Heute Nachmittag stand die letzte Seminarsitzung des Einführungsseminars "Bibelwissenschaftliche Methoden. Einführung in die Exegese des Neuen Testaments" an; ich bereitete das Seminar mit unterschiedlichen Materialien gewissenhaft vor und packte sorgfältig die Tasche. Als ich auf der Fahrt zur Uni Gießen nach etwa 15 min nochmal den Ablauf der Sitzung gedanklich durchging und ich mich nach der Tasche umschaute, die ich immer auf den Rücksitz stelle, ist sie nicht da. Mir wird gleich klar: Du hast sie zu Hause stehen lassen. Den sofortigen Gedanken, nochmal zurückzufahren, konnte ich gleich verwerfen, ich würde zu spät in Gießen ankommen. Was tun? Erster Punkt der Sitzung ist die Wiederholung und Vertiefung des Themas "Entwicklung von den mündlichen Worten Jesu hin zu den Evangelien". Den "Sitz im Leben" der Verkündigung Jesu hatte ich schon letzte Woche anschaulich zu machen versucht. Nun war eine noch bessere Gelegenheit dazu! Jesus hatte als Wanderprediger auch keine Materialien dabei; nur seine Worte und seine Taten! Lehren und Lernen lief über mündliche Rede und zuhören: "Wer Ohren hat, der höre!" Als er die JüngerInnen, die sicherlich viele seiner Worte memoriert hatten, zu zweit aussendete, durften sie fast nichts mitnehmen: "Ihr sollt weder Gold noch Silber noch Kupfer in euren Gürteln haben, auch keine Reisetasche, auch nicht zwei Hemden, keine Schuhe, auch keinen Stecken." (Mt 10,9-10) - "Ihr sollt nichts auf den Weg nehmen, weder Stab noch Tasche noch Brot noch Geld; es soll auch einer nicht zwei Hemden haben." (Lukas 9,3). Auf der Fahrt memorierte ich nochmal die 4 Arbeitsschritte der Sitzung. Die Studierenden warteten schon vor der Türe, als ich gerade noch pünktlich ankam (ich musste einen Stau umfahren). Immerhin, den Schlüssel zum Seminarraum hatte ich eingesteckt. Ich bat sie, vor der Türe noch zu warten. Ich stellte einen Halbkreis für die Gruppe von 12 (!), bat sie dann hinein und auch, ihre Taschen auf einem Tisch zu deponieren, sie bräuchten sie heute nicht. Dann ging es los. Alles aus dem Kopf, alles im gemeinsamen Gespräch. Die Bibeltexte, die wir brauchten, die Seligpreisungen und die Heilung des Bartimäus rekonstruierten wir auch aus dem Gedächtnis. Wie schade ist es doch, dass wir heute so wenig Bibeltexte auswendig können! Gehört es nicht auch zur Praxis der Spiritualität, elementare, wesentliche Texte wie eine eiserne Ration auswendig zu lernen und immer wieder zu üben?
Die Sitzung verging wie im Flug; ich fragte, erzählte und argumentierte ganz aus dem Gedächtnis, die Studierenden ebenso. Die Atmosphäre war absolut konzentriert. Eine besondere Erfahrung!
Dienstag, 14. Juli 2009
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