für die egoistische Triebbefriedigung], sondern dient einander durch die Liebe“ (5,13). Liebe aber ist schon bei Paulus als kreative Fähigkeit zu verstehen, sich in die Situation eines anderen hineinzuversetzen und aus dessen Perspektive her so zu handeln, dass der Andere dies als für ihn Gutes erleben kann. Paulus sieht die Gläubigen zur Mündigkeit der Liebe befreit ohne Gängelung durch bevormundende Vorschriften: „Alles ist erlaubt, aber nicht alles baut auf“ (1 Kor 10,23). Die Liebe baut auf (1 Kor 8,1). Kreisläufe des Hasses können aus dieser Freiheit heraus abgebrochen werden, Kreisläufe der Liebe können in Freiheit aufgebaut werden.

Gott und eine an der Liebe orientierten Freiheit können zusammengedacht werden, sie bilden nicht notwendigerweise Gegensätze. Als wir Babys waren, waren wir noch nicht sehr frei, wir bedurften einer bergenden und fürsorgenden Kultur, Mutter und Vater. Aber gute Eltern wollen unsere Freiheit. Ihre Erziehung ist heute in der Regel davon geprägt, uns in die Freiheit zu entlassen. Freiheit entfaltet sich nicht in der Bindungslosigkeit, sondern in bindungsreichen Milieus, die Freiheit als Wert schätzen. So sollen wir uns auch Gott vorstellen: als liebender Gott, als tragender Grund unseres Daseins will er unsere Freiheit. Denn nur wer frei ist, kann – aus Freiheit heraus – für andere da sein.