Die Spiritualität bei Kohelet drückt sich vor allem durch Stimmungen/Gefühle aus.
1. Das Gefühl der Enttäuschung. Es wird ausgelöst durch die umfangreichen, eindrücklich entwickelten Reflexionen dazu, dass alles, was Menschen erleben und tun, flüchtig und vergänglich ist. Wir sind in vieler Hinsicht Ausgelieferte, Getriebene, mit Mühe Beladene. Für Kohelet ist diese Enttäuschung, vielleicht sogar ein Gefühl existentieller Frustration und Traurigkeit wichtig für eine realistische Wahrnehmung der Wirklichkeit. Seine Kultur- und Gesellschaftskritik, seine Infragestellung vorgeblicher Glückskonzepte, sein kritisches Abwägen will Enttäuschung hervorrufen. Auch in der Beziehung zu Gott will Kohelet seine Zuhörer und Leser enttäuschen: Du kannst Gottes Handeln in der Welt nicht begreifen und es bringt nichts, mit der Erwartung zu rechnen, dass sich Frömmigkeit „auszahlt“, während Gottlosigkeit bestraft wird (Tun-Ergehen-Zusammenhang). Wer so erwartet, wird zwangsläufig enttäuscht werden. Zurecht. Denn „unter der Sonne“ können wir Gottes Handeln nur hinnehmen, an guten, wie an bösen Tagen. So stellt sich
2. das Gefühl der Gotttesfurcht ein. Die Enttäuschung führt zur Gottesfurcht, zum Erschrecken vor dem unbegreifbaren Gott, der alles in allem wirkt, aber genau darin nicht verstanden werden kann. Gottes Handeln – besonders angesichts der Frage nach Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit in der Welt – ist verhüllt. Gottesfurcht heißt, vor dem allmächtig und gleichzeitig verborgen handelnden Gott zu erschrecken, aber auch von ihm fasziniert zu sein. Diese Faszination führt zu einem überraschenden nächsten Gefühl,
3. zum Gefühl der Freude. Freude stellt sich ein in der Erkenntnis, dass Gott Gutes im mühevollen, vergänglichen Leben gewährt. Essen, Trinken und Liebe genießen reicht, um sich zu freuen. Dazu bedarf es nicht einmal immensem Reichtum, den Gott aber auch durchaus gewähren kann. In der Freude akzeptiert man die von Gott zugeteilten Zeiten des Glücks und Unglücks, ja die Freude ist sogar ein Gefühl, dass Vergangenheit und Zukunft vergessen läßt und einen ganz auf die zu genießende Gegenwart fokussiert. Es ist für Kohelet Gott selbst, der unsere Seele mit der Freude beschäftigt läßt, um uns von Sorge und Mühe zu entlasten.
Eine weitere Ausdrucksform der Spiritualität Kohelets ist sein Lehrtext selbst. Offensichtlich muss es Kohelet Freude gemacht haben, seine Reflexionen über Flüchtigkeit und Freude zu dichten, im Gespräch mit seinen Weisheitsvorgängern „anders“ zu denken, obwohl es ja eigentlich gar nichts „Neues“ geben kann.
Kohelet empfiehlt weiter eine reduzierte Frömmigkeitspraxis. Gebete sollen kurz sein (5,1), im Tempel spielt nicht das Opferhandeln, sondern das Hören auf die Predigt die wesentliche Rolle (4,17), Gelübde soll man ernst nehmen und umstandslos erfüllen (5,3). Diese Praxis passt gut zum Gefühl der Gottesfurcht: „Gott ist im Himmel, und du bist auf der Erde.“
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