Die frühchristlichen Hausgemeinden
waren Religion praktizierende Gruppen, die sich allein aufgrund von religiöser Erfahrung und Kommunikation (durch
das Bekenntnis zu Jesus Christus als Herrn) bildeten, ohne Einbindung/Einbettung in vorgängige Strukturen oder
Anlehnungskontexte[1]
wie ethnische Herkunft, Standesherkunft oder Staat (res publica). Die „Gemeinde“ (ekklesia)
wurde universal auf den „Herrn“ (kyrios) Jesus Christus hin konzipiert,
ließ sich also nicht auf irgendwelche partikularen Strukturen begrenzen (auch
nicht auf die Idee einer „alternativen“, „idealen“ Stadt). Sie bildete als
Gesamtheit eine überregionale, „global“
orientierte Subkultur in der römisch-hellenistischen Gesellschaft. Religion wird im frühen Christentum zu einer
sich selbst erhaltenden autonomen Ordnung, die keines externen Haltes bedarf
noch darauf angewiesen sein will.[2] Der Freiheitsbegriff in Galater 5 ist soziologisch
beobachtet genau darauf bezogen: Freiheit als Autonomie der Religion,
unabhängig von Stützen oder Anlehnungen, deren Bremswirkung nun als
Beschränkung, ja Gefahr für die Universalität des Glaubens angesehen werden
musste (das ethnisch begrenzte Gesetz des Mose oder kosmisch geprägte polytheistische
Riten, vgl. Gal 4,1-11). Dass genau diese Abkopplung eine Provokation für die
dominanten Mächte der Epoche war, ist klar. Dies änderte sich dann wieder im 4.
Jh., als zunächst Konstantin die Leistungen der christlichen Religion für die
Selbsterhaltung des spätantiken römischen Reiches in Anspruch nahm und später
dann die an diesen Status gewöhnte Kirche nach Zusammenbruch des weströmischen
Reiches die politische Symbolik des Römischen Reiches in die Ausgestaltung der
kirchlichen Hierarchie und in das Papstamt einfließen ließ.
Momente der im Urchristentum entdeckten christlichen Freiheit konnten
aber im Verlauf der abendländischen Geschichte wieder aktiviert werden; im
mittelalterlichen Investiturstreit
(Freiheit der Kirche von der Vormundschaft des christlichen Kaisers), in der Reformation (Freiheit der Verkündigung
des Evangeliums von der Hierarchie der Kirche), in der freikirchlichen Tendenz
der Täuferbewegung (Trennung von
Staat und Kirche) und in der Zeit der Aufklärung
mit der Entdeckung von Gewaltenteilung und Menschenrechten (Freiheit des
Einzelnen von der Vormundschaft durch Herrschaft). Es lässt sich in diesen
Vorgängen eine Säkularisierung des urchristlichen Freiheitsimpulses beobachten.
In der durchgeführten Gewaltenteilung
zwischen Exekutive, Legislative, und Judikative, die sich mittlerweile in
funktionierenden Demokratien aber auch auf die großen Funktionssysteme der Gesellschaft
erstreckt, auf Religion, Wissenschaft, Medien und Kunst, findet ein
gegenseitiges Freisetzen und eine gegenseitige Selbstrelativierung statt. Die Freiheit
der Politik von der Religion bedeutet, dass die Religion nicht vorgibt, was politisch
umzusetzen ist; die Freiheit der Religion von der Politik meint Religionsfreiheit
als Freiheit zur Wahl derjenigen Religion, die einen anspricht (keine
Staatsreligion). Ebenso ist die Wissenschaft sowohl frei von kirchlichen Dogmen
wie auch von politischen Ideologien. Pressefreiheit realisiert sich in der
Freiheit von politischer oder religiöser Zensur. Die Mächte halten sich in
einem kritischen Miteinander (checks and balances) gegenseitig in Schach und
akzeptieren sich nach dem Motto: „Freiheitlich denkt nicht, wer sich vor
anderen schützt, sondern andere vor sich.“
Grundlegender noch
als die Gewaltenteilung sind die Menschenrechte und die Menschenwürde in vielen
Verfassungen verankert. Der Staat und die anderen Gewalten sind kein
Selbstzweck, sondern verteilen Macht so, dass die Rechte des Einzelnen nicht
nur geschützt, sondern auch gefördert werden. Die Präambel des Grundgesetzes
kennt sogar einen sogenannten „Gottesbezug“. Die Freiheit und Würde, die wir
uns untereinander geben wollen, gründet in der Bindung auch des Grundgesetzes
an Gott als Letztinstanz: „Im
Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen
beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der
Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden
Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“ Hier wirkt die Überzeugung nach, dass
menschlicher Machtmissbrauch, wie er unter nationalsozialistischer Herrschaft
ins perverse Extrem ausgedehnt wurde, nur durch eine letzte Selbstrelativierung
des Staates vor Gott verhindert werden kann.
Vom urchristlichen Freiheitsverständnis her ist es richtig,
wenn Kirchen und Gemeinden sowohl das politische Modell der Gewaltenteilung wie
auch den ethischen Diskurs zu den grundlegenden Menschenrechten kraftvoll unterstützen, fördern und in Gang
halten. Einen wesentlichen Beitrag dazu können auch die freikirchlich
organisierten Gemeinden leisten.
[1] Zum Begriff
„Anlehnungskontext“ vgl. Niklas Luhmann, Schriften
zur Kunst und Literatur, 402.
[2] Vgl. G. Theißen, Die Jesusbewegung. Sozialgeschichte einer
Revolution der Werte, Gütersloh 2004,
136: „Mochten die anderen antiken Kulte embedded religions sein, die
weitgehend als Funktion von Familie und Staat existierten, so war das Urchristentum
(in Verlängerung von Tendenzen im Judentum) eine Religion mit Autonomieanspruch,
der in Spannung zu Familie und Staat treten konnte, aber auch im Urchristentum
eng ans Haus gebunden blieb: Hausgemeinden waren Keimzellen der neuen Religion.
Als Kult ohne Tradition und Volksbindung war es damals ein neues kulturelles
Phänomen.“
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