Der von Gott gewährte Besitz der Weisheit selbst als Erfahrung der Nähe Gottes, wie sie so euphorisch in Sprüche 1-8 beschrieben wird oder noch inniger in der Weisheit Salomos 7-8, lehnt Kohelet ab. Weisheit ist für ihn keine charismatische Gabe Gottes (in Sprüche 8 ist die Weisheit sogar das erste Geschöpf Gottes noch vor der Weltschöpfung; in Jesus Sirach 24 hat sich die Weisheit im Gesetz Gottes inkarniert), sondern nur eine menschliche, zwar von Gott geschaffene Fähigkeit, die aber „unter der Sonne“ in ihrer Erkenntnisfähigkeit erheblich begrenzt ist.
Gottesnähe, soweit sie „unter der Sonne“ überhaupt erfahrbar sein kann, stellt sich vielmehr dann ein, wenn Gott in den positiven Widerfahrnissen wahrgenommen wird (2,24-25): "Es gibt nichts Besseres für den Menschen, als dass er isst und trinkt und seine Seele Gutes sehen lässt bei seinem Mühen. Auch das sah ich, dass dies alles aus der Hand Gottes kommt."
Glück „unter der Sonne“ ist angesichts der Flüchtigkeit menschlichen Lebens eine unverfügbare Gabe Gottes. Gottes letztlich nicht ergründbares Handeln im persönlichen Lebenslauf und in den Zeitläuften ruft die „Furcht vor Gott“ hervor, ein Erschrecken vor dem aus menschlicher Sicht unberechenbaren Gott (7, 13-14): „Sieh das Werk Gottes an! Ja, wer kann gerade machen, was er gekrümmt hat? Am Tag des Glücks sei guter Dinge! Und am Tag des Unglücks bedenke: Auch diesen hat Gott ebenso wie jenen gemacht!“
In die Gottesfurcht einbezogen ist aber eben auch die Wahrnehmung des von Gott geschenkten Glücks. Die dabei entstehende gegenwärtige Freude, die Vergangenes und Zukünftiges vergessen lässt, deutet Kohelet als starkes Gefühl, das er dem Wirken Gottes verdankt – er erkennt, dass es Gott ist, der Menschen mit diesem Gefühl beschäftigt (5,19). Diese Stimmung der Freude durchbricht damit den Flüchtigkeitscharakter des Lebens. Noch weitere sechs mal nach 2,24-25, also insgesamt siebenmal, stimmt Kohelet in diese freudige Gefühlslage ein, ja ermutigt zur Freude angesichts der Undurchschaubarkeit dessen, was einem selbst und anderen widerfährt:
3,10-13: Ich habe das Geschäft gesehen, das Gott den Menschenkindern gegeben hat, sich darin abzumühen. Alles hat er schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt, nur dass der Mensch das Werk nicht ergründet, das Gott getan hat, vom Anfang bis zum Ende. Ich erkannte, dass es nichts Besseres bei ihnen gibt, als sich zu freuen und sich in seinem Leben gütlich zu tun. Aber auch, dass jeder Mensch isst und trinkt und Gutes sieht bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes.
3,20-22: Alles geht an einen Ort. Alles ist aus dem Staub geworden, und alles kehrt zum Staub zurück. Wer kennt den Odem der Menschenkinder, ob er nach oben steigt, und den Odem des Viehs, ob er nach unten zur Erde hinabfährt? Und ich sah, dass es nichts Besseres gibt, als dass der Mensch sich freut an seinen Werken; denn das ist sein Teil. Denn wer wird ihn dahin bringen, hineinzusehen in das, was nach ihm sein wird?
5,17-19: Siehe, was ich als gut, was ich als schön erkannt habe: Dass einer isst und trinkt und Gutes sieht bei all seiner Mühe, mit der er sich abmüht unter der Sonne, die Zahl seiner Lebenstage, die Gott ihm gegeben hat; denn das ist sein Teil. Auch jeder Mensch, dem Gott Reichtum und Güter gegeben und den er ermächtigt hat, davon zu genießen und sein Teil zu nehmen und sich bei seiner Mühe zu freuen - das ist eine Gabe Gottes. Denn er denkt nicht viel an die Tage seines Lebens, weil Gott ihn mit der Freude seines Herzens beschäftigt.
8,15 Und ich pries die Freude, weil es für den Menschen nichts Besseres unter der Sonne gibt, als zu essen und zu trinken und sich zu freuen. Und dies wird ihn begleiten bei seinem Mühen die Tage seines Lebens hindurch, die Gott ihm unter der Sonne gegeben hat.
9,7-10: Geh hin, iss dein Brot mit Freude und trink deinen Wein mit frohem Herzen! Denn längst hat Gott Wohlgefallen an deinem Tun. Deine Kleider seien weiß zu jeder Zeit, und das Salböl fehle nicht auf deinem Haupt. Genieße das Leben mit der Frau, die du liebst, alle Tage deines nichtigen Lebens, das er dir unter der Sonne gegeben hat, all deine nichtigen Tage hindurch! Denn das ist dein Anteil am Leben und an deinem Mühen, womit du dich abmühst unter der Sonne. Alles, was deine Hand zu tun findet, das tue in deiner Kraft! Denn es gibt weder Tun noch Berechnung, noch Kenntnis, noch Weisheit im Scheol, in den du gehst.
11,9-12,1: Freue dich, Jüngling, in deiner Jugend, und dein Herz mache dich fröhlich in den Tagen deiner Jugendzeit! Und lebe nach dem, was dein Herz wünscht und wonach deine Augen ausschauen! Doch wisse, dass um all dieser Dinge willen Gott dich zur Rechenschaft ziehen wird! Entferne den Unmut aus deinem Herzen und halte Übel von deinem Leib fern! Und denke an deinen Schöpfer in den Tagen deiner Jugendzeit, bevor die Tage des Übels kommen und die Jahre herannahen, von denen du sagen wirst: Ich habe kein Gefallen an ihnen!
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