Die Bergpredigt ist Teil des Matthäusevangeliums. Die Forschung an den synoptischen Evangelien (Markus, Matthäus, Lukas) hat in den letzten Jahren deutlich machen können, dass ihreAutoren nicht einfach einzelne Geschichten aneinanderreihten, sondern einen Plot entwickelten. Mit "Plot" ist der Spannungsbogen einer Erzählung gemeint, die beim Leser Interesse und Neugier erweckt, weiterzulesen oder weiterzuhören. Die Evangelien wollen daher nicht nur ausschnittsartig (perikopenweise) gelesen werden, wie es in Predigten, in der persönlichen Andacht oder auch im Religionsunterricht üblich ist. Sie sind so entworfen, dass sie auch in einem Zug von Anfang bis Schluss gelesen werden können. Ein "Plot" entwickelt Spannung vor allem dadurch, dass eine Hauptfigur, der Held, von einem eher stabilen Anfang her in Konflikte hineingerät bis hin zu einem dramatischen Höhepunkt, dem dann als Lösung ein kurzes Happy-End (oder ein tragisches Ende) der Erzählung folgt.
Welcher "Plot" macht das Matthäusevangelium spannend?
Martin Ebner skizziert ihn so:
"Obwohl Jesus durch seine Genealogie als Nachkomme des Königs Davids ausgewiesen ist (1,1-25) und mit seiner Geburt ein neuer Höhepunkt der Geschichte Israels erwartet werden darf (1,17), stößt er, als er in Israel öffentlich auftritt, auf erbitterte Ablehnung: allerdings nur bei den religiösen und politischen Autoritäten, den Schriftgelehrten und Pharisäern, den Hohenpriestern und Ältesten. Im Gegensatz dazu beginnen die Volksmengen, Jesus als „Sohn Davids" anzuerkennen (9,27.33f.; 12,23f.; 21,9.15), einzelne Notleidende rufen ihn mit diesem Titel um Hilfe an (9,27; 15,22; 20,30f.). Da ziehen die Hohenpriester und Ältesten einen Schlussstrich: Mit der Stimme des Volkes von Jerusalem fordern sie seinen Tod (27,20.25). Er wird gekreuzigt. Aber: Von Gott auferweckt, stellt sich Jesus auf dem Berg in Galiläa, auf dem er bereits seine programmatische Rede, die Bergpredigt (5-7), gehalten hat, seinen Schülern als Universalherrscher vor, dem von Gott „alle Vollmacht über Himmel und Erde gegeben worden ist" (28,18). Er fordert seine Schüler dazu auf, was er ihnen zu Lebzeiten streng verboten hat: zu allen Völkern, also auch zu den Heiden zu gehen und sie ebenfalls zu seinen Schülern zu machen, d. h. sie zu taufen und sie zu lehren, „alles zu befolgen, was ich euch aufgetragen habe" (28,19f.). Damit wird das „Evangelium vom Königtum", wie es Jesus selbst verkündet hat (4,23-9,35) weiterverkündet, allerdings über die Grenzen Israels hinaus, aber streng entlang der Ethik, wie sie Jesus zu Lebzeiten gelehrt hat und wie sie das MtEv in fünf Reden präsentiert."
in: Einleitung in das Neue Testament, hrsg. von Martin Ebner/Stefan Schreiber, Stuttgart: Kohlhammer, 2008, S. 125.
Ähnlich, aber analytischer und viel ausführlicher beschreibt Uta Poplutz den Plot des Evangeliums in: "Erzählte Welt. Narratologische Studien zum Matthäusevangelium, Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag, 2008, S. 32-56.
Wie Ebner verweist sie auf zwei Stellen, die für den Erzählfaden wichtig sind: Mt 4,17 und 16,21. Im Konflikt mit den Feinden Jesu lassen sich drei Phasen unterscheiden: Kapitel 9-12, 15-20 und 21-27 mit eskalierender Dramatik.
Sind diese Hinweise nicht Anreiz genug, das Matthäusevangelium tatsächlich einmal in einem Rutsch durchzulesen und sich auf den Plot einzulassen? Ich werde es gleich tun.
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