Im 35. Jahr der Herrschaft des Augustus wurde ein jüdischer Junge in Alexandria geboren. Seine Eltern gaben ihm den Namen Kriton, was Richter, Schiedsrichter, Ausleger oder Beurteiler bedeutete. Obwohl seine Eltern gläubige Juden waren, gaben sie ihm einen griechischen Namen. Denn ihre Vorfahren lebten schon über 200 Jahre in Alexandria, einer riesigen griechischen Stadt am Nildelta, und sie sprachen deshalb nur noch Griechisch. Dort lebten zu Kritons Jugendzeit über 200 000 Jüdinnen und Juden in besonderen Stadtteilen, mehr also als in Jerusalem. Sein Vater war ein reicher Kaufmann, der mit ägyptischen Papyrus handelte und ein Ehrenamt im Synagogenvorstand innehatte. Er war ein Richter, der Streitfälle unter Juden zu entscheiden hatte.
Als Kind schon wünschte sich Kriton, die Tora, das Gesetzbuch des Mose, zu verstehen. Von einem Privatlehrer unterwiesen, lernte er lesen und schreiben, und so konnte er bald die heilige Übersetzung der Tora ins Griechische, die Septuaginta, lesen. Sein Vater ermöglichte ihm außerdem den Besuch bei Schriftgelehrten, die auch das Aramäische und Hebräische beherrschten. Kriton folgte recht schnell ihren Diskussionen und Vorträgen. Er lebte also in zwei, ja in drei Welten, in der Welt der Griechen und Römer, in der Welt der griechisch sprechenden Juden und in der Welt derjenigen Juden, die auch Hebräisch konnten. Sein Urteilsvermögen wurde daher herausgefordert. Zum Torastudium kam die praktische Ausbildung im Geschäft des Vaters. Kriton fing an, ihn auf Geschäftsreisen in die Großstädte des Römischen Reiches zu begleiten, schließlich auch nach Palästina. Dort waren Kritons Sprachkenntnisse von Vorteil.
Mit Anfang 20 erledigte Kriton für seinen Vater die Geschäfte in seinem Heimatland. Die unbeschriebenen Papryusrollen, die er vertrieb, hatten eine hohe Qualität und waren gerade bei Schriftgelehrten sehr geschätzt. Kriton reiste mit dem Schiff nach Joppe und ritt von dort aus nach Jerusalem. Damals stand Judäa unter römischer Oberherrschaft. Ständig begegnete er römischen Soldaten. Pontius Pilatus war der Statthalter, ein brutaler, raffgieriger aber auch intelligenter Politiker. Die Straßen nach Jerusalem wurden kontrolliert, weil immer wieder Zeloten, jüdische Terroristen, Anschläge auf die Soldaten des Pilatus verübten. Als er der Stadt nahe kam, war der riesige Tempelbau des Herodes unübersehbar. Sein Marmor glänzte in der Sonne. Wunderbar. Noch am Tag der Ankunft stieg er die gewaltigen Treppen in den großen Tempelbereich hinein. Die Tempelpriester, oft Sadduzäer, hatten sich mit den Römern arrangiert und betrieben den Tempel als großes Wirtschaftsunternehmen. Es war für Kriton kein Problem, hier hochwertige Papyrusrollen abzusetzen. In Jerusalem ging Kriton am liebsten in die Synagoge der Alexandriner, denn dort sprach man Griechisch und pflegte eine Frömmigkeit der Gottesliebe.
Nach einer Woche ging die Reise weiter. Anstatt über Samaria nach Galiläa zu reisen, entschied sich Kriton für die Route durchs Jordantal. Der Weg von Jersualem nach Jericho war beeindruckend. Kriton hatte gehört, daß an den Berghängen südlich von Jericho die Essener eine Einsiedelei betrieben. Sie lehnten den offiziellen Tempelkult in Jerusalem ab; für sie war Jerusalem zu Babylon geworden. Es waren Fundamentalisten, die zwar ständig vom Heiligen Krieg sprachen (sie lasen gerne eine Schrift über den Endzeitkrieg), aber selbst gar keine Waffen besaßen. Auf dem Weg nach Norden begegnete er Pilgern, die einen Gerichtspropheten aufsuchen wollten. Johannes den Täufer nannten sie ihn, weil er den Menschen versprach, daß sie dem Gericht Gottes entrinnen könnten, wenn sie sich im Jordan taufen ließen.
Nach einigen Tagen hatte er Galiläa erreicht, das von Herodes Antipas regiert wurde, der allerdings der römischen Kontrolle unterstand. In den Synagogen der kleineren Städte oder größeren Dörfer Galiläas hatte Kriton es oft mit Pharisäern zu tun, die er für engagierte, untadelige, feine Leute hielt, und denen er es abnahm, daß sie es mit der Tora ernst meinten.
Und dort in Galiläa fing seine Geschichte mit Jesus an.
Sonntag, 2. August 2009
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