Die SchülerInnen meines Geschichtsgrundkurses in der 13. Klasse erhielten die Aufgabe, einen selbst ausgewählten Zeitzeugen zur Nachkriegszeit 1945-49 zu interviewen, dieses Interview auschnittsweise zu transkribieren und dann auszuwerten. Viele bewegende Geschichten hörten und dokumentierten sie. Ein Auschnitt ist besonders verstörend in der Mischung von Erlebnissen der Grausamkeit und Fürsorge; die Zeitzeugin (die ich selber persönlich nicht kenne) ist damit einverstanden, dass ich ihn anonym hier publizieren darf, sie war insgesamt von 1944-1946 zwei Jahre auf der Flucht, bis sie 8-jährig in Pfungstadt bei Darmstadt endlich eingeschult wurde.
Frage: An welchen Stationen machten sie auf ihrer Flucht von Neusiwatz (Jugoslawien) nach Mecklenburg in Deutschland halt?
„Von Jugoslawien sind wir als allererstes nach Österreich. (...) Ich kann mich, obwohl ich erst 7 Jahre alt war, noch genau an damals erinnern. Wir durften damals nur das Nötigste mitnehmen, da es nicht viel Platz gab, was als kleines Kind für mich ganz furchtbar war. (...) Ich habe ganz schrecklich geweint, weil ich nicht weg wollte, nicht weg von meinen Freunden und all meinen Sachen, die ich damals besaß. Erst als wir schon weg waren, kamen die Jugoslawen zurück nach Jugoslawien und besetzten das deutsche Dorf, in dem wir lebten, weil sie uns Deutsche raus haben wollten. (...)
Bevor wir das Dorf verließen, gruben wir im Garten ein großes Loch aus und verbuddelten eine Badewanne mit unserem Hab und Gut, um es nach ein paar Jahren wieder zu holen. (...) In dieser Badewanne befand sich feinstes Porzellan, der Schmuck meiner Mutter und viele Ballen von guten Stoffen. (...)
Am Anfang der Flucht war es Sommer und wir saßen alle auf Planwagen. Vor uns wurden die Juden aus Jugoslawien von den deutschen Nationalsozialisten getrieben. Die Juden mussten laufen und wer nicht mehr konnte, dem wurde ein Gewehrkolben über den Kopf gezogen. Wer flüchten wollte, wurde sogar erschossen. (...) Als Kind war das so schlimm für mich, diese toten Juden auf dem Boden liegen zu sehen, das ist unvorstellbar. (...) Ich weiß noch, dass ich mal einen toten Juden im Straßengraben liegen gesehen habe, dem das halbe Gehirn heraushing. (...)
Von Neusiwatz sind wir als allererstes nach Mauthausen in Österreich gekommen. Dort haben wir etwa ein halbes Jahr, oder auch etwas länger, unterhalb eines KZs in einer alten Mühle gewohnt. (...) In dieses KZ wurden alle Juden, die noch am Leben waren, gebracht und ermordet. Meine Cousine, die ein paar Jahre älter war als ich, konnte sich noch daran erinnern, dass die Juden im KZ nachts immer geschrien haben, wenn sie vergast wurden. (...)
Nach ein paar Wochen bekam ich aufgrund des vielen Laufens ganz dicke Beine, sodass meine Mutter mich zu einem Arzt im KZ brachte. Ich weiß noch, dass wir dafür an einem hohen Zaun vorbeimussten und alle Juden sehen konnten, (...) die gestreifte Anzüge trugen und dort nur auf ihren Tod warteten. Diese Menschen waren nur Haut und Knochen. Das sah so furchtbar aus. (...) Meine Mutter sagte damals zu mir, dass ich nicht sprechen und ganz leise sein soll. (...) Von diesem Arzt bekam ich dann Tabletten gegen die Wassereinlagerungen in den Beinen. (...)
Über Weihnachten wohnten wir damals noch in diesem Haus in Mauthausen. Eines Tages machte ich morgens die Türe auf und fand dort einen Teller mit einer Kerze in einem Apfel und vielen Plätzchen auf den Stufen unserer Eingangstür. Das hatte uns alle so gefreut.
(...) Wir wussten jedoch nie, wer uns diesen Teller hingestellt hatte, da wir noch neu und fremd waren, doch dieser Teller machte uns alle so glücklich (...) und lies uns sogar in der Nachkriegszeit noch an die Gutmütigkeit und die Nächstenliebe der Menschen glauben.“
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