Donnerstag, 24. September 2009

Warum religiös sein? Warum glauben?

Warum religiös sein? Diese Frage bewegt Freunde von mir, auch mich selbst. Hilfreich finde ich folgende Überlegungen von Isolde Karle, Pfarrerin und praktische Theologin, in denen sie Anregungen von Friedrich Schleiermacher und Niklas Luhmann zum Wesen der Religion fruchtbar macht:

„Religion hat keinen rein diesseitigen Charakter, sie verabsolutiert nichts Endliches, nicht die Vernunft und nicht die eigene Individualität, sondern hat es mit dem Unendlichen zu tun, insofern sie das diesseitige Leben und Erleben in seinem Bezug zu Gott interpretiert und versteht. Religion immunisiert deshalb auch gegen alle immanenten Selbstverabsolutierungen und verweist auf die Relativität allen Wissens und aller Erfahrung.“ (310)
Religion eröffnet die „Möglichkeit der Dankbarkeit, das heißt, für das Glück oder religiös gesprochen für die Bewahrung bei einem Unfall, für die Geburt eines Kindes, für alles empfangene Gute und unwahrscheinlich Gelingende im Leben eine angemessene Sprache zu finden….man kann sich mit Hilfe religiöser Sprache und Handlungsvollzüge – im Segen, im Gebet, im Lied – Gottes guten Mächten anvertrauen.“ (311)
„Die Religion macht als Gefühl schlechthinniger Abhängigkeit bewusst, dass wir unser Sein nicht uns selbst verdanken, dass wir nicht in uns selbst be- und gegründet sind, sondern von anderwärts her. Religion bringt mithin zum Ausdruck, dass wir die Bedingungen, unter denen wir leben, nicht selbst hervorgebracht haben und hervorbringen können, dass wir Geschöpfe sind und nicht Schöpfer unserer selbst und unserer Welt. Religion setzt uns als Geschöpfe in ein realistisches Selbst- und Weltverhältnis, das uns die Grenzen unserer Möglichkeiten heilsam aufzeigt und die ganze Welt auf das Woher schlechthinniger Abhängigkeit, auf Gott selbst bezieht.“ (312)
„Gerade bei Erfahrungen des Scheiterns und des Abbruchs entsteht die Sehnsucht, dass mir von anderwärts her gesagt, was ich mir selbst nicht sagen kann. Der Segen markiert diesen Zuspruch ‚von anderwärts‘ in besonders eindrücklicher Weise, weil er die Worte und die körperliche Geste oder Berührung eines anderen Menschen voraussetzt und zugleich deutlich macht, dass allein Gott Subjekt des Segens ist und bleibende und verlässliche Zuwendung verheißt.“
„Es bedarf des Wohnens in einer konkreten Religion, um religiöse Kommunikation verstehen und begreifen zu können und dadurch als Individuum bereichert und gebildet zu werden…Religiöse Bildung ist ohne das Vertraut werden, ohne das sich Einlassen auf konkrete religiöse Kommunikationsformen nicht möglich.“

Zitate aus: Isolde Karle, Die markante Physiognomie der Religion, in: W. Härle u.a. (Hg.)Systematisch Praktisch, Marburg 2005, S. 305-314.

1 Kommentar:

  1. In diesem Sinne finde ich Religiosität sinnvoll. Ich lehne Religiosität ab, wenn die Form und die Rituale verabsolutiert werden. Wenn sie Feindschaft und Trennung zwischen nahen Menschen hervorruft, statt dass man miteinander Formen findet, die Sinn machen, die Gemeinschaft mit unseren Nächsten und mit Gott fördert

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