Sonntag, 17. März 2013

Christliche Freiheit Teil 6 - Kirche und Politik


Die frühchristlichen Hausgemeinden waren Religion praktizierende Gruppen, die sich allein aufgrund von religiöser Erfahrung und Kommunikation (durch das Bekenntnis zu Jesus Christus als Herrn) bildeten, ohne Einbindung/Einbettung in vorgängige Strukturen oder Anlehnungskontexte[1] wie ethnische Herkunft, Standesherkunft oder Staat (res publica). Die „Gemeinde“ (ekklesia) wurde universal auf den „Herrn“ (kyrios) Jesus Christus hin konzipiert, ließ sich also nicht auf irgendwelche partikularen Strukturen begrenzen (auch nicht auf die Idee einer „alternativen“, „idealen“ Stadt). Sie bildete als Gesamtheit eine überregionale, „global“ orientierte Subkultur in der römisch-hellenistischen Gesellschaft. Religion wird im frühen Christentum zu einer sich selbst erhaltenden autonomen Ordnung, die keines externen Haltes bedarf noch darauf angewiesen sein will.[2] Der Freiheitsbegriff in Galater 5 ist soziologisch beobachtet genau darauf bezogen: Freiheit als Autonomie der Religion, unabhängig von Stützen oder Anlehnungen, deren Bremswirkung nun als Beschränkung, ja Gefahr für die Universalität des Glaubens angesehen werden musste (das ethnisch begrenzte Gesetz des Mose oder kosmisch geprägte polytheistische Riten, vgl. Gal 4,1-11). Dass genau diese Abkopplung eine Provokation für die dominanten Mächte der Epoche war, ist klar. Dies änderte sich dann wieder im 4. Jh., als zunächst Konstantin die Leistungen der christlichen Religion für die Selbsterhaltung des spätantiken römischen Reiches in Anspruch nahm und später dann die an diesen Status gewöhnte Kirche nach Zusammenbruch des weströmischen Reiches die politische Symbolik des Römischen Reiches in die Ausgestaltung der kirchlichen Hierarchie und in das Papstamt einfließen ließ.

Momente der im Urchristentum entdeckten christlichen Freiheit konnten aber im Verlauf der abendländischen Geschichte wieder aktiviert werden; im mittelalterlichen Investiturstreit (Freiheit der Kirche von der Vormundschaft des christlichen Kaisers), in der Reformation (Freiheit der Verkündigung des Evangeliums von der Hierarchie der Kirche), in der freikirchlichen Tendenz der Täuferbewegung (Trennung von Staat und Kirche) und in der Zeit der Aufklärung mit der Entdeckung von Gewaltenteilung und Menschenrechten (Freiheit des Einzelnen von der Vormundschaft durch Herrschaft). Es lässt sich in diesen Vorgängen eine Säkularisierung des urchristlichen Freiheitsimpulses beobachten.

In der durchgeführten Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative, und Judikative, die sich mittlerweile in funktionierenden Demokratien aber auch auf die großen Funktionssysteme der Gesellschaft erstreckt, auf Religion, Wissenschaft, Medien und Kunst, findet ein gegenseitiges Freisetzen und eine gegenseitige Selbstrelativierung statt. Die Freiheit der Politik von der Religion bedeutet, dass die Religion nicht vorgibt, was politisch umzusetzen ist; die Freiheit der Religion von der Politik meint Religionsfreiheit als Freiheit zur Wahl derjenigen Religion, die einen anspricht (keine Staatsreligion). Ebenso ist die Wissenschaft sowohl frei von kirchlichen Dogmen wie auch von politischen Ideologien. Pressefreiheit realisiert sich in der Freiheit von politischer oder religiöser Zensur. Die Mächte halten sich in einem kritischen Miteinander (checks and balances) gegenseitig in Schach und akzeptieren sich nach dem Motto: „Freiheitlich denkt nicht, wer sich vor anderen schützt, sondern andere vor sich.“

Grundlegender noch als die Gewaltenteilung sind die Menschenrechte und die Menschenwürde in vielen Verfassungen verankert. Der Staat und die anderen Gewalten sind kein Selbstzweck, sondern verteilen Macht so, dass die Rechte des Einzelnen nicht nur geschützt, sondern auch gefördert werden. Die Präambel des Grundgesetzes kennt sogar einen sogenannten „Gottesbezug“. Die Freiheit und Würde, die wir uns untereinander geben wollen, gründet in der Bindung auch des Grundgesetzes an Gott als Letztinstanz: „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“ Hier wirkt die Überzeugung nach, dass menschlicher Machtmissbrauch, wie er unter nationalsozialistischer Herrschaft ins perverse Extrem ausgedehnt wurde, nur durch eine letzte Selbstrelativierung des Staates vor Gott verhindert werden kann.

Vom urchristlichen Freiheitsverständnis her ist es richtig, wenn Kirchen und Gemeinden sowohl das politische Modell der Gewaltenteilung wie auch den ethischen Diskurs zu den grundlegenden Menschenrechten  kraftvoll unterstützen, fördern und in Gang halten. Einen wesentlichen Beitrag dazu können auch die freikirchlich organisierten Gemeinden leisten.



[1] Zum Begriff „Anlehnungskontext“ vgl. Niklas Luhmann, Schriften zur Kunst und Literatur, 402.
[2] Vgl. G. Theißen, Die Jesusbewegung. Sozialgeschichte einer Revolution der Werte, Gütersloh 2004,  136: „Mochten die anderen antiken Kulte embedded religions sein, die weitgehend als Funktion von Familie und Staat existierten, so war das Urchristentum (in Verlängerung von Tendenzen im Judentum) eine Religion mit Autonomieanspruch, der in Spannung zu Familie und Staat treten konnte, aber auch im Urchristentum eng ans Haus gebunden blieb: Hausgemeinden waren Keimzellen der neuen Religion. Als Kult ohne Tradition und Volksbindung war es damals ein neues kulturelles Phänomen.“

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