In "Das Ende der Liebe" verdreht Sven Hillenkamp unser Beobachten in genau die richtige Richtung, nämlich hin zum soziologischen und weg vom psychologischen Sich-Selbst-Verstehen. Ich beginne erst zu lesen, lasse mich aber gerne von seinen zugespitzten Feststellungen faszinieren. Hier ein Ausschnitt (S. 47-49), in dem deutlich wird, wie die aufgezwungene Freiheit der Postmoderne auch Gott in die Ferne rückt.
"Die Unendlichkeit, lange eine Sache von Religion und Mathematik, ist etwas Alltägliches geworden. Die Menschen begegnen ihr auf der Straße, im Supermarkt, zu Hause auf dem Sofa. Die Unendlichkeit sitzt in jedem Kopf. Kaum einer, der nicht, wenn auch heimlich, an sie glaubt. Die Menschen, die an die Unendlichkeit glauben, sollen hier die freien Menschen heißen.
Sie leiden, weil sie hinter den unendlichen Möglichkeiten zurückbleiben. Sie leiden, weil sie diesen Rückstand allein sich selbst anlasten. Sie glauben, schuld zu sein an ihrer Endlichkeit. Sie leben im Zustand permanenter Sehnsucht und permanenter Scham.
Die freien Menschen lieben ihre Arbeit nicht. Sie sind von ihrer Arbeit enttäuscht. Sie wollen eine andere Arbeit tun. Also wechseln sie - Beruf, Richtung, Abteilung, Firma. Sie haben die andere Arbeit schon immer tun wollen, nun ist es Zeit. Doch sobald sie die andere Arbeit tun, stellen sie fest: Sie lieben auch die andere Arbeit nicht.
Die Menschen lieben auch ihre Heimat nicht. Sie haben die Heimat schon in jungen Jahren verlassen. Sie sind von ihrer Heimat enttäuscht. Doch auch die Stadt, in die sie gezogen - geflohen - sind, lieben die Menschen nicht. Die Großstadt, die Weltstadt. Sie sind auch von dieser Stadt enttäuscht. Wo die Weltstadt sich noch nicht vollendet hat, nennen die Menschen sie provinziell; wo sie sich aber vollendet hat, nennen sie sie kommerziell. Sie sagen: »Es ist in Ordnung, einige Jahre in der Stadt zu leben, mehr nicht«.
Die Menschen lieben auch ihre Eltern nicht. Sie sind von ihren Eltern enttäuscht. Sie sagen: »Was meine Eltern im Namen der Liebe begonnen und ein ganzes Leben lang gelebt haben, ist in Wahrheit eine furchtbare Nichtliebe gewesen, ein Egoismus.«
Die Menschen lieben Gott nicht. Sie sind von Gott enttäuscht. Bevor sie sich von Gott ganz abgewandt haben, haben sie ihn herabgestuft zu einem »höheren Wesen«. Sie sagten: »Ich habe so ein Gefühl, dass da etwas ist: ein höheres Wesen.« Doch sie waren nicht mehr bereit, es als vollkommen und allmächtig zu verehren. Die Menschen wurden in allem, was das höhere Wesen anging, sehr kritisch. Sie hätten ihm nicht ihr Kind geopfert [Hillencamp spielt hier auf Isaaks Opferung an]. Sie sagten: »Das höhere Wesen tut mir gut. Es soll mir gut tun.« Die Menschen liebten das höhere Wesen nicht, sondern standen mit ihm in einem kritischen Dialog. Als sie merkten, dass das höhere Wesen ihnen nicht mehr gut tat, brachen sie den Dialog ab."
Sven Hillenkamp, Das Ende der Liebe. Gefühle im Zeitalter unendlicher Freiheit, Stuttgart: Klett-Cotta 2009.
Donnerstag, 22. Oktober 2009
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Niemals wollte Gott, dass wir ein Kind opfern. Auch bei der Opferung Isaak wollte er es nicht, er hielt ja schon den Widder bereit. Doch in der Umwelt Abrahams gab es den Götzenglauben, der das Opfern von Kindern forderte. Abraham wurde von Gott herausgefordert in seinem Gehorsam und in seinem Vertrauen. Er vertraute Gott, dass alles gut wird, so wie Gott es ihm verheißen hatte. Es kommt darum ganz anders: Gott opfert sich in seinem Sohn für uns.
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